Angst und Bedrohung

Von Barbara Wahlster · 11.09.2005
Kürzlich sagte der ehemalige US-Außenminister Colin Powell, es gebe keinen Zusammenhang zwischen den Terroranschlägen vom 11. September und dem Irak-Krieg. Doch genau diesen versucht die US-Regierung ihrer Bevölkerung weiszumachen, kritisieren namhafte amerikanische und britische Intellektuelle. So werde ein Klima der Angst geschürt.
Der New Yorker Schriftsteller, Essayist und Übersetzer Eliot Weinberger publizierte eine ganze Serie von Artikeln: "1 Tag, 1 Woche, 1 Monat, 1 Jahr nach dem 11. September". Vier Jahre danach sagt er:

"Die Bush Regierung hat 9/11 am Leben gehalten. Jede Rede Bushs zum Irak-Krieg bezieht sich auf den 11. September. Und so glaubt die Mehrzahl der Amerikaner, dass die Flugzeugentführer Irakis waren. Sie benutzen das weiterhin als Begründung für den Krieg nach dem Motto: Wir bekämpfen den Terrorismus bei sich zu Hause. Ganz gleich, wie oft bewiesen wurde, dass kein Zusammenhang besteht zwischen dem 11. September und Saddam Hussein. Das wird aufrechterhalten und wenn man etwas oft genug wiederholt, dann glauben die Menschen zum Schluss daran."

Vor Angst sollte eine Regierung ihre Bürger schützen. Die Politiker in den USA beuten die Angst der Bevölkerung aus. Von einer "Ideologie der Angst" spricht darum der Schriftsteller Russell Banks.

"Drei Quellen werden da angezapft: Patriotismus, Nationalismus und Religion. Patriotismus kann in den USA durchaus eine positive Kraft sein - ohne zwangsläufig auch narzisstisch, pseudoreligiös oder mystisch zu sein. Nationalismus dagegen ist eine Krankheit, weil er narzisstische Selbstliebe ist, quasireligiös und weil er – das wissen Deutsche sehr gut: religiöse Züge annehmen kann. Der dritte Faktor ist Religion und die USA sind das religiöseste Land der Welt. Sogar religiöser als Israel.

Die Ideologie der Angst macht sich diese Aspekte unserer Kultur oder der amerikanischen Psyche zunutze. Und miteinander kombiniert entsteht ein ziemlich gefährliches Tier, eine grummelnde, Angst einflössende Kraft. Ich wünschte mir, die USA wären etwas mehr paralysiert oder unbeweglicher – das ist wohl das bessere Wort - statt ständig Drohgebärden auszusenden."

Wie viele kritische Stimmen in den USA, unterstreicht Russell Banks, dass die Anschläge vom 11. September einen weiteren Schub bedeuteten für den Abbau von Bürgerrechten, der unter Reagan begann und unter Clinton lediglich verlangsamt wurde. Der aus Pakistan stammende und in London lebende Schriftsteller und Publizist Tarik Ali sieht das ähnlich.

"In den USA gibt es mit den Republikanern und den Demokraten zwei Parteien, deren Köpfe einer Meinung sind. Menschen, die andere Ansichten haben, finden sich in der Mainstream-Politik überhaupt nicht wieder. Ein Problem, das sich allmählich auch in England bemerkbar macht und das ich "Krise der Repräsentation" nennen würde. Bestimmte Punkte, die für die Menschen große emotionale Bedeutung haben, stehen nicht auf der Tagesordnung der Parlamente, während die Eliten gleichzeitig eine Ideologie des Demokratismus aufrechterhalten. Wirkliche Demokratie, die öffentliche Sphäre mit ihren demokratischen Institutionen wird abgebaut. 9/11 ist nicht daran schuld, sondern die Art, wie sich der Kapitalismus verändert und entwickelt hat seit dem Zusammenbruch des Kommunismus."

In den USA verstärken die Medien diese Tendenz des geschlossenen, widerspruchslosen Mainstreams, aus dem kritische Stimmen und Einwände ausgeblendet bleiben. Eliot Weinberger:

"Bis vor zehn Tagen waren die Medien, vor allem das Fernsehen in den USA, so wie ich mir die Medien in der Sowjetunion vorstelle. Sie haben ständig die Angst vor einem bevorstehenden terroristischen Angriff angeheizt. Auf der anderen Seite hatten sie die Tendenz, uns nur nette Nachrichten aus dem Irak zu präsentieren. Die Demokratie kommt, alles läuft wunderbar, wir machen dort einen tollen Job und bauen das Land auf. Das war wirklich Propaganda.

Seit dem Hurrikan Katrina ist eine deutliche Veränderung eingetreten. Seit dem Parteitag der Demokraten in Chicago 1968, als es die Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg gab, sah ich keine so wütenden Reporter mehr. Die Journalisten waren sofort in New Orleans und anderswo am Golf und warteten auf die Hilfsmaßnahmen. Als die Tage vergingen und nichts passierte und sie sahen, wie die Menschen starben, hatten wir plötzlich Reporter auf den Bildschirmen, die aus ihrer Wut keinen Hehl machten. Eine 180 Grad Wende in den Medien. Wohin sie führen wird, ist schwer zu sagen."

Bisher garantierte lediglich das Internet mit seinen Netzwerken, Mailing Listen und Blogs die Verbreitung von unterschlagenen Nachrichten und auch von kritischen Texten. Also hat Eliot Weinberger seine Publikationen ins Netz verlegt.

"Die Bush-Ära ist ohne Internet schwer vorstellbar. Es ist in den USA die einzige Quelle für Gegenöffentlichkeit und für abweichende Meinungen. Außerdem die einzige Möglichkeit für uns, an Nachrichten aus der Weltpresse zu kommen. Darin stehen Dinge, von denen wir nie erfahren, auch nicht aus der New York Times oder der Washington Post.

Meine Artikel erscheinen nur übersetzt im Ausland. Die englische Version schicke ich an Freunde und von dort geht es dann weiter. Das ist eine wunderbare Art zu veröffentlichen. Mein letzter Text: "Was ich hörte vom Irak" landete so auf 30.000 Websites. Die Verbreitung ist unglaublich, weil die Menschen in den USA nach Nachrichten gieren."

Die gründliche Abschottung der Vereinigten Staaten vom Rest der Welt verstärkt die Angstkonditionierung. Bei aller Kritik auch an den europäischen Medien unterstreicht Tarik Ali, dass den Reaktionen auf die Anschläge in der Londoner U-Bahn ein anderes Politikverständnis zugrunde liegt.

"Der große Unterschied besteht darin, dass in Großbritannien 2/3 der Bevölkerung davon überzeugt waren, dass der Krieg im Irak schuld war für die Bombenangriffe. Das ist ein wichtiger Unterschied, dass sie Blair deswegen angegriffen haben, während sich in New York niemand vorstellen konnte, warum das Ganze. Sie wussten ja nicht einmal, wo der Nahe Osten liegt. Die Menschen in England wissen das.

Dieses Klima der Angst, das Bush kreiert hat, war lange erfolgreich. Aber ich glaube nicht, dass es weiterhin besteht. Denn bei meinen vielen Reisen in den USA habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Menschen allmählich verstehen, dass der Irak-Krieg unpopulär wird. Jetzt gibt es jemanden, wie Cindy Sheean, deren Sohn getötet wurde und die vor Bushs Haus kampiert. Das ganze Land hörte ihr zu. Da ändert sich etwas. "