Amazonas-Synode im Vatikan

Veränderung für die ganze Kirche

13:33 Minuten
Eine Nonne betritt die St. Peter's Basilica im Vatikan in Rom in der Dämmerung.
Eine Nonne betritt die St. Peter's Basilica im Vatikan in Rom in der Dämmerung. Im Vatikan beginnt nun die Amazonas-Synode. © Getty / Spencer Platt
Birgit Weiler im Gespräch mit Kirsten Dietrich  · 06.10.2019
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Früher gaben Missionare vor, was die Menschen am Amazonas glauben sollten. Heute verstehen sich die Indigenen als selbständige Wahrer der menschlichen Umwelt. Für die Kirche bedeutet das Veränderung – sogar beim Priesteramt.
Kirsten Dietrich: Im Vatikan in Rom beginnt heute ein ganz besonderes Treffen. Bischöfe und Kardinäle reden bei einer sogenannten Synode über Amazonien, also über die riesige Region im Flussgebiet des Amazonas und seiner vielen Arme – über eine Region mit einer unfassbar reichen Natur, die gerade mit den Berichten über die verheerenden Waldbrände in Brasilien weltweit ins Bewusstsein gerückt ist, über die aber weltweit und eben auch weltkirchlich viel zu wenig nachgedacht wird.
Findet nicht nur, aber auch Papst Franziskus: Denn Amazonien ist mehr als sehr viele sehr gefährdete Bäume, mehr auch als eine Schlüsselregion fürs Weltklima. Amazonien ist die Heimat vieler indigener Völker, und Amazonien ist eine Herausforderung für die katholische Kirche und die Theologie weltweit. Darüber möchte ich jetzt mit einer Gesprächspartnerin reden, die als Theologin in Amazonien arbeitet und die bei der Synode in Rom als Expertin von ihrer Arbeit und ihren Erfahrungen berichten wird.

Verantwortung für die Weltgemeinschaft

Birgit Weiler ist Ordensschwester der Missionsärztlichen Schwestern, sie ist katholische Theologin an der Jesuiten-Universität in der peruanischen Hauptstadt Lima, und sie arbeitet immer wieder mit indigenen Menschen in peruanischen Amazonasgebiet – denn Amazonien, das vergisst man ganz schnell, ist ja nicht nur Brasilien. Was bedeutet denn der Amazonas, was bedeutet Amazonien für Peru, Schwester Birgit?
Birgit Weiler: Amazonien ist ein ganz wichtiger Teil des nationalen Territoriums von Peru. 63 Prozent der gesamten Fläche des Landes liegen in Amazonien. Und ich habe seit mehreren Jahren die Gelegenheit, zwei indigene Völker sehr nahe zu begleiten. Die gehören zum sogenannten Vikariat einer ganz jungen Kirche im Norden von Peru, in der Nähe der Grenze zu Ecuador: die beiden indigenen Völker Awajún und Wampis.
Es sind zwei Völker, die sich sehr bewusst sind, wie gefährdet Regenwald und Ökosystem in ihrem Lebensgebiet sind, und die die Kirche darum gebeten haben, sie in dem Prozess zu begleiten, friedlich, mit demokratischen, aber auch effektiven Mitteln für ihre Rechte zu streiten. Damit das Gebiet mit den Ressourcen, die es uns bietet, so genutzt wird, dass es eben nicht zerstört wird.
Eine Kirche aus Holz auf Pfählen an einem Flussufer in Amazonien.
Eine Kirche in Amazonien© imago / Henning Manninga
Sie denken dabei an die Zukunft ihrer eigenen jungen Menschen, aber auch an die Verantwortung, die sie spüren, für die Weltgemeinschaft zu haben. Denn sie wissen, dass, wo Regenwald zerstört wird, auch das Weltklima berührt wird und dass es also nicht nur ein uns geschenkter Reichtum an Biodiversität, an Lebensvielfalt für die Menschen vor Ort ist, sondern dass dieses Gebiet auch ganz wichtig ist für die Zukunft unseres Planeten.

Kirche als Anwalt, nicht als Missionar

Dietrich: Warum haben sich diese Menschen in ihrem Kampf zum Beispiel gegen Ölförderung oder gegen Goldabbau an die katholische Kirche gewandt? Sind das alles Katholiken?
Weiler: Nein, es ist sogar nur der kleinste Teil der Bevölkerung, die katholisch sind. Aber sie vertrauen der katholischen Kirche. Sie haben oft wenig Vertrauen in den Staat, weil sie häufig erfahren haben, dass, wenn es um große Projekte geht – sei es Goldabbau, sei es Erdöl oder Abbau anderer Erze –, dass ihrer Wahrnehmung nach oft schnell ein Bündnis zustande kommt zwischen Unternehmen und Vertretern des Staates, der entsprechenden Ministerien, und dass nicht selten auch Korruption mit ins Spiel kommt.
So vertrauen sie der katholischen Kirche, dass sie sie begleitet auf dem Weg. Sie sagen ganz klar: Wir möchten nicht, dass die katholische Kirche für uns spricht. Wir haben die Fähigkeit, mit eigener Stimme zu sprechen.
Aber wir möchten, dass sie uns hilft, an Informationen, an Kenntnisse zu kommen, damit wir wirksam unsere Stimme einbringen können und in den Konsultationsprozessen, die das Gesetz ja eigentlich vorsieht, wo die Menschen vor Ort gefragt werden sollen zu Großprojekten, bevor die überhaupt in Gang gesetzt werden, dass wir da die nötigen Informationen haben, um auch gut abwägen zu können: Was sind Vorteile, was sind aber auch Nachteile von riesigen Projekten, zum Beispiel zum Goldabbau oder zur Erdölförderung.

Umwelt als vernetzte Schöpfung

Dietrich: Ein wichtiges Thema bei der Amazonien-Synode wird die Umweltdimension sein. Papst Franziskus hat in der Enzyklika, also in dem Lehrschreiben "Laudato si'" vor vier Jahren geschrieben, dass Mensch und Natur untrennbar verbunden sind und Ökologie immer eine soziale Komponente hat und auch eine spirituelle Komponente.
Katholische Spiritualität ist nicht unabhängig von wissenschaftlichen Fakten zum Klimawandel. Deswegen reist zum Beispiel auch der deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber zur Amazonas-Synode nach Rom. Was kann denn die katholische Kirche zur ökologischen Betrachtung von Umwelt und Umweltkrise am Amazonas beitragen?
Weiler: Einmal, dass sie stark macht, dass die traditionelle Spiritualität der indigenen Völker ihren Wert hat, dass die geachtet und auch miteinbezogen werden muss. Und die sieht den Menschen eingebunden in ein großes Lebensnetz. Die anderen nicht menschlichen Lebewesen verdienen auch Respekt, sie sind nicht einfach Objekte, sie sind nicht etwas, was man ausbeutet, was man nur nutzt.
Und da kommen wir zusammen mit einer Schöpfungsspiritualität, wie sie ihren Ausdruck ja auch gefunden hat in der Papst-Enzyklika "Laudato si'": Wenn ich Gott als Schöpfer anerkenne, ehre und liebe, dann kann ich mich nicht in einer Weise seinen Geschöpfen gegenüber verhalten – nicht nur den menschlichen, auch den nicht-menschlichen gegenüber –, als wären sie zur Ausbeutung da und würden nur um des Menschen willen existieren. Sondern dann heißt es auch, dass wir sie respektieren, weil sie einen Eigenwert haben, und dass wir achtsam mit ihnen umgehen.

Kirche postkolonial entrümpeln

Dietrich: Es geht in Rom um mehr als "nur", in ganz dicken Anführungszeichen, die Umwelt. Die Befreiungstheologe Paulo Suess aus Brasilien hat für die Herausforderung an die katholische Kirche durch diese Amazonas-Synode eine, finde ich, sehr treffende Formulierung gefunden. Er redet davon, die Kirche "postkolonial zu entrümpeln". Können Sie damit etwas anfangen?
Weiler: Ja, das ist gerade auch von den Repräsentantinnen und Repräsentanten der verschiedenen indigenen Völker im zweijährigen Vorbereitungsprozess auf die Synode in Rom immer wieder eingefordert worden. Oft ohne bösen Willen, aber durch mangelnde Sensibilität, mangelndes Sich-selbst-bewusst-werden, kommen so koloniale Denk- und Verhaltensmuster ins Spiel.
Das fängt ja schon damit an, dass wir uns als Kirche fragen müssen: Nehmen wir die indigenen Völker wirklich ernst als Subjekte? Sie sprechen mit eigener Stimme, sie bringen ihr eigenes Weltbild ein – und wie bieten wir dann auch christlichen Glauben an. Es muss ein Anbieten sein. Bei dem wir dann mit ihnen erkunden: Was heißt es denn, so Kirche zu sein, so das Evangelium zu leben, dass es wirklich zu einer Lebensbotschaft für diese Völker wird.
Damit es ihnen nicht aufgezwungen wird oder das Evangelium, den christlichen Glauben annehmen nicht heißt, wesentliche Elemente der eigenen Kultur, die wertvoll sind, beiseite zu lassen, so dass sie unterdrückt werden, nicht respektiert werden, nicht wertgeschätzt werden.

Mission ist heute Beziehung statt Herrschaft

Dietrich: Das braucht dann wahrscheinlich ein grundlegend anderes Verständnis von Mission, oder?
Weiler: Ja, das braucht eine interkulturelle Beziehung, nicht eine von Dominanz – die einen über die anderen, wo die einen schon wissen, was die anderen dann zu tun haben –, sondern wo wir, die keine Indigenen sind, uns auch immer von ihnen sozusagen zurückspiegeln lassen, wie sie uns wahrnehmen. Damit wir lernen, in geschwisterlicher Beziehung miteinander auf dem Weg zu sein.
Und ich glaube, diese Amazonas-Synode ist eine Chance für die katholische Kirche, noch tiefer zu lernen, dass es eine Kirche ist, die zwar Weltkirche ist – und das ist ja auch ein Reichtum –, aber dass die Beziehungen dieser Weltkirche eben nicht kolonial geprägt sein sollen.
Sondern die verschiedenen Ortskirchen in Amazonien oder an anderen Orten der Welt wertschätzen die Verschiedenheit an Kulturen, die es dort gibt, und dann miteinander kreativ schauen, was heißt denn Christsein in diesen jeweiligen Kontexten. Und diese Erfahrung und diese Suchbewegung in die Weltkirche einbringen: zu sehen, dass uns oft auch Inspiration und wichtige Hinterfragungen von Menschen zukommen, die sich selbst unter Umständen nicht als Christen oder Gläubige verstehen, aber die zutiefst menschlich verbunden sind.

Auch Verheiratete müssen als Priester arbeiten dürfen

Dietrich: Das heißt, so eine postkolonial entrümpelte Kirche, das würde dann wirklich ans Innerste gehen, auch an Organisation, an Amt, an Theologie. Wie erleben Sie das denn, passt die Struktur der katholischen Kirche zu dem, was im Amazonasgebiet gefragt ist?
Weiler: Sie muss viel offener werden, sie muss kommunikativer werden. Daher ist auch von den Gemeinden her zu fragen, welche Dienste und Dienstämter brauchen Gemeinden vor Ort. Zum Beispiel erlebe ich im Amazonasgebiet: Viele Gemeinden sind geografisch weit voneinander entfernt. Es sind schwer zugängliche Wege, und es gibt gar nicht genügend Priester, die regelmäßig diese Gemeinden besuchen könnten.
Von daher ist auch die große Bitte schon im Arbeitsdokument, dass diese Synode erwägt, einen neuen Weg zu betreten, indem sie sagt: Erfahrene Familienväter, die nachweislich verantwortlich sind der Familie gegenüber, die auch in der Beziehung zu den Frauen respektvoll sind, auf Gleichberechtigung hin die Beziehung gestalten, dass diese zu Priestern geweiht werden können. Ich denke, das könnte ein erster Schritt sein.
Das braucht natürlich dann auch die Überlegung, wie kann so ein Dienstamt aussehen, damit es eben nicht klerikalisiert wird, und dass auch nicht nur alles auf das Sakrament und Spende des Sakraments zentriert wird. So dass diese Menschen vor Ort Prozesse begleiten, im pastoralen Team mit Männern und Frauen, damit lebendige Gemeinden vor Ort da sind, die Sauerteig sein können.

Frauen müssen auch offiziell Verantwortung übernehmen dürfen

Das andere ist natürlich: Wie können wir als Kirche dahin weiterwachsen, dass nicht nur die starke Rolle von Frauen in der Kirche Amazoniens anerkannt wird – das steht auch so im Dokument und das ist in der Tat so, ganz viel an pastoraler Arbeit, an Kirche-sein wird von Frauen vor Ort gestaltet. Sondern wie schlägt sich das auch in einer Veränderung von Strukturen nieder, zum Beispiel, dass Frauen viel stärker auch in Leitungsämter eingebunden werden. Da kann man mit den Leitungsämtern beginnen, die keine Weihe erfordern.
Dietrich: Geweihte, verheiratete Familienväter als Priester, sogenannte Viri probati, Leitungsämter auch für Frauen, das sind natürlich Veränderungen, die können in einer Weltkirche ja gar nicht nur am Amazonas bleiben. Was für eine Wirkung kann von diesen Wünschen, von diesen Forderungen für die gesamte katholische Kirche ausgehen, wenn die wirklich in die Tat umgesetzt werden?
Weiler: Dass auch andere Ortskirchen – und dazu gehört auch die Kirche in Deutschland – sich fragen, in dem je eigenen Kontext: Was bedeutet das für unser Kirche-sein, um es wirklich glaubwürdig zu leben, auf die Menschen zu hören, das miteinander zu gestalten.

Geschwisterlich leben statt Klerikalismus

Und was heißt wirklich auch, sich zu verabschieden von stark klerikalen Haltungen, die nicht mehr tragbar sind und die letztendlich sowohl die Menschen verwunden, die sich in solche Rollen oft auch als Priester hineingezwungen fühlen und die eigentlich auch geschwisterlicher leben wollen, als auch gläubige Männer und Frauen, die ja zum Teil auch klerikale Strukturen mittragen. Wie können wir uns da auf dem Weg weiter führen lassen, uns von Strukturen zu befreien, die einfach nicht Leben schenkend sind.
Dietrich: Haben Sie wirklich die Hoffnung und sind optimistisch, dass es auf der Amazonas-Synode zu solchen ja fast revolutionären Neuausrichtungen kommen wird?
Weiler: Ich habe die starke Hoffnung, zumindest habe ich es so erfahren in den zwei Jahren der Vorbereitungszeit, dass sich viele Menschen intensiv an den Prozessen beteiligt haben.

Jetzt besteht die Chance für Neues

Das war ein ganz intensives Hinhören, Zuhören und miteinander auf Gottes Geist hören, und das schlägt sich auch in dem Arbeitsdokument nieder. Ich möchte sehr hoffen, dass wir auch auf der Synode dann diese Offenheit füreinander und im Hören auf Gottes Geist haben werden. Dann kann da wirklich Neues erwachsen, was jetzt ansteht. Das setzt natürlich voraus, dass wir uns dem wirklich öffnen und dass wir dann auch den Mut finden, das, was wir im gemeinsamen Hören auf Gottes Geist wahrnehmen und erkennen, auch in die Tat umzusetzen. Das ist zumindest meine intensive Hoffnung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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