Am Rande des Wahns

17.06.2008
Krankheiten wie Schizophrenie, die schleichend Erleben und Verhalten ändern, haben etwas besonders Unheimliches - sowohl für den Betroffenen als auch für seine Umgebung. Umso interessanter ist ein Sachbuch, in dem der Autor selbst Durchlittenes beschreibt, so wie Roman Preist mit seinem Werk "Mein Leben in zwei Welten".
Schizophrenie ist eine tabuisierte Krankheit - so häufig wie Diabetes, spricht dennoch kaum jemand darüber. Dabei erkrankt jeder hundertste Mensch mindestens einmal im Leben an dieser Störung - in jeder Nachbarschaft gibt es also einen Menschen, der von Schizophrenie betroffen ist.

Umso wichtiger, dass die Kranken selbst sich zu Wort melden - und Roman Preist tut dies in "Mein Leben in zwei Welten" packend und anschaulich. Der Autor, der seine Identität mit einem Pseudonym schützt, trat eine glänzende naturwissenschaftliche Karriere als Biophysiker an, als ihn Wahnvorstellungen ergriffen.

Ein Teufelskreis von Euphorie, Verfolgungsängsten, Selbstgefährdung, Psychiatrie, Medikamenten und Medikamentenverweigerung beginnt. Mal geht er freiwillig in die Klinik, mal wird er zwangseingewiesen, weil er versucht, sich das Leben zu nehmen, auf offener Straße Amok läuft, auf Laternenpfähle klettert und Gott preist. Freunde kehren sich von ihm ab, die Karriere zerbricht, die monotone Vertretertätigkeit, die er noch ausüben kann, drängt ihn zeitweise an den Rand der sozialen Isolation. Immer wieder muss er darum kämpfen, sein Leben in den Griff zu bekommen.

Anschaulich führt uns der Autor die Wahrnehmungswelt eines Schizophrenen vor Augen - darin besteht auch das große Ziel seines Buches: Er möchte nachvollziehbar machen, was Schizophreniekranke innerlich erleben. In seiner Kindheit sucht er nach ersten Spuren der Krankheit - vor allem seine uneindeutige Geschlechtsidentität beschäftigt ihn im Laufe des Buchs immer wieder.

Oft wünscht er sich als Kind einen Mädchenkörper, zieht Kleider an, schminkt sich. Dann wieder versucht er mit Macht, schablonenhafte Vorstellungen von Männlichkeit zu erfüllen, geht zur Bundeswehr, raucht und trinkt in rauen Mengen. Die Risse im Gefüge seiner Selbst- und Weltwahrnehmung werden schleichend größer, bis sie nach einer frustrierenden Romanze weit aufreißen - Roman Preist erlebt den ersten psychotischen Schub.

Während solcher Schübe verschmelzen in überbordenden Assoziationsketten Sport, Kunst, Wissenschaft, Sexualität, Religion und Politik miteinander, Dinge scheinen verbunden, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben - der Drang, solch grandiose, quasi-religiöse Verschmelzungserfahrungen der ahnungslosen Umgebung zu predigen, lässt sich kaum noch unterdrücken.

Ebenso schnell schlägt die Seligkeit in Panik um, wenn Worte im Mund oder auf dem Papier zerfließen, Farben ihn aggressiv anspringen, quälende Stimmen aus dem Weltall in ihn dringen, jeder zufällig aufgeschnappte Satz im Radio oder der Zeitung mit geheimnisvoller Bedeutung aufgeladen scheint. Tag und Nacht ist Roman Preist alias Ralf damit beschäftigt, die Welt gedanklich neu zu sortieren, in Alkohol ertränkt er das Tosen der Gefühle und Gedanken.

Wenn Preist seine Abstürze beschreibt, wechselt er vom Ich-Erzähler in die dritte Person und beschreibt mit spürbarem Mitgefühl die verzweifelten Kämpfen seines "Ralf" mit eingebildeten Feinden: Die schweißtreibende Anstrengung, aber auch die innere Logik der Krankheit wird hautnah spürbar, wir fühlen und leiden und hoffen mit Ralf - eine große Leistung des Buches.

Manchmal darf man auch lachen, der Autor erlaubt sich das auch: Wenn er tagelang über den geheimnisvollen Zusammenhang des Wortes GOD mit dem rückwärts gelesenen DOG sinniert, kann das schon sehr komisch werden.

Ganz Forscher ist Roman Preist, wenn er seiner Krankheit wissenschaftlich zu Leibe zu rücken versucht und am Ende des Buches Hypothesen zu Entstehung und Verlaufsformen der Schizophrenie unterbreitet. Dazu geht er sogar freiwillig in die Klinik, verzichtet auf Medikamente, führt willentlich einen Schub herbei und beobachtet, was sich in ihm abspielt.

So mutig das ist, kann es doch nicht ganz überzeugen. Zu wenig lässt sich nachvollziehen, ob seine Modelle über Stressoren und Überempfindlichkeitsreaktionen, über Dopamin-Puffer im Gehirn und Ähnlichkeiten zu autistischen Hochbegabungen seinem eigenen, teils klaren, teils wilden Denken entspringen, oder sich auf bereits gesicherte Forschung stützen. Das bleibt eine kleine Kritik am Rande: Roman Preist hat ein mutiges, gefühlvolles, komisches und hilfreiches Buch geschrieben.

Rezensiert von Susanne Billig

Roman Preist: Mein Leben in zwei Welten. Innenansichten einer Schizophrenie
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240 Seiten, 14,50 Euro