Anfechtung der Wahl in Österreich

Verfassungsgericht verhandelt über FPÖ-Klage

Österreichs jetziger Bundespräsident Alexander Van der Bellen und der Wahlverlierer Norbert Hofer von der rechtspopulistischen FPÖ während einer Wahlsondersendung im Fernsehen.
Nach dem Duell ist vor dem Duell: Wahlgewinner Alexander Van der Bellen (l.) und Wahlverlierer Norbert Hofer von der FPÖ treten möglicherweise wieder gegeneinander an. © picture alliance / dpa / Florian Wieser
Von Ralf Borchard · 20.06.2016
Muss die Präsidenten-Stichwahl in Österreich wiederholt werden? Das Verfassungsgericht wird entscheiden, wie schwerwiegend mögliche Formfehler waren. Der amtliche Sieger Alexander Van der Bellen muss um seinen Sieg zittern, dem Land droht eine Blamage.
Zwar schütteln in Österreich bei diesem Gedanken die meisten ungläubig den Kopf – Juristen, Politiker, Wähler - doch es spricht tatsächlich einiges dafür, dass die Präsidenten-Stichwahl wiederholt werden muss. Bei der Wahlanfechtung der FPÖ geht es zwar vor allem um Formfehler, etwa um das zu frühe Öffnen von Briefwahlunterlagen. Doch auch Formfehler können für eine Wahlwiederholung ausreichen, betont der frühere FPÖ-Justizminister Dieter Böhmdorfer.
"Man hat 120.000 von diesen Briefwahlkarten geöffnet – vor Montag, noch am Sonntag. Das heißt, alleine wenn man sie geöffnet hat, sind diese Wahlkarten damit ungültig, weil sie am Sonntag noch geöffnet wurden, und trotzdem hat man sie am Montag mit einbezogen."
Das Wahlgesetz in Österreich schreibt vor, dass Briefwahlstimmen erst ab Montag, 9 Uhr ausgezählt werden dürfen. In vielen Bezirken haben das Wahlleiter und Beisitzer offenbar schlicht ignoriert. Auch der Verfassungsrechtler Heinz Mayer, der dem früheren Parteichef der Grünen Alexander Van der Bellen nahe steht, spricht von "unfassbarer Schlamperei".

Verantwortlich ist der Bundesinnenminister

"Die haben ja offenbar das Gesetz nicht einmal gelesen. Es ist seit 1. Jänner eine Vorschrift in Kraft, die regelt, wie Wahlkarten auszuzählen sind, nämlich am Montag ab 9 Uhr, und das ist genau festgelegt. Und die sagen: na, wir haben das immer so gemacht, das ist so Tradition, das haben wir seit Jahrzehnten so gemacht – das ist ja unfassbar!"
Formal zuständig für den korrekten Ablauf einer Wahl ist der Bundesinnenminister. Wolfgang Sobotka, ÖVP, hofft zwar, dass es nicht zu einer Wahlwiederholung kommt, nach seinen Worten wäre dies für Österreich eine Blamage, doch auch Sobotka schließt diese Möglichkeit nicht aus. Zwar hätten alle Beisitzer unterschrieben, die Regeln eingehalten zu haben, auch die Vertreter der FPÖ, doch der Wahrheit habe das in vielen Fällen nicht entsprochen:
"Dort, wo man dreist am Sonntag eine Auszählung vornimmt und unterschreibt, dass man das Protokoll am Montag ausfertigt – das geht ganz einfach nicht, das ist ein Rechtsbruch, da gibt’s nichts zu rütteln und zu deuteln."

90 Zeugen in vier Tagen

Es gibt auch Experten, die betonen, eine ganze Wahl allein aufgrund von Formfehlern aufzuheben, sei der falsche Weg. Doch ausschließen kann auch Bernd-Christian Funk nichts. Klar ist für renommierten Verfassungsjuristen: wenn, kann die Stichwahl nicht nur teilweise, sie muss ganz wiederholt werden:
"Bei der Bundespräsidentenwahl käme wenn überhaupt nur eine Aufhebung des gesamten zweiten Durchgangs in Betracht. Wir müssen dann neu, noch einmal wählen."
Noch hat der Verfassungsgerichtshof nicht entschieden. Zunächst werden mindestens 90 Zeugen, darunter viele Bezirkswahlleiter und Beisitzer gehört – in öffentlicher Sitzung, vier Tage lang. Noch ist auch unklar, wie lange die Verfassungsrichter im Anschluss beraten. Doch Alexander Van der Bellen muss in jedem Fall damit rechnen, dass der geplante Termin für seine Vereidigung am 8. Juli nicht zu halten ist. Und wenn das Verfassungsgericht tatsächlich am Ende eine Wiederholung anordnet, wann würde dann neu gewählt? Innenminister Sobotka:
"Ich schätze, dass das im Herbst noch stattfinden kann."
Der ganze Wahlkampf, auch die Fernsehdebatten wieder von vorn? Österreich international blamiert? Am Ende möglicherweise doch Norbert Hofer knapp vorn? Alles vorstellbar – auf den Verfassungsrichtern lastet enorme Verantwortung.

Wiederholung im Herbst möglich

Es ist eine der umfangreichsten Beweisaufnahmen in der Geschichte des österreichischen Verfassungsgerichts. Zunächst sollen an vier Tagen 90 Zeugen gehört werden, darunter viele Bezirkswahlleiter und Beisitzer. Die Sitzungen sind öffentlich, das Ganze soll für die Wählerinnen und Wähler möglichst nachvollziehbar ablaufen. Zwar geht es vor allem um Formfehler bei der Auszählung, etwa das zu frühe Öffnen von Briefwahlumschlägen. Doch Verfassungsexperten betonen, dass auch solche Formfehler für eine Wahlwiederholung ausreichen können. Innenminister Wolfgang Sobotka hat betont, er hoffe nicht, dass es zu einer Wahlwiederholung komme, dies würde für Österreich eine Blamage bedeuten. Doch ausschließen will auch er diese Möglichkeit nicht. Sobotka hat als möglichen Termin bereits den Herbst genannt, wahrscheinlich wäre, wenn es zur Wiederholung der Präsidenten-Stichwahl kommt, ein Sonntag Ende Oktober.
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