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"Endstation Sehnsucht" am Hamburger Thalia Theater
Staubig wie immer

Lars-Ole Walburg hat am Hamburger Thalia Theater Tennessee Williams' Klassiker "Endstation Sehnsucht" auf die Bühne gebracht. Einen solchen Klassiker mit Leben zu erfüllen, ist schwer - und wieder mal ist genau das nicht gelungen, findet unser Rezensent.

Von Michael Laages | 18.04.2016
    Szene aus "Endstation Sehnsucht" von Tennessee Williams am Thalia Theater Hamburg: Eine Schauspielerin und ein Schauspieler stehen in einer Kulisse aus weißen Blöcken mit roten Luftballons.
    "Endstation Sehnsucht" von Tennessee Williams am Thalia Theater Hamburg (dpa/picture alliance/Christian Charisius)
    Für Karin Neuhäuser, in der Rolle der aus der Welt stürzenden älteren Dubois-Schwester Blanche ganz im Zentrum von Walburgs Inszenierung, wird ein Prolog hinzu erfunden - für uns, das Publikum, probiert sie, auf wackligen Beinen schon, zu Beginn ein wenig große Pose - und sie singt auch schon vom "Lilac Wine", der sie begleiten wird in den nächsten zwei Stunden. Aber perfekt kriegt sie schon lange nichts mehr hin - Grandezza ist hier nur in der Ausgabe allerletzter Hand zu haben. So entsteigt sie, nicht sichtbar, der Straßenbahn-Linie, die in New Orleans in den Stadtteil "Desire" führt; und das heißt bekanntlich "Sehnsucht", mit Umstieg zu den Friedhöfen wie zu den "Elysian Fields", den "elysischen Gefilden". Und wieder mal setzt gleich zu Beginn der Aufführung verzweifelte Sehnsucht ein nach einer Übersetzung, die diese immer wieder hinreißende Pointe aus dem Straßenbahn-Fahrplan endlich mal tauglich ins Deutsche übertragen würde. Hier wird aber die uralte Version von Helmar Harald Fischer gespielt, und die ist so staubig wie immer.
    Oberflächlich von außen dran herumgedoktert
    Für "Magie" ist im Weiteren der Bühnenbildner Florian Lösche zuständig. Und dessen Grund-Idee ist zum Staunen - eine Art räumliches Tetris-Spiel hat er bühnenhoch konstruiert, bestehend offenbar aus lauter kleineren und größeren Schaumstoff-Quadern. Auf denen ist recht schlecht Stehen; und das Ensemble krabbelt meist still aus Lücken im Tetris-Gefüge hervor. In optischen Überblendungen dieser Quader-Struktur in 3-D lässt sich das Bild in halber Höhe etwa aufschieben; und das kleine Badezimmer ist zu ahnen, in der die vom Waschzwang geplagte Blanche fast ununterbrochen das eigene abgetakelte Ich in schönere äußere Form zu bringen versucht. Auf den Schaumgummi-Blöcken lässt sich auch gut trommeln; ein Schlagzeuger wird also ab und zu ins Bild gestellt - womit wir schon bei den eher verzichtbaren Regie-Einfällen sind.
    Und beim zentralen Problem fast jeden Bemühens um das nur vordergründig "einfache" Stück - es kann sich nämlich nicht wirklich bis zu jener Kraft hin entwickeln, die unüberspürbar in ihm steckt, wenn nur oberflächlich und von außen dran herumgedoktert wird. In der Tat nämlich muss, noch einmal: MUSS Magie möglich werden; es MUSS knistern zwischen den ungleichen Schwestern, der überreifen Blanche und der schwangeren, aber immer noch sehr kindlichen Stella. Und vor allem muss es funken, zischen, knallen und was-weiß-ich-noch-alles, wenn diese beiden Stellas zwar sehr virilem, geistig allerdings eher beschränkten Spießer-Gatten Stanley Kowalski gegenüber treten.
    Wie ein Kartenhaus
    Hier hat Walburgs Inszenierung eine gefährliche Leerstelle – neben der scharf zupackenden Karin Neuhäuser als Blanche und Patricia Zyolkowska als fahrig-mädchenhafter Stella, die - polnischstämmig in Wirklichkeit wie ihr Partner im Stück - verblüffenderweise kein Wort Polnisch spricht mit ihm; was für eine verschenkte Pointe! Vor allem aber hält sich Sebastian Zimmler derart fern von aller Erinnerung an Marlon Brando in der Hollywood-Verfilmung aus den 50er-Jahren, dass er eher als eine Art Otto-Waalkes-Verschnitt im Stück steht; und eigentlich zu gar nichts anderem passt. Vielleicht zu den Poker-Partnern - aber auch unter denen markiert Stephan Bissmeier als zeitweiliger (und sehr zart gealterter) Blanche-Verehrer Mitch das stärkere Profil.
    Ohne den miesen Macho Stanley als Katalysator aber fällt das Stück wie ein Kartenhaus beim Pokerspiel in sich zusammen. Und das Hamburger Auswärts-Debüt des hannoverschen Schauspiel-Intendanten Walburg bleibt darum nicht viel mehr als eine mehr oder weniger animierende Nummernrevue. Ja, es ist schwer, gerade diesen Klassiker mit Leben zu erfüllen, mit neuem und auch zeitgenössischem womöglich; und: nein - wieder mal ist genau das nicht gelungen.