Angela Merkel besucht Auschwitz

"Ich empfinde tiefe Scham"

07:32 Minuten
Eine Frau steht vor einer Wand mit vielen Bildern von Menschen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel vor ihrer Rede im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau © picture alliance/dpa/Robert Michael
Von Florian Kellermann · 06.12.2019
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Wenige Wochen vor dem 75. Jahrestag der Befreiung hat Kanzlerin Angela Merkel das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz besucht. Sie fand dort klare Worte – auch gegen den aktuellen Antisemitismus.
Ganz in schwarz gekleidet ging Angela Merkel zunächst durch das sogenannte Stammlager Auschwitz I, Seite an Seite mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki.
Vor der sogenannten Schwarzen Wand verharrte sie fast eine Minute schweigend, den Kopf gesenkt. An diesem Ort wurden Tausende Gefangen durch Genickschüsse ermordet, die meisten von ihnen aus politischen Gründen.
Der zweite Teil des Besuchs war dem Lager Auschwitz II oder Auschwitz-Birkenau gewidmet. Es wurde vor allem eingerichtet, um Juden in Gaskammern zu töten. Mit rund einer Million Menschenleben stellten sie die weitaus größte Opfergruppe in Auschwitz-Birkenau dar.

"Barbarische Verbrechen von Deutschen"

Es falle ihr als deutscher Bundeskanzlerin schwer, in Auschwitz zu sprechen, erklärte Angela Merkel bei einem Festakt:
"Ich empfinde tiefe Scham angesichts der barbarischen Verbrechen, die hier von Deutschen verübt wurden, Verbrechen, die die Grenzen alles Fassbaren überschreiten. Vor Entsetzen über das, was Frauen, Männern und Kindern an diesem Ort angetan wurde, muss man eigentlich verstummen. Denn welche Worte könnten der Trauer gerecht werden?"
Ein Mann und eine Frau stehen vor einem Denkmahl.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Mateusz Morawiecki, Ministerpräsident von Polen, gedenken den Ermordeten in Auschwitz.© picture alliance/dpa/Robert Michael
Dennoch müsse man sprechen, schon, um der vielen namenlosen Opfer willen. Und Angela Merkel setzte auch einen deutlich politischen Akzent in ihrer Rede. Sie stellte den Holocaust in Bezug zu aktuellen Vorgängen:

Besorgniserregender Rassismus

"Wir erleben einen Besorgnis erregenden Rassismus, eine zunehmende Intoleranz, eine Welle von Hassdelikten. Wir erleben einen Angriff auf die Grundwerte der liberalen Demokratie und einen gefährlichen Geschichtsrevisionismus im Dienste einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Besonders richten wir unser Augenmerk auf den Antisemitismus, der jüdisches Leben in Deutschland, in Europa und darüber hinaus bedroht."
Anlass für den Festakt war das zehnjährige Jubiläum der Stiftung, die Restaurationsarbeiten auf dem ehemaligen Lagergelände, also der heutigen Gedenkstätte, mitfinanziert. Weitere 60 Millionen Euro wird Deutschland beisteuern, je zur Hälfte der Bund und die Länder. Der Direktor des Museums Piotr Cywinski würdigte diesen Beitrag:
"Vor zwei Jahren haben wir Ihnen dargelegt, dass das derzeitige Vermögen der Stiftung nicht ausreicht, um die Gedenkstätte zu erhalten. Die Zeit hat gedrängt, und Deutschland hat eine Antwort gegeben. Dafür bin ich tief dankbar. Wir machen das für unsere gemeinsame Zukunft."

Überlebender spricht über die "Sauna" von Auschwitz

Auch ein Auschwitz-Überlebender kam zu Wort. Bogdan Bartnikowski erinnerte sich an das Gebäude, in dem der Festakt stattfand, die sarkastisch so genannte "Sauna". Dort wurden Gefangene, die nicht sofort getötet werden sollten, auf entwürdigende Weise gewaschen und desinfiziert.
"Es gab keine Seife und kein warmes Wasser. Wir konnten uns nicht abtrocknen. Wir wurden nach dem Abduschen in den nächsten Saal getrieben. Dort saßen wir nackt, die ganze Nacht. Ich weiß noch, dass ich damals einfach nur in der Nähe meiner Mutter bleiben wollte."
Beide, Bogdan Bartnikowska und seine Mutter, überlebten das Vernichtungslager Auschwitz.

Bekenntnis zur deutschen Verantwortung

Die polnischen Medien berichteten unmittelbar nach Merkels Rede vor allem über ihr Bekenntnis zur deutschen Verantwortung für das Vernichtungslager und für den Holocaust. Vor allem regierungsnahe Medien werfen Deutschland vor, es wolle seine Schuld relativieren, indem es auf die Kollaboration auch von ethnischen Polen verweise.
Für ein "gutes Signal" hält Florian Kellermann den Besuch von Angela Merkel. Sie habe klar gemacht, dass Deutschland keinen Antisemitismus dulde und sich zur historischen Verantwortung bekenne. Merkels Worte seien von polnischen Medien und von Jüdinnen und Juden gut aufgenommen worden. Das Gespräch mit Kellermann hören Sie in der zweiten Hälfte des Beitrags.
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