Amateurfußball

Wenn künstliche Intelligenz die Sportberichte schreibt

05:53 Minuten
Eine Spielszene aus einem hessischen Kreisliga-Spiel zwischen dem FC Buedesheim gegen Victoria Heldenbergen.
Bisher fehle es den von Computern generierten Spielberichten an Empathie und der Erfahrung, vor Ort gewesen zu sein, kritisieren einige Sportjournalisten die Entwicklung. © imago images / Patrick Scheiber
Von Stefan Osterhaus · 02.02.2020
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Nach Amateur-Fußballspielen werden immer mehr Spielberichte nicht mehr von Reportern, sondern von Computerprogrammen geschrieben. Während Sportjournalisten um die Qualität der Berichterstattung bangen, setzen Entwickler auf die Zukunft ihrer neuen Verfahren.
Ein Sonntag im Amateurfußball. Zwei Kreisligisten spielen gegeneinander. Sie trennen sich unentschieden. Am Montagmorgen könnte es in der Lokalpresse über die Begegnung heissen: "Ab der 73. Minute spielte die Mannschaft in Unterzahl. Meier sah die Rote Karte. Dennoch brachte das Team das 1:1 über die Zeit und verbesserte sich in der Tabelle auf Rang acht."
Aus wessen Feder stammt dieser Bericht? Von einem Lokalsport-Reporter, so steht es zu vermuten. Allerdings: Genauso gut könnte der Bericht von einem Computerprogramm erstellt worden sein, von einer Software, die Datensätze in Textdateien umwandelt. Was vor einigen Jahren noch als Utopie erschien, ist jetzt Realität.

Fußball ist gut geeignet

Seit einiger Zeit setzten Zeitungsverlage bei Berichten über die Amateurligen auf diese Software. Und die Anzahl solcher computergenerierter Berichte wird sicher noch größer werden. Der Deutsche Fußballbund ermöglicht auf dem Portal fussball.de den Vereinen, ihre Spieldaten einzugeben. Aus denen macht das Programm bis zu 75.000 Texte, und das an jedem Wochenende.
Entwickelt wurde die Software in Berlin. Bei der Firma Retresco arbeitet ein Team von Informatikern und Linguisten an solchen Programmen. Fussball sei besonders gut für solche Anwendungen geeignet, sagt der Projektchef Sebastian Golly: "Also Grundlage für automatische Textgenerierung sind immer Daten. Im Fußballbereich sind das also Daten zu der Liga, zu den Teams, die in dieser Liga Spielen. Wir haben Daten zu den Tabellen, das heißt zu jedem Spieltag einer Liga haben wir die Gesamttabelle, Hin-Rückrunden-Tabelle, womöglich noch eine Fairplay-Tabelle, für die aktuelle Saison und auch für zurückliegende Saisons. Und wir haben Daten zum Spiel selbst, da steht dann drinnen, wer hat gegen wen gespielt, wie ging das Spiel aus, wir haben Daten zu den Ereignissen in dem Spiels, wer hat wann ein Tor geschossen, was gab es für Karten, Auswechslungen und so weiter."

Zusammenspiel mit Sportjournalisten

Das, was Golly und sein Team entworfen haben, ist nach Angaben des Entwicklers eine schwache künstliche Intelligenz. Um realitätsnah, also wie ein echter Reporter zu formulieren, bedarf es eines deutlich größeren Aufwandes. "Eine Herausforderung dabei ist immer, der Maschine Bedingungen beizubringen, wann eine bestimmte Formulierung angemessen ist", sagt Golly. "Ein typischer Sportjournalist hat es oft im Gefühl wann er sagen kann: Oh, das war ein haushoher Sieg. Aber wir müssen dem System beibringen in Zahlen und Bedingungen, ab wann es von einem haushohen Sieg sprechen kann. Und das war eben eine ganz interessante Zusammenarbeit zwischen Entwicklern und Linguisten bei uns, und Sportjournalisten."
Die Sportjournalisten sind skeptisch. Denn niemand hat eine Ahnung, was die künstliche Intelligenz einmal können wird. Elisabeth Schlammerl ist Vizepräsidentin des Verbandes Deutscher Sportjournalisten. Sie sieht Vorzüge, aber auch Risiken:

"Computerjournalismus mag ja ganz nützlich sein, wenn man im Lokalsport an einem Wochenende Spielberichte der unteren Klassen verfassen muss, weil die ohnehin klein sind und sehr einheitlich. Ein Roboter kann auch umfangreiche Datensätze sicher schneller dechiffrieren und in einen ohnehin trockenen Text umwandeln."
Allerdings, sagt Schlammerl, fehle es dem Computer an wesentliche Dingen: Empathie, Emotionen – und die Erfahrungen, tatsächlich dabei gewesen zu sein. Dennoch waren Leser in Tests verblüfft, dass nüchtern gehaltene Texte nicht zu unterscheiden waren. Computer oder leibhaftiger Reporter, das war nicht herauszubekommen.

Formulierungen in Handarbeit

Sogar in der Regionalliga, der vierten Liga, kommt das Programm inzwischen zum Einsatz. Da wurden früher durchaus Reporter hinausgeschickt. An den Details der Software tüfteln die Berliner Entwickler ständig herum, sagt Golly.

"Unsere Entwickler und Linguisten definieren tatsächlich in relativ viel Handarbeit Formulierungen, die das System verwenden kann und frei kombinieren kann – und Regeln, wann diese Formulierungen verwendet werden sollen. Das tun wir ganz bewusst, weil wir die volle Kontrolle darüber wollen. Das heißt, es ist kein selbstlernendes System, was man einfach mit ganz vielen Texten und Daten füttert, und das dann automatisch lernt, solche Texte zu generieren. Einfach deshalb, weil dass dann eine Blackbox wäre, was wir nicht steuern könnten."

Heimspiel im Gefängnis

Der Zugriff ist den Programmierern wichtig. Denn es gibt Sonderfälle, die niemand vorhersehen kann und das Programm überfordern. Ein solcher Fall hat die Programmierer amüsiert. Da ging es um die Hamburger Gefängnis-Fussballmannschaft "Santa Fu". Die spielt aus naheliegenden Gründen nur zu Hause:

"Daran hatten wir einfach nicht gedacht, dass es soetwas gibt. Es war dann ganz leicht, dafür einen Sonderfall quasi zu programmieren und einzubauen, so dass keine unpassende Formulierungen kommen für diese Mannschaft. Wie zum Beispiel dass sie heimstark ist, aber auswärts noch Verbesserungspotenzial hat."

Doch gerade in so einem Fall kann man auch erkennen, was die künstliche Intelligenz dem Menschen voraus habe, sagt Golly. Solche Grenzfälle habe es gerade in der Anfangszeit immer wieder gegeben. Das Gute sei, dass man daran sehe: "Auch die Maschine kann Fehler machen. Das coole ist einfach: Wenn sie einen Fehler einmal beheben, wird so ein Fehler dieser Art nie wieder vorkommen."
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