Angriffe auf Muslime

Von Behörden und Öffentlichkeit alleingelassen

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Sechs muslimische Frauen beten in der Sehitlik Moschee in Berlin-Neukölln. Das Foto zeigt sie von oben, aus der Vogelperspektive.
Gläubige Muslime - hier in einer Moschee in Berlin - werden in Deutschland durch Gewalttaten bedroht. Der Staat tue zu wenig, um sie bei ihrer Religionsausübung und im Alltag zu beschützen und die Täter zu verfolgen, meint Autor Fabian Goldmann. © picture alliance/dpa/imageBROKER
Ein Debattenbeitrag von Fabian Goldmann · 24.06.2019
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Eingeworfene Scheiben, zerrissene Korane, Brandanschläge: Das ist Alltag vieler Moscheegemeinden. Doch die Behörden verfolgten die Täter nicht konsequent, so Fabian Goldmann. Er fordert: Empört euch über diese "Religionsfreiheit zweiter Klasse"!
Falls die Täter besonders anschaulich zeigen wollten, wie sehr ihnen der Islam sprichwörtlich am Arsch vorbei geht, haben sie dieses Ziel zumindest erreicht. 50 Koran-Ausgaben haben sie zerstört. Die Überreste des Heiligen Buchs der Muslime: Zerrissen, ins Klo geschmissen und drauf geschissen.
Der Übergriff auf eine Moschee in Bremen hat für große Empörung gesorgt. Große Medien berichteten. Politiker zeigten sich entsetzt von der neuen Dimension der Islamfeindlichkeit. Doch neu war an dem Vorfall allenfalls das große öffentliche Interesse.
Verbale Einschüchterungen, schriftliche Morddrohungen, rassistische Graffiti, abgetrennte Schweineköpfe, eingeworfene Scheiben, Brandanschläge: Angriffe und Drohungen gehören so selbstverständlich zum muslimischen Gemeindeleben in Deutschland wie überfüllte Gebetsräume und das holprige Deutsch der Imame. Nur bekommt die nicht-muslimische Öffentlichkeit davon kaum etwas mit.

Verschleiert die Statistik das wahre Ausmaß der Angriffe?

Das Desinteresse beginnt schon bei der offiziellen Erfassung. 48 Straftaten mit dem Angriffsziel "Moschee" hat das Bundesinnenministerium für das Jahr 2018 gezählt. Ausgenommen von der Zählung hat es dabei allerdings Angriffe auf "Stätten der Religionsausübung" und "Moscheevereine". Was eine Moschee anderes sein soll als eine "Stätte der Religionsausübung", konnten mir weder Behörden- noch Moscheevertreter erklären. Ebenso wenig, was der praktische Unterschied zwischen einer "Moschee" und einem "Moscheevereine" sein soll, wo doch fast jede Moschee in Deutschland als Verein organisiert ist.
Vertreter islamischer Organisationen werfen dem Ministerium deshalb schon seit Langem vor, mit der Statistik eher verschleiern als aufklären zu wollen. Wie viele der rund 2500 muslimischen Gebetsstätten in Deutschland eine Chance haben, vom Bundesinnenministerium berücksichtigt zu werden, ist unklar. Sicher ist: Die wenigsten von ihnen entsprechen dem klassischen Bild einer Moschee mit Kuppel und Minarett. Die meisten Muslime beten in Büroräumen oder überfüllten Privatwohnungen. Opfer von Übergriffen werden sie aber auch dort.

Von Polizei und Staatsanwaltschaft allein gelassen

Oftmals reicht auch schon die bloße Angst vor Gewalt, um muslimisches Gemeindeleben spürbar einzuschränken. Aus Sorge vor rechten Protesten scheuen Eigentümer davor zurück, Räume an Muslime zu vermieten. Baufirmen weigern sich aus Angst vor Anschlägen, Moscheen zu errichten. Behörden verschärfen Genehmigungsverfahren, weil Lokalpolitker das Niemandsland zwischen Autobahnzubringer und Reifenhandel zum Schauplatz eines kommunalpolitischen Kulturkampfes erkoren haben. Und Gläubige scheuen aus Angst vor Übergriffen den Weg zum gemeinsamen Gebet.
Werden sie dann doch Opfer von Straftaten, fühlen sich viele Muslime auch von Polizei und Staatsanwaltschaft allein gelassen. Offizielle Zahlen bestätigen diesen Eindruck. Den 132 behördlich erfassten islamfeindlichen Straftaten in den ersten drei Monaten dieses Jahres steht keine einzige Verhaftung oder Verurteilung gegenüber. Die Folge: Viele Straftaten werden gar nicht erst zur Anzeige gebracht.

Muslimische Opfer kommen in Redaktionen nicht vor

Aber auch Medien tragen zur fehlenden Aufklärung bei. Sorgte die Koran-Schändung in Bremen im Juni noch für bundesweite Berichterstattung, fanden die eingeworfenen Fenster einer Kasseler Moschee einen Tag später nur in der Lokalpresse statt. Auch als eine Woche zuvor vor einer Moschee in Mönchengladbach Schweinekopf und Tierblut landeten, blieb die Empörung aus. Ebenso wie nach dem Brandanschlag auf eine Moschee im nordrhein-westfälischen Hagen Ende Mai.
Ein Grund dafür ist auch: Über Muslime wird vor allem dann berichtet, wenn sie selbst Straftaten begehen. Studien zeigen: Muslimische Opfer kommen in vielen Redaktionen kaum vor. Oder etwas anschaulicher ausgedrückt: Straftaten gegenüber Muslimen gehen nicht nur den Attentätern von Bremen am Arsch vorbei.

Fabian Goldmann ist Journalist und Islamwissenschaftler. Für verschiedene Magazine und Zeitungen berichtete er viele Jahre aus dem Nahen Osten. Zurzeit widmet er sich vor allem dem Islam diesseits des Bosporus. Auf seinem Blog Schantall und die Scharia schreibt er über Islamophobie in Deutschland.

© Camay Sungu
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