Andere Blicke auf einen großen Komponisten

Rezensiert von Tilman Krause · 23.05.2010
Von allen deutschen Komponisten der Romantik ist Robert Schumann sicherlich der romantischste. Er hat jenen Zug ins Weite, der für die Romantiker so typisch war. Er hat sich in allen musikalischen Gattungen versucht. Und - noch wichtiger - er war auch als Komponist ein Intellektueller.
Von der Literatur her kommend, hat er nicht nur sein eigenes musikalisches Tun immer reflektierend begleitet. Er hat auch als Publizist und Herausgeber einer Musikzeitschrift, die er selbst begründete, seinen Mann gestanden als "Stratege im Musikkampf", um ein auf die Literatur gemünztes Wort von Walter Benjamin abzuwandeln.

Man hat Robert Schumann lange Zeit seine Gegnerschaft zu Richard Wagner als Zeichen des Konservatismus, wenn nicht der Vorgestrigkeit angerechnet und Schumann als einen unpolitischen, wenig kämpferischen Träumer angesehen. Aber das stimmt nicht. Das ist ein Klischee des späten 19. Jahrhunderts, das obsolet geworden ist. Schon Robert Schumann selbst hat von sich gesagt:

"Es affiziert mich alles, was in der Welt umgeht, Politik, Literatur, Menschen - über alles denke ich in meiner Weise nach, was sich dann durch die Musik Luft machen, einen Ausdruck suchen will."

Damit weist Schumann letztlich nur mit einem einzigen anderen deutschen Komponisten eine gewisse Ähnlichkeit auf - mit Richard Wagner nämlich, ausgerechnet. Mit diesem, nur drei Jahre jüngeren Kollegen hatte Robert Schumann übrigens auch gemeinsam, dass er das große umwälzende Ereignis seiner Generation - die Revolution von 1848 - ebenfalls in Dresden erlebte. Allerdings nicht, wie der gefeierte Opernkomponist, auf den Barrikaden, aber auch nicht abseits im stillen Winkel.

Obgleich Schumann in das revolutionäre Geschehen selbst nicht eingriff, hat er doch die Ereignisse mit größter Aufmerksamkeit verfolgt, in seiner Zeitschrift kommentiert. Und den kläglichen Ausgang der Revolution nahm er zum Anlass, nun auf dem Gebiet der Kunst, insonderheit aber der Musik, die Sache des Volkes und seiner Emanzipation fortzuführen.

Von diesem Epochenereignis her rollt denn auch Martin Geck, einer der führenden Musikwissenschaftler unseres Landes, seine Schumann-Biografie auf. Von der Opposition zu Wagner ausgehend, schildert er Schumann als einen ästhetischen Avantgardisten, der vor allem als Kammermusiker und speziell als Komponist für Klaviersolo vom musikalischen Experiment seinen Ausgang nimmt.

In seinen letzten Lebensjahren jedoch - Schumann verfiel bereits mit 44 Jahren dem Wahnsinn und starb zwei Jahre später, 1856 - sind die Zeichen unübersehbar, dass es ihm nun um eine nationale Kunst zu tun war, jedoch in einem liberalen, bürgerlichen, "klassischen" Sinn. Dabei blieb Schumann insofern immer "Romantiker", als er auch das Klassische, das Nationale in einem ganz und gar individuellen, wir würden heute sagen: unangepassten Stil zu schaffen versuchte, womit er zu seiner Zeit und also vor der Reichseinigung von 1871 auch durchaus Anerkennung fand.

"Das Unangepasste war damals noch nicht in die Subkultur abgewandert, verkörperte vielmehr das schlechte Gewissen des gut situierten Bürgers, der noch ahnte, was alles auf der Strecke blieb, wenn Gewinnmaximierung zur obersten Devise wurde. So gesehen ist dieses Buch nicht nur aus Bewunderung für einen schwierigen, sich jedoch vor dem Zusammenbruch niemals aufgebenden Künstler und Musikintellektuellen geschrieben, sondern auch aus Respekt vor einer Gesellschaft, die eine solche Persönlichkeit zwar nicht auf Händen trug, ihren Wert aber auch nicht wie selbstverständlich am Grad ihrer Vermarktbarkeit maß."

Während uns Martin Geck mit seiner Biografie einen Schumann zeigt, der in den Kämpfen und Debatten seiner Zeit steht, liefert sein Kollege Peter Gülke ein Porträt, das sich vor allem mit den vielen musikalischen und ästhetischen Projekten Schumanns auseinandersetzt.

Auch er rehabilitiert seinen Helden in gewisser Weise, nicht so sehr indem er den Intellektuellen in Schumann herausstreicht, sondern indem er zu demonstrieren versucht, dass auch die weniger populären Werke Schumanns in ihrem Ringen um die große Form ihre Relevanz und Qualität haben. Damit verschiebt sich der Fokus der Betrachtung von der Klavier- und Kammermusik, deren Bedeutung immer unumstritten war, hin zu den großen Chorwerken, den weltlichen Oratorien oder der Oper "Genoveva".

Man wird vielleicht nicht jeder Neubewertung folgen, die Geck und Gülke hier anstreben. Aber interessant und lohnend ist es allemal, sich mit ihren Büchern zu befassen. Zeigen sie doch, was selten genug vorkommt, dass auch aus Anlass eines 200. Geburtstags noch andere Blicke auf einen der Großen der Musikgeschichte möglich sind.

Martin Geck: "Robert Schumann. Mensch und Musiker der Romantik"
Siedler Verlag
und
Peter Gülke "Robert Schumann. Glück und Elend der Romantik"
Hanser Verlag
Martin Geck: "Robert Schumann. Mensch und Musiker der Romantik"
Martin Geck: "Robert Schumann. Mensch und Musiker der Romantik"© Siedler Verlag