Andreas Maier: "Die Familie"

Was man der Verwandtschaft durchgehen lässt

06:44 Minuten
Die Abbildung zeigt das Buchcover und einen farbigen Hintergrund.
Andreas Maier schreibt seinen neuen Roman über die eigene Familiengeschichte. © Suhrkamp / Deutschlandradio
Von Michael Opitz  · 07.08.2019
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Auf urkomische Weise schreibt Andreas Meier über seine Familie. Doch in seinem Roman wird es ernst, denn das Grundstück, auf dem die Familie sitzt, kam während der NS-Zeit in ihren Besitz. Es stellt sich die Frage nach der Schuld.
Andreas Maiers Roman "Das Haus" (2011) ist Teil des literarischen Großprojekts des Autors, das in dem in der Wetterau gelegenen Friedberg spielt. Dabei bildet die hessische Kleinstadt den Ausgangspunkt seiner erzählerischen Exkursionen. In "Das Haus" wird der Protagonist Andreas, als er drei Jahre alt ist, von seiner Schwester die Kellertreppe im elterlichen Haus hinuntergeführt. Als sie die letzte Stufe erreicht haben, versetzt sie ihm einen Stoß. Er fällt auf den Boden. Sie löscht das Kellerlicht, lässt ihren Bruder im Dunkeln liegen und macht sich auf den Weg zu ihren Freundinnen.
Die Erfahrung der Dunkelheit macht Maiers Erzähler, der zugleich sein Alter Ego ist, Jahre später erneut. In einem weiteren Teil seiner Familiensaga mit dem Titel "Die Familie" geht Maiers Protagonist aber dieses Mal eine Treppe hinauf. Sprichwörtlich schwarz vor Augen wird ihm, als er erfährt, dass das Grundstück der Familie bis 1937 einem jüdischen Unternehmer gehörte. Maiers Vorfahren können es also erst während oder nach der NS-Zeit erworben haben. Darüber aber ist in der Familie nie gesprochen worden. Und keine Antwort bekam Maier auch auf die Frage, ob jemand aus der Familie der Nazi-Partei angehörte.

Zwei Erzählungen, aufeinander bezogen

Welche Bedeutung die Nachricht über den jüdischen Vorbesitzer des Grundstücks für den Autor hat, macht Maier in der formellen Anlage seines Buches deutlich. Die Geschichte des jüdischen Geschäftsmanns Theodor David Seligmann wird im Kapitel "Meine Familie ist eine Familie, die immer Grabsteine gemacht hat" erzählt. Durch die Anspielung auf die Familientradition – Maiers Vorfahren waren Steinmetze – bekommt das Schicksal der Juden in Friedberg eine doppelte Bedeutung. Davon deutlich abgesetzt erzählt Maier in den vier vorangehenden Kapiteln auf höchst amüsante Weise oft absurd anmutende Geschichten, die von seinen Eltern und seinen beiden Geschwistern handeln. Eine zentrale Rolle spielt der Abriss einer denkmalgeschützten Mühle auf dem Grundstück, dem die gesamte Familie zuschaut. Dabei sieht der Erzähler etwas ganz anderes als sein Vater.
Strikt trennt Maier beide Geschichten voneinander, obwohl sie doch aufeinander bezogen sind. Denn es geht ihm darum zu fragen: Was hat man mit eigenen Augen gesehen? Wenn es sich als notwendig erweist, muss man gesehen haben, was der Familie nützt, auch wenn es dem widerspricht, was man gesehen hat. Die abgerissene Mühle und das Familiengrundstück grundieren die von Maier erzählte Familiengeschichte, die er angesichts der neuen Erkenntnisse über den jüdischen Vorbesitzer neu erzählen müsste.

Die Mitschuld der eigenen Familie

Andreas Maier hat einen wunderbaren Roman geschrieben. Bei aller Ernsthaftigkeit muten die absurden Familienkonstellationen immer wieder sehr komisch an. Entschieden aber zeigt der Erzähler eine Grenzlinie auf und macht so deutlich, was man der eigenen Familie durchgehen lassen kann, und wann sich ein Augenzwinkern verbietet: Wenn man in der NS-Vergangenheit darüber hinweggesehen wurde, was doch mit eigenen Augen zu sehen war und sich so mitschuldig gemacht hat.

Andreas Maier: "Die Familie"
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019
166 Seiten, 20,00 Euro

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