Mohammed Hanif: "Rote Vögel"

Leben im Zeichen von Krieg und Verlust

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Buchcover "Rote Vögel" von Mohammed Hanif, im Hintergrund Fußspuren im Wüstensand
Der Roman "Rote Vögel" beginnt in der Wüste eines Landes, in dem bis vor kurzem Krieg geherrscht hat. © Verlag Hoffmann und Campe / picture alliance / NurPhoto / Nicolas Economo
Von Claudia Kramatschek · 09.04.2019
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Flüchtingscamps, NGOs und Kollateralschäden: Der pakistanische Autor Mohammed Hanif erzählt im Roman "Rote Vögel" von den Folgen der US-amerikanischen Großmachtpolitik – und von den stillen und lähmenden Schrecken des Krieges in einem namenlosen Land.
Mohammed Hanif ist nicht nur einer der brillantesten Journalisten Pakistans. Er gilt auch als einer der besten englischsprachigen Autoren seiner Heimat. Sein erster Roman "Eine Kiste explodierender Mangos" rund um den rätselhaften Tod des einstigen Diktators Zia ul-Haq war eine beißende Satire über religiösen Eifer, bigotte Machthaber und ein durch und durch korruptes politisches System am Gängelband des Militärs.
Sein zweiter Roman "Alice Bhatti" über eine Christin, die sich in einen Muslim verliebt, war eine schwarzhumorige Komödie über eine so gottesfürchtige wie von Gott verlassene Gesellschaft, die bis heute aufgrund der Fragen von Religion und Herkunft in sich zerrissen ist.

Ein sprechender Hund als Erzähler

Nun liegt, nach sieben langen Jahren, ein neuer Roman aus der Feder des Autors vor. Es ist sein bis dato düsterster – obwohl "Rote Vögel" mit hohem Tempo und mit jenem überdrehten Witz startet, den man von ihm kennt: Eine der drei alternierenden Erzählstimmen ist nicht zuletzt ein sprechender Hund. Alles beginnt dabei in der Wüste eines namenlosen Landes, in dem bis vor kurzem Krieg geherrscht hat. Die Amerikaner sind bereits abgezogen. Nur einer, Major Ellie, hat noch eine Mission: Er soll ein verdächtiges Flüchtlingscamp bombardieren. Doch das Flugzeug stürzt ab.
Ellie wird zwar gerettet – doch ausgerechnet von einem Jungen, der in jenem Camp lebt, das Ellie aushebeln sollte. Auch Momo hat eine Mission: Er hofft, mit Hilfe von Ellie seinen älteren Bruder zu finden. Der hatte für die Amerikaner gearbeitet – ist aber seit geraumer Zeit verschwunden. Ellie wiederum hofft fliehen zu können: Mithilfe einer geschwätzigen NGO-Arbeiterin, die im Camp – das der Krieg ihrer eigenen Nation erst nötig machte – das Seelenleben der dort Gestrandeten studiert.

Eine Geschichte von Verlust und Trauer

Auf den ersten Augenschein mutet "Rote Vögel" insofern an wie ein greller Roman über die Brutalität des Krieges und die verheerenden Effekte der US-amerikanischen Außenpolitik. Doch je länger man liest, umso mehr offenbart der Roman ein anderes Gesicht: Es ist das Gesicht der Trauer – und eines jenseitigen Schleiers, der sich nach und nach über alles legt. Denn nicht der Krieg steht im Mittelpunkt, sondern das Leben einer Familie im Zeichen des Kriegs. Wie kann man leben, wenn das Kind gestorben ist, lautet die zentrale Frage des Romans.
Tatsächlich lähmt der Verlust des Sohnes in diesem Roman alle und alles: Noch die Erzählung selbst scheint auf der Stelle zu treten. Hanif hat die stockende Stasis zum bewussten Prinzip des Romans erhoben. Nach und nach verwandelt sich zudem die anfangs realistische Szenerie in eine Art fantastisches Zwischenreich: Da sind die titelgebenden roten Vögel – die für die Seelen der Verstorbenen stehen. Da ist der amerikanische Hangar, der immer mehr wie ein Limbus scheint.
Am Ende von "Rote Vögel" stehen sich an diesem Ort die Toten und Lebenden ununterscheidbar gegenüber. Das Rätsel, wer auf welche Seite gehört, wird nicht gelöst. Gibt es ein besseres Bild für die schreckliche Wahrheit eines jeden Kriegs als diese absurde Doppeldeutigkeit?

Mohammed Hanif: "Rote Vögel"
Aus dem Englischen übersetzt von Michael Schickenberg
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2019
319 Seiten, 22 Euro

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