Alzheimer - Wie sollen wir als Gesellschaft damit umgehen?

Moderiert von Gisela Steinhauer · 11.02.2012
Die Alzheimer-Erkrankung des Fußballmanagers Rudi Assauer hat das Thema einmal mehr ins Bewusstsein gerückt: Hierzulande sind 1,3 Millionen Menschen von Demenzerkrankungen betroffen, davon 800.000 von Alzheimer.
Und die Zahl wächst: Schätzungen zufolge werden 2050 in Deutschland 2,6 Millionen Demenzkranke leben, global gehen Experten von einer Verdreifachung auf 115 Millionen aus. Wissenschaftler forschen mit Hochdruck an Medikamenten und Therapien - aber noch ist Alzheimer unheilbar. Gerade deshalb ist die Krankheit auch mit Tabus und Ängsten belegt.

Wie sollen wir als Gesellschaft mit Alzheimer umgehen?

"Wir müssen die Angst rausnehmen, die Pathologisierung", sagt Peter Wißmann, Geschäftsführer der Demenz Support Stuttgart. "Solange wir diese Horrorvision von Alzheimer haben, ducken sich die Leute weg. Und Angst ist ein schlechter Ratgeber."

Wißmann, der auch stellvertretender Vorsitzender der Aktion Demenz e.V. ist, setzt sich seit Langem für einen neuen Umgang mit dem Thema Demenz ein.

"Es geht eben nicht um die Erhöhung um 1,5 Prozent bei der Pflegeversicherung. Damit schaffen wir nur mehr Pflegedienste. Sondern: Wie kriegen wir es hin, wenn ich bemerke, dass meine geistigen Leistungen abbauen, dass ich dranbleiben kann am gesellschaftlichen Leben? Demenz muss auch raus aus der Ecke Krankheit, sie ist ein gesellschaftliches Phänomen, mit dem wir leben müssen. Und wir müssen diesen Menschen eine Perspektive schaffen."

Dem Demenzexperten, der auch mehrere Bücher zum Thema geschrieben hat, geht es besonders um die Teilhabe dementer Menschen am Alltag, dass sie weiterhin Persönlichkeiten mit ihren Rechten bleiben. Wo immer es gehe, sollten Demente am Alltag teilnehmen, Aufgaben übernehmen, auch in Unternehmen. Die Demenz Support Stuttgart hat auch Konzepte für neue Wohnformen entwickelt, wie Demenz-Wohngemeinschaften oder Pflegeoasen, sie kooperiert mit Kommunen und Vereinen.

Ilona Ibisch ist einer der Pionierinnen der Demenz-Wohngemeinschaften. Die Altenpflegerin aus Berlin konnte die strengen Zeitvorgaben in der ambulanten Pflege nicht mehr ertragen und bewarb sich vor rund 15 Jahren bei einer der ersten Demenz-WGs. Heute betreut sie als Mentorin ihres Pflegedienstes fast 20 WGs in der Hauptstadt.

"Das sind ganz normale Wohnungen, in denen Demenzkranke zusammenleben. Wir leben den Alltag mit, dass man gemeinsam kocht, man überlegt den Speiseplan, wir gehen gemeinsam einkaufen, wenn das noch funktioniert. Und es gibt keinen Zwang im Tagesablauf. Sie müssen nicht um Punkt sieben geschniegelt und gestriegelt am Tisch sitzen, das sind kleine Gruppen, da kann einer auch erst um 9:00 Uhr frühstücken."

Ihre Beobachtung:

"Wir haben in den WGs viele Leute, bei denen wir von den Angehörigen informiert werden, dass der Demente diese und jene Fähigkeit nicht mehr hat, zum Bespiel, sich ein Brot zu schmieren. In der WG kommt viel wieder ... In der ambulanten Pflege hat man auch keine Zeit, gemeinsam zu essen. In der WG können wir das. Ich setze mich oft dazu, und dann können die Bewohner gucken, wie ich das mache. Wenn sie zum Beispiel die Kartoffel mit der Hand aus der Schüssel nehmen wollen, sehen sie, dass ich den Löffel benutze, und versuchen es auch."

Ihr Appell im Umgang mit Dementen:

"Ehrlich sein, nicht lügen, nicht ausgrenzen. Derjenige bleibt als Persönlichkeit doch erhalten, sie geht nicht verloren. Denjenigen weiter als Erwachsenen behandeln und nicht wie ein Kindergartenkind."

Alzheimer - Wie sollen wir als Gesellschaft damit umgehen?

Darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9 Uhr 05 bis 11:00 Uhr mit Ilona Ibisch und Peter Wißmann. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@dradio.de oder auf unserer Facebook-Seite.

Informationen im Internet:

Über die Demenz Support Stuttgart GmbH

Über den Pflegedienst Schönholzer Heide GmbH

Literaturhinweise:

Christian Zimmermann, Peter Wißmann: Auf dem Weg mit Alzheimer. Wie sich mit einer Demenz leben lässt
Mabuse-Verlag 2011

Peter Wißmann, Rainer Gronemeyer: Demenz und Zivilgesellschaft - eine Streitschrift
Mabuse-Verlag 2008