Amelie Deuflhard zum Theater-Lockdown

"Wir sollten uns nicht hyperüberschätzen"

13:44 Minuten
Ein Banner mit der Aufschrift "Internationales Sommerfestival Kampnagel" hängt während der Eröffnung des Sommerfestivals an einer Halle auf Kampnagel in Hamburg.
Im August konnte auf Kampnagel in Hamburg immerhin ein Sommerfestival stattfinden – derzeit ist dort kein Theater möglich. "Nachdenken über die Zukunft" empfiehlt Kampnagel-Chefin Amelie Deuflhard. © picture alliance / dpa / Georg Wendt
Amelie Deuflhard im Gespräch mit Vladimir Balzer · 05.11.2020
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Weniger Jammern, das wünscht sich Amelie Deuflhard von den Theatern. Die Künstlerische Leiterin von "Kampnagel" in Hamburg findet, Theater könnten sich während der Pandemie in einem anderen gesellschaftlichen Bereich sinnstiftend betätigen.
Erneut mussten die Theater in Deutschland schließen. Das ständige Auf und Zu der Theater zermürbe alle Beteiligten, man solle lieber den ganzen Winter schließen, sagte Regisseur und Künstlerischer Leiter der Schaubühne Berlin, Thomas Ostermeier, zu der aktuellen Situation.
"Ich verstehe Thomas Ostermeier", sagt Amelie Deuflhard, Künstlerische Leiterin von "Kampnagel" in Hamburg. Die Schwierigkeit sei die derzeitige Planungsunsicherheit: "Wenn wir jetzt wüssten, es ist ein halbes Jahr zu oder drei Monate, dann könnten wir mal überlegen, was wir mit diesen Räumen eigentlich machen." Einen Plan B könne man sich derzeit nicht zurecht legen: "Wir arbeiten alle ins Leere. Das ist nicht besonders angenehm und auch gar nicht mehr so einfach, die ganzen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu motivieren."
Von Ostermeiers Vorschlag, die Bühnen den ganzen Winter geschlossen zu halten und dafür im Sommer durchzuarbeiten, hält Deuflhard allerdings wenig. Es sei unsolidarisch gegenüber den privaten Theatern, die nicht so viele Förderungen erhalten würden wie die städtischen Bühnen. Auch sei es ungerecht gegenüber den Mitarbeitern, die dann im Winter Zwangsurlaub hätten, den sie nicht richtig nutzen könnten und im Sommer durcharbeiten müssten. Für Deufelhard ist das "problematisch".
"Vielleicht sollten wir aufhören mit diesem selbstreferenziellen Diskurs, wie lange unsere Theater jetzt geschlossen sind, während um uns herum tatsächlich global wahnsinnig viele Probleme sind. Zum Beispiel in der Pandemie oder Donald Trump, der die Demokratie angreift oder brennende Flüchtlingslager", gibt sie zu bedenken. "Ich finde natürlich auch, dass Theater superwichtige Orte sind, aber vielleicht sollten wir mal ein bisschen zurücktreten und uns nicht so hyperüberschätzen."

Über die Zukunft nachdenken

Die Pause sollten die Theater nicht "zum Jammern" nutzen. Die Theater gehörten zu einer "sehr privilegierten Seite. Wenn ich mir anschaue, wie es Solokünstlern geht. Da gibt es ganz viele, die keine Einkünfte haben und immer wieder mit kurzfristigen Hilfen leben müssen. Wenn ich mir anschaue, wie es den Menschen geht, die in Restaurants arbeiten, die alle auf Kurzarbeit sind, dann denke ich, wir sollten vielleicht eher mal die Pause nutzen, um so ein bisschen über Zukunft nachzudenken", sagte die Künstlerische Leiterin.
Die Theater sollten die Zeit nutzen, um ihren "elitären Status" zu reflektieren und sich die Fragen stellen, wie man sie demokratisieren, ein diverseres Publikum aufbauen und sie weiter für die Gesellschaft öffnen könnte.

Sinnstiftende Tätigkeit in der Krise

"Offensichtlich scheinen wir nicht so besonders wichtig, wenn wir trotz unserer Sicherheitsmaßnahmen geschlossen werden. Und ich glaube, wir müssen auch mal selbst darüber nachdenken, wie wir noch weiter in die Gesellschaft hineinwirken können, dass man eben nicht sagt, die Konsumtempel sind wichtig und bleiben alle offen. Aber die Kulturtempel bleiben zu", sagt Deuflhard.
Sie könnte sich für die Theater auch andere Konzepte während der Coronapandemie vorstellen. "Können wir uns nicht irgendwo in einem anderen gesellschaftlichen Bereich sinnstiftend betätigen? Für eine Zwischenzeit Schauspielerinnen und Schauspieler zu alten, vereinsamten Menschen schicken, in Gesundheitsämtern aushelfen? Ich denke manchmal: Natürlich sind wir enorm wichtig, aber vielleicht muss man in der Pandemie auch mal ein bisschen zurücktreten. Und überlegen: Was können wir noch tun?"
(nho)
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