Andy Warhols klarer Blick auf die Welt

Von Marc-Christoph Wagner · 08.01.2013
Der US-Künstler Andy Warhol ist vor allem für seine farbenprächtigen Porträts von Prominenten wie Mao oder Marilyn Monroe bekannt. Das Louisiana Museum of Modern Art nördlich von Kopenhagen zeigt nun eine ganz andere Seite seines Werkes.
Ursprünglich tat sich Patti Smith schwer mit Andy Warhol - persönlich wie auch mit dessen Kunst. Die amerikanische Dichterin und Punkikone - 2010 ausgezeichnet mit dem National Book Award für ihr Erinnerungsbuch "Just Kids" - kannte Warhol durch ihren Freund Robert Mapplethorpe. Im New York der 1960er- und 70er-Jahre kreuzten sich die Kreise dieser drei Künstler immer wieder. Erst nach Warhols Tod erkannte Smith die Bedeutung von dessen Werk:

"Ich begriff das am 11. September 2001. Ich lebte in New York City und sah, wie die Türme des World Trade Center einstürzten. Damals habe ich viel an Andy Warhol gedacht. Als Künstler habe ich ihn sehr vermisst, denn er hätte gewusst, wie man künstlerisch darauf reagiert. Er hätte diese furchtbaren Ereignisse nicht verhindern können, aber er hätte gewusst, wie man sie dokumentiert und mit ihnen umgeht."

Dass Warhol über eine scharfe Beobachtungsgabe verfügte, das dokumentieren schon die rund 250 frühen Zeichnungen, die das Louisiana Museum of Modern Art seit heute zeigt. Mitsamt stammen sie aus den 1950er-Jahren, als Warhol sich in New York als Grafiker etablierte und rasch ein gefragter Mann war unter den Redakteuren von Modezeitschriften und Illustrierten. Der Leiter des Louisiana-Museums Poul Erik Tøjner:

"In gewisser Weise dokumentiert diese Schau die Seele Andy Warhols. Sie zeigt, wie früh er bereits einen szenischen Blick hatte auf die Welt. Den Warhol, den wir kennen - er verwandelt Einzelpersonen in Typen oder singuläre Ereignisse in solche, die etwas aussagen über uns und unsere Gegenwart. Er reduziert und intensiviert dadurch - und führt uns so die Welt vor Augen."

In vielerlei Hinsicht bezeichnen die Skizzen einen Übergang. Sie zeigen Hände, Köpfe, Alltagsszenen, erinnern in ihrer Präzision und Einfachheit an Dix, Schiele, Grosz und Klimt - Maler, mit denen sich Warhol, Sohn osteuropäischer Eltern, während seines Kunststudiums befasst hatte. Gleichzeitig dokumentieren die Zeichnungen, wie genau Warhol seine Umgebung wahrnahm, wie er die Welt um sich herum permanent in Bilder verformte.

"Vielleicht ist es nicht das einzelne Bild, das zählt. Zusammen aber erweitern sie unser Verständnis von einem der größten Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eben deswegen ist es wichtig, auch diese frühen Werke zu zeigen. Sie komplettieren unser Bild von Warhols Welt."

Mit anderen Worten: Warhols frühe Zeichnungen erweitern den Blick auf Warhol, mehr als dass sie ihn verändern. Um 1960 entschloss sich Warhol, den Weg des Grafikers zu verlassen und den des Künstlers zu gehen. Mit seinen berühmten Siebdrucken tauchte er ein in die Welt der Farben, die Anonymität des Alltags verließ er zugunsten der Welt der Ikonen - porträtierte Mao, Marilyn Monroe oder Jackie Kennedy, machte aus Suppenbüchsen Kult und aus sich selbst eine Kultfigur des amerikanischen Pop. Poul Erik Tøjner:

"Was wir hier sehen ist, wie Warhols künstlerischer Blick auf die Welt geboren wird. Sicherlich interessiert auch mich persönlich der spätere Warhol mehr. Und dennoch wird uns durch diese Skizzen klar, was sich in dem Moment entfaltet, in dem er beschließt, den Weg des Künstlers zu gehen."

Vielleicht aber gilt auch der umgekehrte Schluss. Die frühen Zeichnungen Andy Warhols haben eine Klarheit und Unmittelbarkeit, die manch spätere Pop-Pose vermissen lässt. Und schließlich war es auch dieser klare Blick auf die Welt, den Warhols Zeitgenossin Patti Smith Jahre später so vermisste.


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