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Warum Russland ein eigenes Internet will

18:10 Minuten
Die verschattete Silhouette eines Mannes an einem Schreibtisch, im Hintergrund eine Milchglaswand mit Code zum Teil in kyrillischen Buchstaben.
Ein Angestellter des russischen Sicherheitssoftware-Entwicklers Kaspersky in seinem Büro. © Picture Alliance / TASS / Vladimir Gerdo
Vera Linß und Marcus Richter im Gespräch mit Jan Lindenau und Yvonne Hofstetter · 09.11.2019
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Kritiker warnen vor stärkerer Überwachung russischer Nutzer, denn der Kreml plant, ein eigenes Netz aufzubauen. Die digitale Abschottung hat auch geopolitische Gründe: In der vernetzten Welt können sogar kleine Staaten einer Großmacht gefährlich werden.
Am 1. November hat Russland umgesetzt, was schon länger angekündigt war: Es wurde ein Gesetz verabschiedet, mit dem die Regierung ein eigenes russisches Internet schaffen will, das sogenannte "RuNet". Die offizielle Begründung des Kremls ist, dass man sich so besser vor Cyberattacken schützen könne. Kritikerinnen und Kritiker fürchten eine stärkere staatliche Kontrolle über sämtliche russische Onlineaktivitäten.
Der in Moskau lebende Tech-Journalist Jan Lindenau erklärt, dass das Gesetz aus einem Paket von Maßnahmen besteht: Die prominenteste von ihnen sei die Einrichtung einer doppelten Netz-Infrastruktur. "Bei einer Bedrohung von außen, das sagt das Gesetz, könnte man sich dann vom Rest der Welt abkapseln", so Lindenau. "Ein Duma-Abgeordneter spricht jetzt beispielsweise von massiven Hacker-Attacken, die aus dem Westen stattfinden könnten." Im Falle eines solchen Angriffs solle der russische Datenverkehr dann nicht mehr über Server im Ausland geleitet werden, sondern über das Inland.

Die Technik des "RuNet"

Russland plant daher, ein eigenes Domain Name System (DNS) aufzubauen. Dabei handet es sich um eine Art "Telefonbuch" fürs Internet: Ein DNS übersetzt eine für Menschen leicht merkbare Internet-Adresse wie zum Beispiel google.com in eine computerfreundliche IP-Adresse wie 216.58.210.14 - die "Telefonnummer" von Google, mit der die Seite aufgerufen werden kann. Russland könnte ein eigenes DNS beispielsweise nutzen, um unerwünschte Seitenaufrufe auf staatlich gewollte Dienste umzuleiten. "Rein theoretisch könnte man etwa, wenn jemand google.com eingibt, auf die russische Suchmaschine Yandex umleiten", sagt Lindenau. "Auf die hat der Kreml natürlich einen besseren Zugriff als auf Google."
Der zweite wichtige Schritt ist die Einrichtung einer Datenüberwachung. Die sogenannte Deep Packet Inspection (DPI) schaut in jedes Datenpaket, das durchs Netz gesendet wird, um den Inhalt zu bestimmen. Diese Technologie soll bei jedem russischen Internetanbieter installiert werden – mit Zugang für russische Behörden. "Der komplette Datenverkehr, der soll dann getrackt werden und gegebenenfalls gedrosselt oder eben auch gefiltert werden können", sagt Lindenau.

Schwammiges Gesetz, unklare Praxis

"Für die russischen Nutzer ändert sich wahrscheinlich jetzt erst mal nicht so viel", vermutet der Tech-Journalist. Die konkreten Ausführungsverordnungen, mit denen das schwammig formulierte Gesetz in die Praxis umgesetzt werden soll, seien zum Großteil noch gar nicht vorbereitet.
Unklar ist auch, ob das Vorhaben funktioniert: "Die technische Ausrüstung wurde in diesem großen Maßstab noch nie getestet", sagt Lindenau. Dass Russland sich von heute auf morgen komplett vom Internet abkapselt, werden von Kritikern auch für "technisch schwierig" gehalten. "Aber das Gesetz schafft einen rechtlichen Rahmen dafür, dass zumindest in ganzen Regionen Russlands das Internet abgestellt werden kann." Eine Befürchtung sei, dass dies nicht nur bei Hacker-Angriffen, sondern auch bei Protesten geschieht.

Kleine Staaten werden durch die Digitalisierung mächtiger

Für Yvonne Hofstetter, Autorin des Buches "Der unsichtbare Krieg", ist der Plan Russlands eine logische Folge globaler Entwicklungen. Sie stellt die These auf, dass die Digitalisierung die geostrategischen Machtverhältnisse fundamental verändern werde.
Die IT-Expertin und Publizistin sagt, dass ein eigenes, abgeschottetes Internet – ob in Russland oder in China – zwar auch zu innenpolitischen Zwecken eingeführt werde, um die Bevölkerung engmaschig zu überwachen und zu disziplinieren. Aber die Absicherung des Netzes sei auch eine Reaktion darauf, dass das stetig weiter ausgebaute Netz politisch immer wertvoller wird. "Das lädt Angreifer ein, die Dinge, die mit dem Netz vernetzt sind, anzugreifen", sagt Hofstetter. "Das können kritische Infrastrukturen sein. Das sind natürlich auch die Nutzer, die Bürger."
Durch die Möglichkeiten des Internets würden kleine Staaten mächtiger. "Wir rechnen im nächsten Jahr 2020 mit Einflussnahme-Maßnahmen auf die amerikanischen Präsidentschaftswahlen durch Vietnam, durch Mexiko", nennt Hofstetter als Beispiel. "Das verschiebt das strategische Gleichgewicht."
(hte/jfr)
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