Angstmache zum Nutzen der Pharmaindustrie

Grippe in Mexiko wurde zur Pandemie "aufgeblasen"

Moderation: Liane von Billerbeck · 18.12.2009
Die Hysterie um die Schweinegrippe war ein erfolgreiches Marketing für die Impfstoffhersteller, findet der Epidemiologe Wolfgang Wodarg. Man habe die Grippe in Mexiko "zu einer Pandemie hochstilisiert und damit Angst und Schrecken verbreitet" - mit Erfolg: Es gab Abnahmegarantien für Impfstoffe.
Liane von Billerbeck: Warnungen hatte es zur Genüge gegeben: vor einer hochgefährlichen, weltweit grassierenden Seuche, der sogenannten Schweinegrippe. Wir hatten uns auf das Schlimmste eingestellt, Kranke, Tote und die Impfung dagegen, obwohl ziemlich getestet – die wurde zu einem Akt der Solidarität stilisiert, besonders seit die Weltgesundheitsorganisation WHO für diese Grippe die höchste Pandemiestufe ausgerufen hatte.

Doch wer hat die Entscheidungen der WHO beeinflusst? "Pharmaunternehmen", sagt Wolfgang Wodarg, selbst Arzt und Epidemiologe und jetzt Vorsitzender des Gesundheitsausschusses in der parlamentarischen Versammlung des Europarates. Und dort wird im Januar eine Dringlichkeitsdebatte über das Thema geführt. Wolfgang Wodarg ist jetzt bei uns im "Radiofeuilleton" zu Gast. Herzlich willkommen!

Wolfgang Wodarg: Guten Morgen!

von Billerbeck: Gesundheitsgefahr durch gefälschte Pandemien, so das Thema dieser Dringlichkeitsdebatte, die im Europäischen Rat stattfinden wird. Ist also weniger die Grippe gesundheitsgefährlich als die Warnung vor der Grippe?

Wodarg: Jede Panik ist gefährlich, und wir können verlangen, dass diejenigen, die dort Verantwortung tragen, die uns alarmieren sollen, wenn es wirklich gefährlich wird, dass sie das dann auch machen, und wenn die Gefahr gering ist, dass wir dann auch entsprechend beruhigt werden. Und das, was wir erlebt haben dieses Jahr, war genau das Gegenteil.

Wir haben einen sehr milden Beginn der Influenza gesehen. Ich habe noch nie früher was über die Influenza in Mexiko gehört, obwohl ich mich dort immer sehr dafür interessiert habe, wie es auf der Welt aussieht. Und dieses Jahr wusste jeder in Deutschland, dass dort in Mexiko im April dann etwa 300, 400, nachher 800 Fälle aufgetreten waren, und dann wurde die Pandemie ausgerufen. So was hat es bisher noch nie gegeben. Und diese Pandemie, die jetzt eben genannt wird, diese Epidemien überall, die hat es immer gegeben, aber dass dieser Alarm ausgerufen wurde, das war neu.

von Billerbeck: Wie kam es denn nun zu der Warnung und wer waren die handelnden Personen, die darüber entschieden haben?

Wodarg: Wir müssen da ein bisschen zurückgehen in die Jahre 2005, 2006. Damals wurde ja die Vogelgrippe uns vor Augen geführt, und wir wurden damals schon in Angst und Schrecken versetzt, dass die Weltbevölkerung ausgerottet werden könne durch eine neue Seuche, und das wurde dann von den Regierungen, in großem Maße wurden dann Tabletten gekauft, die angeblich dann uns schützen sollten.

von Billerbeck: Allein in Deutschland sind 200 Millionen Euro dafür ausgegeben worden.

Wodarg: Richtig, ja. Für ein Medikament, was nie ausprobiert wurde, weil es diese Krankheit, für die es dann eingesetzt werden sollte, gar nicht gab. Die gab es zwar bei Vögeln, die gibt es immer noch bei Vögeln, die gab es auch vorher schon da, aber beim Menschen zum Glück nicht. Und das hat dazu geführt, dass dann Pandemiepläne gemacht wurden. Diese Panik hat so gut geklappt und alle waren so wichtig geworden, die sich mit dieser Thematik befassen, dass sie sich dann regelmäßig getroffen haben und uns schützen wollten vor einer Gefahr, die sie selber sich ausgedacht haben, die sein könnte, jederzeit kommen könnte. Das war immer der Spruch, den man gehört hat.

Und diese Pandemiepläne sind dann gemacht worden, die wurden benutzt von der Industrie dann auch, um Mittel zu akquirieren, um Impfstofffabriken auf die Wiese zu stellen und neue Produktionskapazitäten dann zu schaffen. Und das musste jetzt ja irgendwann mal ausprobiert werden, das musste jetzt ja mal zum Tragen kommen.

Da ist viel investiert worden, und da hat man sich diese Grippe genommen, die man dort in Mexiko gefunden hat, hat sie aufgeblasen und hat sie zu einer Pandemie hochstilisiert und damit Angst und Schrecken verbreitet. Das hat dazu geführt, dass die Regierungen dann unter Druck standen, für die Bevölkerung was zu tun und ihre Bevölkerung jeweils zu schützen.

von Billerbeck: Das klingt unglaublich nach Verschwörungsindustrie – also die Pharmaindustrie ist an allem schuld?

Wodarg: Das ist Marketing, und das war ja sehr erfolgreich. Und das hat es noch nicht gegeben vorher, dass es Abnahmegarantien für Impfstoffe gab. Die Pharmaindustrie hat normalerweise gedacht, ja, da wird wohl wieder eine Grippe kommen, und dann produzieren wir mal, und wir werden das schon irgendwie los werden. Aber diesmal, und das ist neu, gab es Abnahmegarantien.

von Billerbeck: Nun ist ja die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, eine Unterorganisation der Vereinten Nationen – wie unabhängig entscheidet denn nun die WHO, und vor allen Dingen, wer kontrolliert sie? Es gibt ja auch Fachleute.

Wodarg: Die WHO ist ja nicht parlamentarisch kontrolliert, sondern es sind die Regierungen, die dort bei der WHO dann die einzelnen Staaten vertreten. Und es gibt die Weltgesundheitsversammlung, die die WHO kontrollieren kann, wo die Regierungen vertreten sind. Und wir haben hier natürlich, wenn bei der WHO was schiefgeht, wenn dort tatsächlich Korruption eine Rolle spielt oder ähnliche Dinge, dann müssen die Regierungen dann tätig werden und müssen dann Aufklärung fordern.

von Billerbeck: Ist das schon mal geschehen?

Wodarg: Ich weiß es nicht, hab es noch nicht gehört. Und wenn es dort Korruption gegeben hat, möglicherweise kann sein, dass innerhalb WHO selbst, im Apparat selbst dann was geregelt worden ist, aber das ist mir nicht zu Ohren gekommen. Aber was wir wollen, ist eben, dass wir jetzt auch die Regierungen mit überprüfen wollen, denn die Regierungen haben ja mitgemacht, die haben ja dieses Geschäft praktisch finanziert, was die WHO dort inszeniert hat.

von Billerbeck: Wie können Sie das machen?

Wodarg: In der parlamentarischen Versammlung des Europarates gibt es Delegationen aus allen 47 Mitgliedsstaaten, das sind ja viel mehr als die Europäische Union, da sind also auch die Ostblockstaaten dabei, die ehemaligen, und die Türkei ist dabei und die Schweiz, die selber nicht in der EU ist. Und wir haben dort Parlamentarier aus allen Parteien in dieser Versammlung, das heißt, das, was wir diskutieren, wird dann automatisch in die nationalen Parlamente getragen. Und wenn es dort einen Untersuchungsausschuss gibt, dann kommen diese Ergebnisse automatisch auch, in den nationalen Parlamenten führen die zu Diskussionen dort. Zum Beispiel der Ausschuss, die Untersuchung, die es gegeben hat von Dick Marty über die CIA-Transporte, hat ja dazu geführt, dass wir auch in Deutschland hier eine heftige Diskussion und entsprechende Untersuchungen im Bundestag dann gehabt haben. Solche Dinge könnten dann auch passieren.

von Billerbeck: Sie waren gerade im Inland, Sie sagen, die nationalen Parlamente können da Kontrollfunktionen ausüben und versuchen, ihre Regierungen also zu befragen, was da eigentlich geschehen ist. Es gibt ja auch hierzulande ein Gremium, das darüber entscheidet, welche Impfungen in diesen Impfkalender aufgenommen werden, die sogenannte Impfkommission beim Bundesgesundheitsministerium. Ist dieses Gremium unabhängig?

Wodarg: Ich glaube, das ist nicht unabhängig genug, und wir haben sowieso relativ wenig unabhängige Forschung einerseits, weil das industriefinanzierte Forschung ist meistens. Wir forschen ja, in der gesamten Pharmabranche wird ja überwiegend absatzorientiert geforscht und nicht bedarfsgerecht geforscht, sonst gäbe es zum Beispiel viel mehr Mittel gegen die wichtige Tuberkulose, da ist ja seit 30 Jahren nichts Neues geschaffen worden, da kann man kein Geld verdienen. Aber Viagra ist erfunden worden, der Haarausfall wird als schwierige Krankheit jetzt pharmakologisch näher betrachtet, da kann man nämlich viel verdienen, und ähnliche Dinge werden erfunden. Es werden Krankheiten erfunden, und die Schweinegrippe ist auch so eine Konstruktion, die zu mehr Umsatz führen soll.

von Billerbeck: Herr Wodarg, ich habe in einem Interview gelesen, dass Sie schon die Namen kritisieren, also Vogel- beziehungsweise Schweinegrippe, und ich habe ja auch immer von der sogenannten Vogel- oder Schweinegrippe gesprochen, und zwar Sie nennen schon diese Namen Beeinflussung. Warum?

Wodarg: Ja, weil, wenn die Menschen ja hören, dass es eine Seuche gibt, die vom Tier auf den Mensch überspringen könnte, das wird ja dadurch praktisch dann nahegelegt, dann haben sie noch mehr Angst, als wenn das, was jedes Jahr passiert, dass man sich in der U-Bahn anstecken kann, einfach nur so passiert. Also, dass man sich in der U-Bahn eine Grippe wegholt oder dass man sich einen Schnupfen holt und dass man dann auch mal ein paar Tage nicht zur Arbeit kann, da haben sich 20 Millionen Menschen in Deutschland jedes Jahr so bisher mit abgefunden, 10 bis 20 Millionen. Und jetzt haben wir eine Riesenpanik bei 100.000.

von Billerbeck: Jetzt haben wir erlebt, dass die Warnungen einer Panikmache gleichen. Welche Folgen werden die haben, also wenn das sich herausstellt, dass tatsächlich keine Grippe mehr kommt? Und im Moment wird ja immer noch gesagt, na ja, die war bis jetzt nicht da, aber die kann ja noch kommen.

Wodarg: Also ich glaube den Instituten, die uns da beraten, nicht mehr. Und ich bin da sehr enttäuscht, wie unkritisch dort das Handwerkszeug der Epidemiologen beiseite gelegt wird, um brav das mitzumachen, was von oben kommt, und das halte ich für eine schlimme Geschichte. Ich finde, Wissenschaftler müssen kritisch bleiben und dürfen nicht dem Mainstream hinterherschwimmen. Weshalb die das machen, weiß ich nicht. Es gibt einige, die freuen sich, dass das Thema so wichtig ist, dadurch werden sie auch wichtig, und es gibt andere, die kriegen neue Mittel für ihre Institute, wenn sie sich wichtig machen. All das mögen Gründe sein. Aber auch die Medien sind ja natürlich da, haben da mitgemacht und haben dieses Thema, diese Angstmache benutzt, um Schlagzeilen zu machen, haben also viele davon profitiert, auch viele Ärzte, die jetzt impfen konnten. Sie klagen zwar, dass sie nicht genug dafür kriegen, aber sie haben dadurch Patienten in der Praxis, und da gibt es einige, die machen das mit, und andere sind kritisch und sagen, nein, meine Patienten impfe ich nicht, das ist nicht nötig.

von Billerbeck: Was wird denn jetzt mit den Patienten, die sich haben impfen lassen gegen die sogenannte Schweinegrippe, und wenn da jetzt Langzeitwirkungen irgendwann zu bemerken sind, an wen wenden die sich?

Wodarg: Da gibt es ja Regelungen, da ist der Staat dann letztlich verantwortlich, aber das muss man dann beweisen, dass es daher kommt. Und es gibt inzwischen etwa 150 schwere, als schwer gemeldete Impfreaktionen, es gibt zehn Todesfälle, die mit der Impfung in Verbindung gebracht werden in Deutschland.

von Billerbeck: Aber da ist ja sicher noch gar nicht untersucht, ob die Impfung allein …

Wodarg: Nein, bisher gibt es noch keinen Hinweis – nach Aussagen des Paul-Ehrlich-Instituts und des Robert-Koch-Instituts gibt es noch keine Hinweise, dass die Impfung ursächlich für den Tod war. Bei diesen zehn Fällen, das sollen Fälle gewesen sein, die auch sonst noch Erkrankungen mitgebracht haben. Aber es gibt Zwischenfälle, es sind 1500 Komplikationen gemeldet, die meisten leichter Art, aber es gibt mehr Entzündungen oder mehr Reaktionen an der Impfstelle, als es sonst bei Impfungen gegeben hat, das kann man wohl so sagen jetzt schon.

von Billerbeck: Wenn sich auch nach der Debatte im Europarat bestätigt, dass die Pharmaindustrie da eine große Angstkampagne zum eigenen Nutzen geschürt hat, was muss sich dann ändern?

Wodarg: Da müssen die Konsequenzen gezogen werden, da müssen die Personen zur Rechenschaft gezogen werden, die so was gemacht haben. Das würde dann unter den Tatbestand der Korruption fallen können, und da gibt es ja entsprechende Regeln, wie man mit Menschen umgeht, die korrupt sind.

von Billerbeck: Angstmache zum Nutzen der Pharmaindustrie. Der Gesundheitspolitiker Wolfgang Wodarf war bei uns zu Gast. Herzlichen Dank für Ihr Kommen!