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Fruchtfliege
Meister des Bewegungssehens

Optische Täuschungen gaukeln dem Betrachter etwas vor, das eigentlich nicht da ist. Dies ist jedoch kein Fehler unseres Sehvermögens. Forscher des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie haben jetzt untersucht, wie Fruchtfliegen auf optische Täuschungen reagieren.

Von Joachim Budde | 02.06.2016
    Eine Fruchtfliege (drosophila melanogaster) auf einem Blatt.
    Die winzigen Fruchtfliegen sind ein beliebtes Studienobjekt für Genetiker. (imago stock&people / blickwinkel)
    Mit winzigen Fruchtfliegen zu arbeiten ist eine fummelige Angelegenheit. Etienne Serbe hat ein solches Tier an einem Haken befestigt
    "Man hat sie hier hinten am Rücken festgeklebt. Wir benutzen immer weibliche Fliegen, weil sie ein bisschen größer sind. Und man benutzt dann den Halter hier und spannt sie in den Setups ein."
    Die eingespannte Fliege kann auf einem murmelgroßen Styroporball herumkrabbeln. Der Ball wiederum schwebt auf einem schwachen Luftstrom, er kann sich fast ohne Reibung in alle Richtungen drehen, mit jedem Schritt mit, den die Fliege macht. Vor der Fliege stehen drei Monitore, die das komplette Gesichtsfeld des Insekts ausfüllen. Darauf gaukeln die Biologen vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie dem Tier vor, die Welt bewege sich. Kameras filmen das Insekt und den Ball, sagt Matthias Meier.
    "Somit kann man dann ausrechnen, wie sich der Ball bewegt hat, und dadurch auch in welche Richtung die Fliege sich drehen wollte."
    Genetisch veränderte Fliege
    Auf den Monitoren bewegen sich Streifen von rechts nach links. Eigentlich müsste die Fliege den Eindruck haben zu taumeln und sich mitdrehen um die Bewegung auszugleichen, genau wie ein Mensch im 3D-Kino.
    Aber das macht sie nicht. Sie bleibt stehen. Sie ist "bewegungsblind". Denn die Max-Planck-Forscher aus Martinsried haben die Fliege genetisch verändert. Sie haben in die Nervenzellen, die Bewegungen erkennen, ein temperaturempfindliches Gen eingeschleust.
    "Das dann erst aktiviert wird, wenn die Temperatur höher gedreht wird, dann können die Nervenzellen, in denen das Protein exprimiert wird, nicht mehr antworten, und dadurch werden die dann bewegungsblind."
    Die Wissenschaftler schalten diejenigen Zellen im Auge der Fliege aus, die erkennen, aus welcher Richtung eine Bewegung kommt. Die Neuronen leiten diese Information normalerweise schon vorsortiert an das Gehirn weiter. Diesen Verarbeitungsweg hat die Arbeitsgruppe schon vor drei Jahren entdeckt. Dann wollten die Forscher wissen, ob diese Fliegen wirklich überhaupt keine Bewegungen mehr erkennen können. Dazu zeigt Matthias Meier den Fruchtfliegen im Labor andere Bilder auf den Monitoren.
    "Wir haben jetzt hier mal zwei verschiedene Stimuli vorbereitet."
    Beim ersten sind es Bilder mit Bäumen als Landmarken. Dreht sich das Panorama, bewegen sich also die Bäume nach rechts oder links, korrigieren die bewegungsblinden Fliegen ihren Kurs und laufen weiterhin auf die Landmarke zu. Als zweites benutzten die Forscher eine optische Täuschung, eine sogenannte "Kontrast-Bewegungs-Illusion". Die Monitore zeigen dabei einen einheitlich grauen Balken vor einem Grauverlauf: Von links dunkel nach rechts hell. Verändern die Forscher den Grauton des Balkens, scheint er sich zur Seite zu schieben.
    "Das sieht so als wäre es eine Bewegung von links nach rechts oder von rechts nach links."
    Zwei verschiedene Verarbeitungswege für Bewegung
    Die Fliegen drehen sich mit, um das Taumeln auszugleichen, egal ob sie bewegungsblind sind oder nicht. "Das war eine Überraschung", sagt Professor Alexander Borst, der die Arbeitsgruppe leitet.
    "Das war eben wirklich interessant und nahezu paradox, dass eine Bewegungsillusion in bewegungsblinden Fliegen zur gleichen Reaktion geführt hat. Das ist uns auch erst im Lauf der Zeit gedämmert."
    Daraus schließen die Forscher, dass es im Fliegenhirn mindestens zwei verschiedene Verarbeitungswege gibt für Bewegungen.
    "Einen, der für die Detektion von Bewegung und deren Richtung zuständig ist, und ein anderes System, welches für die Detektion von Landmarken zuständig ist."
    Obwohl die Forscher also elementare Nervenzellen im Sehsystem ausgeschaltet hatten, konnte die Fliege immer noch Bewegungen wahrnehmen. Optische Täuschungen geben den Wissenschaftlern Hinweise darauf, wie das Sehsystem wirklich funktioniert.