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Die Reform der Erbschaftssteuer
Gerecht und verfassungskonform?

Kurz vor Ablauf der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Frist haben sich Vertreter der Regierungskoalition auf neue Regeln zur steuerlichen Begünstigung von Firmenerben verständigt. Einfacher als früher ist es nicht geworden und Oppositionspolitiker haben weiter ihre Bedenken.

Von Theo Geers, Michael Braun und Gudula Geuther | 13.10.2016
    Ein Hängeregister mit der Aufschrift Erbschaftssteuer
    In NRW formiert sich Widerstand gegen die Reform der Erbschaftssteuer (imago stock&people)
    Es ist kein spektakulärer Produktionsprozess: Mehrspindel-Drehautomaten entstehen eher in Handarbeit von Facharbeitern. Es kann schon mal ein Jahr dauern, bis eine komplizierte Maschine fertig ist. Seit mehr als hundert Jahren produziert die Firma Alfred H. Schütte am Rheinufer in Köln-Poll. Der Urgroßvater des jetzigen Eigentümers hatte zuerst mit Maschinen aus Großbritannien und Amerika gehandelt. Doch im Ersten Weltkrieg ging das nicht mehr. "Weil wir in den Kriegsjahren von den Alliierten natürlich keinen Nachschub mehr bekommen haben. Das heißt: Wir mussten uns selber helfen", erzählt Carl Martin Welcker, 56 Jahre alt und Urenkel des Firmengründers.
    Mittlerweile werden weltweit 80 Prozent aller Zündkerzen auf Maschinen von der Firma Schütte produziert. Armaturenhersteller fertigen darauf das Innenleben von Wasserhähnen, Autozulieferer Kugellagerringe. Alles Massenprodukte, ja, aber gefertigt auf Maschinen, deren Entwicklung sechs Jahre dauert und Millionen kostet - nichts für kurzfristig gewinnorientiert denkende Finanzinvestoren, meint Welcker. Dieses langfristige Denken, diese Bereitschaft, ortsgebunden zu investieren, dabei Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten, das seien schon Phänomene, die ein Erbrecht fördern könne:
    "Zunächst mal führt das Erbrecht zu einer kontinuierlichen Inhaberschaft. Das muss nicht notwendigerweise zu einer weiterführenden Strategie führen. Denn es kann ja durchaus sein, dass ein Junior andere Gedanken hat als ein Senior. Aber ich würde mal sagen: Die langfristigen Investitionen, all dies, was ich heute tätige und hoffe, dass es meinem Sohn noch zugutekommt, das finden Sie natürlich in einem kapitalgetriebenen Unternehmen so nicht."
    Viele Fürsprecher in den Parlamenten
    Er ist ja auch selber Sohn, hat das Unternehmen durch das schwierige Jahr 2009 führen können, als Aufträge storniert statt erteilt wurden. Er hat es danach als einen der wenigen weltweit präsenten Drehautomatenhersteller etablieren können - auch weil er selbst steuerschonend geerbt habe. Wenn die neuen Erbregeln, zu denen der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat geführt haben, weiterhin großzügig sein sollten, dann beklagt Welcker das nicht:
    "Unsere Erbregeln in den letzten Jahren haben dazu geführt, dass viele mittelständische Unternehmen mehr Geld investieren konnten, weil sie es nicht für erbschaftssteuerliche Angelegenheiten haben ausgeben müssen."

    Der Bochumer Maschinenbauer Eickhoff produziert seit 2009 in Klipphausen bei Dresden Getriebe fuer Windkraftanlagen.
    Ein mittelständischer Betrieb: Der Bochumer Maschinenbauer Eickhoff. (imago/Rainer Weisflog)
    Es ist die Meinung eines Mittelständlers. Und die Meinung so ziemlich des ganzen Mittelstandes. Dazu gehören mit knapp 3,7 Millionen Unternehmen 99,95 Prozent aller Unternehmen in Deutschland. Gut 68 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland sind in kleinen und mittleren Unternehmen angestellt. Zu zwei Dritteln entfiel auch der Beschäftigungsanstieg in Deutschland zuletzt auf diese Unternehmensgruppe. Kein Wunder, dass sie in den Parlamenten ihre Fürsprecher hat - und ihre Gegner.
    "Wer stimmt für die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 9690? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition angenommen."
    Linke und Grüne lehnen die Reform der Erbschaftsteuer ab
    Berlin - Bundestag - 29. September. Erleichtert, aber auch ermattet räumen die Abgeordneten ein Streitthema ab, das Union und SPD, genauer: CSU und SPD, in den Monaten davor an den Rand ihrer Kompromissfähigkeit geführt haben. Drucksache 96-90 enthält das Gesetz zur Reform der Erbschaftsteuer. 6,3 Milliarden Euro hat diese Steuer im vergangenen Jahr den Ländern in die Kassen gespült. Das ist ziemlich genau ein Hundertstel der gesamten Steuereinnahmen des Staates. Gemessen an ihrem Aufkommen ist die Erbschaftssteuer damit eine Bagatellsteuer. Gemessen am Streit, den sie entfachte, steht sie dagegen für die Frage, ob es in diesem Land gerecht zugeht oder nicht.
    "Wir sehen doch, dass die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland immer weiter auseinandergeht. Zehn Prozent der Deutschen besitzen 60 Prozent des Gesamtvermögens. Die 500 reichsten Familien verfügen über ein Vermögen von 732 Milliarden Euro, meine Damen und Herren. Die Erbschaftsteuer wäre ein probates Mittel, hier endlich einzugreifen", sagt Dietmar Bartsch, einer der beiden Fraktionschefs der Linken im Bundestag. Linke und Grüne lehnen die Reform der Erbschaftsteuer ab, obwohl auch sie mit dem Leitgedanken dieser Reform durchaus leben können, die das Bundesverfassungsgericht verlangt hatte.
    Im Dezember 2014 kippten die Karlsruher Richter die bisherigen Ausnahmen für Firmenerben. Begründung: Der Staat könne zwar Firmenerben die Erbschaftsteuer erlassen, wenn diese ein Unternehmen weiterführen und die Jobs erhalten. Wenn aber zu viele Erben diese Ausnahmen in Anspruch nehmen könnten, werde die Ausnahme zur Regel. Deshalb verlangten die Richter Änderungen.
    Ein erster Kompromiss scheiterte
    Schnell schälten sich zwei gegensätzliche Positionen heraus: Die SPD wollte dem Verfassungsgericht folgen und die Ausnahmen für Firmenerben einschränken; CDU und CSU dagegen wollten Firmenerben auch in Zukunft soweit wie eben möglich schonen. Vor allem die CSU und ihr Vorsitzender Horst Seehofer verstanden sich dabei als Anwalt der Familienunternehmen. Ein erster, im Februar gefundener Kompromiss, scheiterte deshalb am Veto aus Bayern. Wieder vergingen Monate, dann präsentierten im Juni Wolfgang Schäuble, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel einen zweiten Kompromiss.
    "Insgesamt wird mit der Einigung der Erbschaft- und Schenkungssteuer, glaube ich, ein Streit zwischen CDU und CSU jetzt endlich beseitigt und sie wird sozial gerechter, ohne die Fortführung von Unternehmen und Arbeitsplätze zu gefährden."
    Doch zwei Tage später musste Gabriel erleben, dass ausgerechnet ein Parteifreund, der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans, eben diesen Kompromiss ablehnte.
    Demonstranten halten am 30.06.2016 vor dem Bundesrat in Berlin Herzen mit der Aufschrift «Schwarz-Rot hat ein Herz für Superreiche». Die Organisation Attac hatte zu einer Protestaktion gegen das geplante Erbschaftssteuer-Gesetz aufgerufen. Anlass war ein Treffen der Finanzminister, bei dem sie die Abstimmung über das Erbschaftssteuergesetz am 8. Juli im Bundesrat vorbereiten wollten. 
    Protestaktion gegen das geplante Erbschaftssteuer-Gesetz in Berlin. (dpa/picture alliance/Paul Zinken)
    "Dieser Kompromiss geht so nicht. Er ist nicht akzeptabel, weil er noch weiter geht zum Teil als das ohnehin von den Verfassungsrichtern schon monierte Regelwerk, das wir bisher schon hatten."
    Andere Länder sahen das genauso. Wieder ging die Lösungssuche von neuem los, dieses Mal im Vermittlungsausschuss Bundesrat. Ende September war dann die Lösung gefunden, mit der auch Horst Seehofer zufrieden war.
    "Es ist wichtig, dass wir jetzt ein Erbschaftsteuerrecht bekommen, dass im Falle der Erbschaft die Fortführung der Arbeitsplätze und der Unternehmen gewährleistet."
    Erben von Familienunternehmen bleiben im Grundsatz privilegiert
    Erben von Familienunternehmen bleiben auch in Zukunft im Grundsatz privilegiert. Wer eine Firma erbt und sie sieben Jahre lang mit der im Wesentlichen gleichen Zahl von Beschäftigten fortführt, zahlt auf das Betriebsvermögen überhaupt keine Erbschaftssteuer. Sie wird zu 100 Prozent erlassen. Überprüft wird dies anhand der Summe aus den gezahlten Löhnen multipliziert mit der Zahl der Beschäftigten. Diese Lohnsumme muss annähernd gleich bleiben. Kleinere Unternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitern sind von diesem Lohnsummen-Nachweis befreit. Bleibt die Zahl der Jobs fünf Jahre weitgehend konstant, zahlt der Firmenerbe nur 15 Prozent der eigentlich fälligen Erbschaftsteuer; ihm werden 85 Prozent erlassen, betont Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, der diese Reform mit ausgehandelt hat..
    "Wenn wir steuerliche Vergünstigungen erteilen, dann muss es dafür sehr gute Gründe geben. Zum Beispiel die Sicherung von Arbeitsplätzen - und das ist etwas was hier berücksichtigt worden ist - und dass es keinen Missbrauch gibt."
    Deshalb erfolgt künftig eine sogenannte Bedürfnisprüfung, wenn pro Person mehr als 26 Millionen Euro vermacht werden: Der Erbe muss nachweisen, dass er einer Verschonung von der Erbschaftsteuer bedarf, dass deren Zahlung das Unternehmen also gefährden würde. Dafür muss er auch sein Privatvermögen offen legen. Dieses kann bis zur Hälfte für die Erbschaftsteuer auf das Firmenerbe herangezogen werden. Will er sein privates Vermögen nicht offen legen, greift ein sogenanntes Abschmelzmodell:
    Der Steuervorteil schmilzt in Schritten von 750.000 Euro dahin: Wer eine Firma von exakt 26 Millionen Euro erbt, dem wird die Erbschaftsteuer noch zu 100 Prozent erlassen. Ab 26,75 Millionen schmilzt der Steuererlass auf 99 Prozent, ab 27,5 Millionen auf 98 Prozent und so fort. Oberhalb von 90 Millionen Euro ist dann Schluss; es gibt keine Verschonung mehr, was der CSU-Finanzexperte Hans Michelbach seiner Partei gutschreibt: "Das ist ein Erfolg. Das waren wir unseren Arbeitsplätzen und unseren Betrieben in Deutschland schuldig."
    Was ist ein Familienunternehmen?
    Die CSU setzte sich auch in der Frage durch, wie der Wert eines Familienunternehmens künftig ermittelt wird. Bisher wurde hierfür der durchschnittliche Gewinn der letzten Jahre mit dem Faktor 18 multipliziert. Aus Sicht der Wirtschaft führte dies zu überhöhten Firmenwerten und damit viel zu hohen Erbschaftsteuerzahlungen. Nun wird mit dem Faktor von 13,75 gearbeitet. Die Unternehmenswerte und damit das Vermögen, auf das Erbschaftsteuer zu zahlen wäre, sinken dadurch beträchtlich. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz - SPD - hatte sich hier hörbar mehr versprochen.
    "Das ist kein Gesetzentwurf, den SPD so selbst vorgelegt hätte. Aber es ist das Ergebnis der Beratung heute. Es muss eine Mehrheit im Bundestag geben, es muss eine Mehrheit im Bundesrat geben - kompliziert genug."
    Euro-Geldscheine, Schmuck und südafrikanische Münzen liegen auf einem Haufen
    Nicht alle Vermögenswerte gehören zum Betriebsvermögen eines Unternehmens. (dpa/ picture alliance / Markus Scholz)
    Ein Beispiel: Die Definition, was überhaupt ein Familienunternehmen ist, das im Erbfall von der Erbschaftsteuer verschont werden kann. Verschont wird es nur, wenn die Gesellschafter höchstens 37,5 Prozent des Gewinns pro Jahr aus der Firma entnehmen. Außerdem dürfen Firmenanteile nur eingeschränkt verkauft werden - an Familienmitglieder, Mitgesellschafter oder eine Familienstiftung. Und auch das nur mit einem Abschlag, der wiederum bei der Berechnung des Unternehmenswertes zu Buche schlägt.
    Beispiel zwei: die Abgrenzung von Betriebs- und Verwaltungsvermögen. Nur Ersteres kann von der Erbschaftssteuer verschont werden, Letzteres dagegen nicht. Der Picasso im Büro des Firmenchefs oder seine Oldtimersammlung können damit nicht in den Betrieb verschoben werden, um Erbschaftsteuer zu sparen. Das gilt auch für Geld- und Finanzmittel, es sei denn, der Erblasser wollte diese Mittel nachweislich in den Betrieb investieren. Dann bleibt auch dieses Geld steuerfrei, wenn die Erben die Investition binnen zwei Jahren nachholen.
    Viele Eigner haben schon reagiert
    All die Beispiele zeigen: Das Erbrecht für Familienunternehmen bleibt kompliziert. In vielen Firmen haben die Eigner deshalb in diesem und im vergangenen Jahr schon reagiert und Erbteile als vorgezogene Schenkung ihren Kindern überschrieben. Auch das erklärt, warum die Bewertung von BDI-Präsident Ulrich Grillo so ausfällt:
    "Wichtig ist, dass wir eine Lösung haben, dass die Unsicherheit weg ist. Dass wir uns noch eine Lösung gewünscht hätten, ist ganz klar. Also Deckel drauf und widmen wir uns den nächsten Themen."
    Möglicherweise wird der Deckel aber auch schon bald wieder geliftet, wird die Frage gestellt, ob das neue Gesetz mit der Verfassung in Einklang steht. Immer wieder hat das Bundesverfassungsgericht die Erbschaftsteuer verworfen - und das nicht etwa, weil die Richter Zweifel an der Steuer selbst hätten, im Gegenteil.
    Aber: Wenn Erben belastet werden, dann alle gleichermaßen - es sei denn, es gäbe konkrete Gründe dagegen. Wegen solcher Ungleichbehandlungen erklärten die Richter die Ausgestaltung der Steuer 1995 für verfassungswidrig, 2006 ebenso und zuletzt 2014. Da ging es vor allem um die Erben von Unternehmen. Der SPD-Politiker Carsten Schneider fasste kürzlich im Bundestag die Anforderungen der Karlsruher Richter an den Gesetzgeber so zusammen:
    "Wir können als Gesetzgeber besondere Unternehmen, wenn es um den Fortbestand von Arbeitsplätzen geht, schützen. Die Ausnahmen müssen nur bei den höchsten Vermögen gestrichen werden. Und genau das haben wir gemacht."
    Kritik vom Verfassungsgericht
    Eben das allerdings ist die Frage. Tatsächlich erlauben die Verfassungsrichter nicht nur, dass Unternehmen, die fortgeführt werden und nachhaltig Arbeitsplätze sichern, privilegiert werden. In ihrer Entscheidung von 1995 hatten sie sogar verlangt, dass die besondere Situation von Unternehmenserben berücksichtigt wird. Sie könnten und sollten das Vermögen nicht ohne Weiteres aus dem Betrieb abziehen, mahnten sie dort.
    Das allerdings, was der Gesetzgeber dann daraus machte, ging den Karlsruher Richtern zu weit. Viele Möglichkeiten, Privatvermögen im Unternehmen zu verstecken, die Begünstigung auch von Kapitalvermögen, soweit es nur ins Unternehmen eingebracht ist, Steuerschlupflöcher - in der Summe war das und mehr den Verfassungsrichtern zu viel. Ganz konkret kritisierten sie, hier verlesen vom Vorsitzenden des Ersten Verfassungsgerichts-Senats Ferdinand Kirchhof, dass das bisher gültige Gesetz meist gar nicht den Erhalt von Arbeitsplätzen verlangt. Das ist es, was sich hinter dem Begriff der Lohnsummensteuerpflicht verbirgt.
    "Die Freistellung von Betrieben mit nicht mehr als 20 Beschäftigten von der Lohnsummensteuerpflicht verstößt gegen Artikel 3 Grundgesetz. Da weit über 90 Prozent aller Betriebe in Deutschland weniger als 20 Personen beschäftigen, wird das Regel-Ausnahme-Verhältnis dieses Befreiungstatbestandes praktisch ins Gegenteil verkehrt."
    Der Entwurf, über den an diesem Freitag der Bundesrat entscheidet, sieht diese pauschale Ausnahme für kleine Betriebe nicht mehr vor. Auch einige andere verfassungsrechtliche Kritikpunkte der Richter sind inzwischen ausgeräumt. Trotzdem bleiben Zweifel. So ist es vor allem bei einem weiteren, ganz konkreten Kritikpunkt des Urteils:
    Spitzenkandidatin der GAL in Hamburg: Anja Hajduk
    Die Haushaltspolitikerin Anja Hajduk sitzt für die Grünen im Vermittlungsausschuss (picture alliance / dpa)
    "Es überschreitet die Grenze des nach dem Gleichheitssatz des Artikels 3 Absatz 1 Grundgesetz zulässigen, Großunternehmen oberhalb der kleinen und mittleren Betriebe ohne jegliche Prüfung ihres konkreten Entlastungsbedürfnisses von der Steuer zu befreien."
    Linke kritisiert Wahlrecht bei der Steuer
    Die Haushaltspolitikerin Anja Hajduk sitzt für die Grünen im Vermittlungsausschuss. Sie übersetzt das Urteil in diesem Punkt so: Für den Erhalt von Arbeitsplätzen lasse das Bundesverfassungsgericht Ausnahmen von der Steuerpflicht zu.
    "Aber, es hat dabei ganz eindeutig gesagt: Wenn wir in den Bereich der großen Betriebsvermögen kommen - also: hoher zweistelliger Millionenbetrag - dann darf das nur geschehen, wenn auch eine Bedürfnisprüfung vorgeschrieben wird. Aber genau die wird ja bei der Möglichkeit des jetzigen Erbschaftsteuerrechts gar nicht mehr vorgeschrieben, sondern es gibt ja Abschläge ohne Bedürfnisprüfung."
    Und tatsächlich: Bis zu einem Betriebsvermögen von 26 Millionen Euro stellt sich nach dem jetzt zur Abstimmung stehenden Entwurf die Frage gar nicht. Alles, was darunter liegt, wird also nicht als großes Vermögen angesehen.
    Schon das hinterfragen etwa die Linken. Anja Hajduk kritisiert vor allem, dass es auch danach noch ein Wahlrecht gibt. Will der Erbe nämlich den Steuerbehörden nicht den Blick in seine Bücher ermöglichen, muss er das auch dann nicht, wenn er Unternehmensanteile im Wert von mehr als 26 Millionen Euro erbt. Er muss dann zwar Abschläge in Kauf nehmen, die dannwachsen, je größer das Vermögen ist. Allerdings: Erst bei 90 Millionen Euro führt das zur vollen Steuerpflicht. Für mindestens verfassungsrechtlich bedenklich hält das die Opposition. Auch Christian Waldhoff ist sich nicht ganz sicher. Der Verfassungsrechtsexperte aber sagt zur Grenze von 90 Millionen Euro:
    "Ich würde mal sagen, das ist wahrscheinlich noch vertretbar. Aber bei Zahlen kann man natürlich immer Streiten. Das Gericht hat ja niemals gesagt, wo konkret da eine Grenze sein soll, was ist jetzt ein nicht mehr kleines oder mittleres Unternehmen?"
    Was besteuert wird, darf nicht verschleiert werden
    Waldhoff ist Mitglied im unabhängigen wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums und hat das Hin und Her um das Gesetz miterlebt. Er glaubt auch, dass ein weiterer kritisierter Punkt letztlich nicht verfassungswidrig ist: der, dass bei der Bewertung des Vermögens nun 13,75 statt zuvor 18 Prozent anzusetzen sind. Anja Hajduk verweist hier auf eine andere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. 2006 hatten die Richter frei übersetzt gesagt: Was besteuert wird, darf nicht verschleiert werden. Deshalb muss die Bewertung realistisch sein. Begünstigen darf der Gesetzgeber dann später - wenn er es begründen kann.
    "Und dass man jetzt im Bewertungsgesetz relativ willkürlich eigentlich generell alle Unternehmen bei der Bewertung um bis zu 23 Prozent geringer bewertet, das ist für meine Begriffe nicht vereinbar mit diesem Urteil aus dem Jahr 2006."
    "Das würde ich so pauschal nicht sagen", meint dagegen Verfassungsrechtsprofessor Waldhoff. "Die Unternehmensgewinne sind ja zurzeit relativ hoch. Und der Faktor 18 ist schon heftig. Also die Marktpreise sind, glaube ich nicht in diesem Bereich für Unternehmen. Und auch da würde ich dem Gesetzgeber durchaus - natürlich in Grenzen wiederum - eine Einschätzungs- und Gestaltungsprärogative zubilligen wollen."
    Die Frage bleibt umstritten. Aber auch wenn der Fachmann für Verfassungs- und Steuerrecht das Gesetz verfassungsrechtlich weniger kritisch betrachtet als die Opposition - was die Verfassungspolitik betrifft, ist er enttäuscht. Wie fast alle Finanzfachleute hätte er sich eine Steuer ohne Ausnahmen gewünscht, vielleicht mit Freigrenzen für kleine Vermögen und mit einer großzügigen Stundungsmöglichkeit für Unternehmenserben.
    "Wenn hier nicht die Idee, ein ganz einfaches Steuersystem zu schaffen, Ausnahmen abzuschaffen, dadurch Steuersätze senken zu können, bei Aufkommensneutralität, verwirklicht wird, wo soll es dann verwirklicht werden. Bei einer eigentlich einfachen Steuer wie der Erbschaftsteuer wäre das möglich gewesen."
    Dieses Gesetz hingegen sei noch komplizierter als das frühere.