Anita Lasker-Wallfisch redet im Bundestag

Die Cellistin von Auschwitz

Anita Lasker-Wallfisch vor Wand mit Familien-Fotos
Die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch © Wenka Weber
Von Thomas Spickhofen · 31.01.2018
Als die 17-jährige Anita Lasker-Wallfisch im Dezember 1943 ins Vernichtungslager Auschwitz kommt, rettet das Cello ihr Leben: Das Mädchenorchester braucht noch eine Cellistin und deshalb entgeht sie der Todeskammer. Heute spricht die 92-Jährige in der Holocaust-Gedenkstunde im Bundestag.
An ihr erstes Cello, das sie als Kind gespielt hat, kann sich Anita Lasker-Wallfisch noch gut erinnern. Es hatte eine Kindergröße, die ihrer Mutter fast wie eine Geige unters Kinn passte.
"Ich habe ein Viertelcello gehabt."
Und die Erinnerung an ihren ersten Cello-Lehrer ist auch noch da.
"Der ist im Ersten Weltkrieg verletzt worden und hatte zwei steife Finger an der linken Hand und hat umgelernt, andersrum zu spielen. Geradezu irre, wirklich."
Später hat das Cello ihr das Leben gerettet. Als Anita Lasker, 17 Jahre jung, aus einer deutsch-jüdischen Familie in Breslau, im Dezember 1943 in Auschwitz ankommt, da wird sie von anderen Lagerinsassen eingewiesen, sie wird von ihnen registriert und erhält von ihnen die Tätowierung.
"Und die sind natürlich furchtbar neugierig. Da kommt immer Neues, was gibt es draußen, wie geht der Krieg. Wo kommst Du her, wie heißt Du, was hast Du früher gemacht."

Das Cello als Lebensretter

Warum sie in diesem Moment gesagt habe, dass sie Cello spielen kann, das werde sie nie begreifen, erzählt Lasker-Wallfisch.
"Das hat überhaupt nicht in die Situation gepasst."
Aber die Mitgefangenen bei der Registrierung im Konzentrationslager Auschwitz werden sofort hellhörig.
"Du spielst Cello? Fantastisch! Sie hat einfach gesagt, fantastisch. Bleib hier, ich komm gleich wieder. Sie ist also weggelaufen und hat die Dirigentin dieser Kapelle gerufen und hat gesagt, hier ist eine Cellistin angekommen. Und mein Glück war, dass zu dieser Zeit kein Instrument gehabt haben, das tiefe Noten gespielt hat."
Und so landet das junge jüdische Mädchen aus Breslau im Mädchenorchester von Auschwitz.

Wettbewerb unter den Lagerkommandaten

"Es handelt sich hier nicht um Berufsmusiker, sondern junge Mädchen – denn niemand war alt, der ins Lager kam – die mal irgendwann etwas gelernt haben."
Unter den Lagerkommandanten habe es einen regelrechten Wettbewerb gegeben, wer das bessere Orchester habe, erinnert sich Lasker-Wallfisch. Das sei wie eine Lebensversicherung gewesen, selbst für die, die ihr Instrument nicht so gut beherrschten.
"Das sind dann Notenschreiberinnen geworden."

Musizieren für die Lagerinsassen

Die Aufgabe des Orchesters war es, am Eingang zum Lager Auschwitz-Birkenau Musik zu machen: Popmusik, klassische Musik, Märsche. Wenn die Transporte für die Gaskammern eintrafen, oder wenn die Lagerinsassen zur Arbeit in die umliegenden Fabriken geschickt wurden.
"Jeden Morgen sind Tausende von Menschen ausmarschiert in diese verschiedenen Fabriken und wir haben gesessen und haben Märsche gespielt. Und am Abend wieder das Gleiche: Wir sind ans Tor gegangen mit den Stühlen und den Notenständern und haben wieder gespielt. In dem Moment, wie das fertig war, sind wir zurück in unseren Block und haben geprobt. Wir haben den ganzen Tag gespielt."
Ein Jahr lang bleibt das junge Mädchen Anita Lasker in Auschwitz. Danach wird sie nach Bergen-Belsen deportiert, wo sie im April 45 die Befreiung durch die Amerikaner erlebt. Ein Jahr später wandert sie nach Großbritannien aus, heiratet den Pianisten Peter Wallfisch, gründet das London English Chamber Orchestra und ist hier im Stadtteil Queens Park bis heute zu Hause.
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