Anime "Hello World" auf DVD

Die Frau als Spielball

06:52 Minuten
Ein Junge und ein Mädchen gehen romantisch vor einer Science-Fiction-Kulisse spazieren.
Schulhofromanzen mit Science-Fiction-Elementen sind in Japan sehr beliebt. "Hello World" fehlt es allerdings am Charme anderer Vertreter dieses Genres. © Koch Films
Von Stefan Mesch · 09.12.2020
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Plötzlich steht das eigene ältere Ich vor dem 15-jährigen Naomi und sagt: "Du musst Dich in eine Schulkameradin verlieben". Solche Science-Fiction-Stoffe sind in Japan sehr populär. "Hello World" setzt das Szenario allerdings mit wenig Charme um.
Der japanische Trickfilm "Hello World" spielt in den Welten dieses Quantencomputers namen "Alltale" - vielleicht, weil alle Menschen, alle Abzweigungen, jedes mögliche Szenario und jede einzelne denkbare Entscheidung dort durchgerechnet werden: alle Geschichten, alle "Tales". Doch dabei erzählt der Film eine schmierige, sexistische und freudlose "Tale" für und über circa 15-jährige Jungs: ein Jugend-, High-School- und Flirt-Film ohne Magie. Eine "So kriegst du Mädchen rum"-Pennälerfantasie, in der man Frauen "erspielt" wie einen Preis.
Der abwartende, gehemmte Naomi lebt 2027 in Kyoto, wo "Alltale" Drohnen kreisen lässt und den kompletten Alltag aufzeichnet, was in dem Film nie als bedrohlich oder rechtswidrig gesehen wird. Dann taucht ein Hologramm oder Daten-Konstrukt auf, das aussieht wie Naomi, nur zehn Jahre älter. Sein Ich aus der Zukunft? Nein, sondern ein "echter" Naomi, der dem Schuljungen sagt: "Du bist nur eine Rechenvariante von Alltale. Ich bin real, du bist ein Konstrukt. Doch bitte versuche jetzt, dich in eine Klassenkameradin zu verlieben. Ich gebe dir alle nötigen Tipps!"

Tricks und geheimes Wissen

Dass Naomi - anders als in Stoffen wie "Dark City" oder "Matrix" - kein Mensch ist, gefangen in einer Computer-Illusion, sondern selbst nur ein Programm, mit dem der "echte", erwachsene Naomi eine große Liebe seiner Jugend nachspielen und virtuell neu erleben will, stört keine der Figuren. Auch nicht, dass die Schülerin Ruri den ganzen Film über kaum spricht, fast nie eigene Wünsche äußert oder Tiefe zeigt.
Der erwachsene Naomi hat Tricks und geheimes Wissen. Er hilft wie ein Pick-up-Artist oder ein zynischer Videospielfan, der alle Schummelcodes kennt: Die Frau ist wie ein Gegenstand, den man gewinnt, indem man Vorwissen nutzt und einer Gamer-Logik folgt. Besonders verliebt ist der Film in einen virtuellen Handschuh namens "Hand of God", mit dem der 15-Jährige erst einfache Objekte und Wasser erschaffen kann. Später gelingt ihm das auch für Hilfsmittel und Waffen. Ein Allmachtsklischee aus dem Videospiel, an dem sich die Figuren in langweiligen Szenen ergötzen.

Wenig Charme und Charakterarbeit

In Japan sind Schulromanzen voller Fantasy- und Science-Fiction-Überraschungen das erfolgreichste Film-Genre. Auch bei der Kritik sind große Blockbuster über die erste Liebe und Alltäglichkeiten, mit "Nichts ist, wie es scheint!"-Schocks und philosophischem Überbau beliebt.
Doch "Hello World" fehlt der Charme und die Charakterarbeit jüngerer japanischer Trickfilme wie "Das Mädchen, das durch die Zeit sprang" oder "Dein Name".

Zweifelhaftes Männerbild

Wenn hier ein Ich kopiert, gelöscht oder verschoben wird, wenn Welten einstürzen und man "Liebe" plump erschummelt, fragt keine Figur nach Ethik und Privatsphäre. "Hello World" ist zwar kein Film, der die sexistische "Gamergate"-Bewegung, Männerrechtler, "Incel"-Anhänger und rechtslibertäre Netz-Nihilisten explizit umwirbt. Doch viele Szenen über die beiden monströs selbstbezogenen, rücksichtslos "verliebten" Naomis feiern ein Männerbild, ein Heldentum und einen Solipsismus, als hätte man die schlimmsten Szenen aus "Die Matrix" zynisch bewusst missverstanden:
"Schluck die rote Pille! Versteh, dass andere Menschen oft nur Marionetten, Simulationen deiner Welt sind. Du bist der Auserwählte! Du bist der Einzige, der zählt. Erreiche das höchste Level: Schnapp dir das Mädchen!" Ein herz- und respektloser Film, für herz- und respektlose Player.

"Hello World"
Japan, 2019. 97 Minuten
Regie: Tomohiko Itô
Buch: Mado Nozaki

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