Ambitionierter Autorenfilmer

26.08.2013
Der Filmemacher Rainer Erler ist heute weitgehend vergessen. Selbst Fachleute können mit seinem Namen nichts anfangen. Das Buch von Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen könnte daran etwas ändern. Sie feiern Erler als Autor ernsthafter Science Thriller.
Im Anhang des Buchs "Kein letztes Wort. Die Filme von Rainer Erler" findet sich eine "Chronik". Dort wird die Biografie des Filmemachers protokolliert, seine professionelle Laufbahn grob skizziert. Die letzten fünf Einträge – 1991 letzter Film, 1997 Retrospektive im ZDF, 2000 Akademiearchiveinrichtung, 2004 Verdienstkreuz, 2009 erste Publikation über Erler – lesen sich gerade in der Nüchternheit wie die unvermeidliche Abwicklung von Bedeutung, der Rückbau einstiger Popularität. Tatsächlich ist der Name Rainer Erler heute vergessen; selbst Menschen, die sich professionell und intensiv mit Film beschäftigen, haben ihn noch nie gehört.

Der schmale Band von Rolf Aurich und Wolfgang Jacobsen, der aus Anlass von Erlers 80. Geburtstag nun in der in der Edition Text+Kritik erschienen ist, könnte daran etwas ändern. Dabei kommt der Essay der beiden Berliner Kinematheks-Mitarbeiter nicht einmal mit der Bedeutungsgewalt daher, die etwa eine "erste umfassende Darstellung" in Ziegelsteingröße für sich beanspruchen würde. "Kein letztes Wort" fliegt vielmehr mit solcher Verve durch das Werk von Erler, das sich die Begeisterung der beiden Autoren für die Filme nicht übersehen lässt. Es geht um eine Wiederbegehung der Geschichten, die Rainer Erler erzählt hat.

Und die Pointe dieser Geschichten ist, dass vieles von dem, was Erler erzählt hat, heute Aktualität behauptet. Sein erster Erfolg war zwar "Seelenwanderung" (1962), eine Wirtschaftswunderparabel, die mittlerweile womöglich zur Kapitalismuskritik avant la lettre taugte. An Kontur gewonnen hat Erler aber vor allem durch seine Science-Fiction-Filme, die er selbst lieber "Science Thriller" nannte, weil sie sich ernsthafte Gedanken um die offenen Fragen der Zukunft machten: Atomenergie, Müll oder Organhandel wie in dem Furore machenden Film "Fleisch" (1979).

Erler ging es immer, schreiben die Autoren, "um den Menschen und seine Möglichkeiten", also um die kritische Frage danach, was Wissenschaft macht und wozu. Der nicht unbedingt schlagkräftige Titel des Buchs offenbart seinen Sinn schließlich darin, dass er Erlers Haltung zu seinen Stoffen treffend beschreibt: Es ging ihm nicht um Antworten und die Angstlust vor der Apokalypse, sondern darum, die richtigen Fragen zu stellen, die er abschließend selbst nicht beantworten konnte: "Kein letztes Wort".

Ästhetisch suchte Erler dafür nach populären Formen, um möglichst viele Menschen für sein Problembewusstsein zu gewinnen. Zwischen 1974 und 1976 drehte er etwa die fünfteilige Serie "Das blaue Palais" mit je abendfüllenden Filmen, in der zum ersten Mal und noch etwas fremd das Wort "digital" fällt. Von heute aus betrachtet, nahm "Das blaue Palais", ein Fünfteiler über eine Gruppe internationaler Wissenschaftler, die in einer alten Villa Forschungen betreibt, etwas vorweg, das aktuell als attraktivste Erzählform gilt: die epische Serie, das Qualitätsfernsehen.

Als literarisch hat Erler die eigenen Drehbücher nie empfinden wollen, für ihn war das Fernsehen ein pragmatisches Medium, dessen Gemachtheit er in seinen Filmen immer wieder ausstellte. Darüber, also über das Verhältnis von Buch, Kino und Fernsehen, orientieren Aurich und Jacobsen in einem kleinen Exkurs, der einen mit Blick auf heute melancholisch stimmen kann: Rainer Erler war ein Autorenfilmer im Fernsehen. Etwas Ambitionierteres kann man sich kaum vorstellen. Nur wäre das aktuell so undenkbar wie der Umstand, dass ARD oder ZDF einem verdienten Mitarbeiter eine Retrospektive ausrichteten.

Besprochen von Matthias Dell


Rolf Aurich / Wolfgang Jacobsen: Kein letztes Wort. Die Filme von Rainer Erler
Edition Text + Kritik, München 2013
110 Seiten, 18,00 Euro