Altes Museum Berlin

Fleisch, Kult und Körper in allen Facetten

Dieser Digitalprint einer Vanessa-Beecroft-Performance in der Neuen Nationalgalerie ist ebenfalls zu sehen.
Ein Exponat der Ausstellung: Der Digitalprint einer Vanessa-Beecroft-Performance in der Neuen Nationalgalerie. © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Stefanie Dietzel
Von Anette Schneider · 31.05.2018
Fleisch ist der vergängliche Stoff des Lebens. Seit Jahrtausenden beschäftigen sich Kulturen und Religionen mit diesem Symbol für Leben und Tod. Das Alte Museum Berlin widmet dem Fleisch nun eine Ausstellung - die auch unser Verhältnis zu Kult und Körper heute thematisiert.
"Wir haben das so ein bisschen an unseren Bekannten und Kollegen ausprobiert: Wo bekommen wir am meisten Rückmeldung? Und bei Fleisch ging einfach so viel ab, da gab es so verschiedene Rückmeldungen von: 'Ah ja, interessant!', bis hin zu Ekel: 'Ne, da komm' ich nicht in die Ausstellung!'. Und da haben wir gedacht: Da haben wir einen Nerv getroffen, da machen wir etwas dazu", sagt Archäologe Thomas Hintermann.
Er ist einer der 21 Kuratierenden der Ausstellung "Fleisch" und blickt dabei fast versonnen in eine längliche Glasvitrine mit einem aufgeschlagenen Buch. Dessen Seiten bestehen aus Plastikhüllen, die mit verwesendem Hammelfleisch gefüllt sind. Die Arbeit stammt von Dieter Roth und führt drastisch vor Augen, was wir lieber verdrängen: Fleisch und damit auch unser Körper ist vergänglich.

Die ausgewählten Objekte stammen aus aller Welt und kreisen auf ernste, abgründige und ironische Weise um das Verhältnis des Menschen zum Fleisch: So entstand vor etwa 2000 Jahren in Mexiko die Tonfigur eines arg gemästeten Hundes, der als Fleischlieferant diente. Eine üppige, kleine barocke Venus-Skulptur feiert die irdische Lust am Fleisch. Ein zeitgenössisches, aus Holz geschnitztes Abendmahl-Tableau spielt auf die rituelle Einverleibung des Leib Christi an.
Kuratorin Anika Reineke: "Der Mensch hat sich schon immer mit Fleisch auseinandergesetzt auf unterschiedlichen Ebenen: Mit dem Fleisch, das er isst. Mit dem Fleisch seines eigenen Körpers. Mit dem Fleisch als Kultobjekt. Und die Objekte der Staatlichen Museen spiegeln das so wunderbar wieder, wie wichtig dieses Thema für den Menschen schon immer war."
Bemaltes Schweinchen. Troja, Ton, bemalt, 1800-1100 v. Chr.
Bemaltes Schweinchen. Troja, Ton, bemalt, 1800-1100 v. Chr.© Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Vor- und Frühgeschichte / Jürgen Liepke

Das rituelle Schlachten entschuldigt das Töten

Aus Pergamon stammt zum Beispiel ein kleiner zylindrischer Opferaltar für Tiere. Er spiegelt ein Dilemma. Denn in der Antike galt: Wer ein Tier tötet, begeht eine Blutschuld. Deshalb wurde Schlachten zur rituellen Handlung, die das Töten entschuldigen sollte, so Thomas Hintermann. "Das geht eigentlich erst verloren mit dem christlichen Glauben, wo dann das Tieropfer nicht mehr diese Bedeutung bekommt, und dadurch wird das Schlachten etwas Alltägliches."
Wenige Objekte reichen aus, um die Entwicklung bis ins Heute fortzuführen: Einige historische Fotografien zeigen Schlachter bei der Arbeit. Ein Handbuch aus dem Jahre 1900 führt das fließbandmäßige Zerteilen von Tieren vor, wie es erstmals in den Schlachthöfen von Chicago praktiziert wurde. Und in einer Vitrine liegt eine dicke Wurst. Dieter Roth verwurstete hier medienkritisch ein Exemplar der Zeitung "Die Welt".
Wobei ziemlich "wurscht" ist, was verwurstet wurde, denn: "Da sieht man eigentlich nicht mehr, was drin ist. Da muss man eigentlich vertrauen haben und dran glauben, was drauf steht. Das ist das entpersonalisierteste Fleisch.", so Hintermann weiter.
Auf dem Fleischhof Lüneburger Straße in Moabit, um 1964
Auf dem Fleischhof Lüneburger Straße in Moabit, um 1964© Staatliche Museen zu Berlin, Kunstbibliothek / Alexander Enger

Schlachten kann so lustig sein

Dabei konnte Schlachten so lustig sein! Ein altes Kinderbuch jedenfalls präsentiert auf seinem Cover eine Frau, die mit ihrem kleinen Kind im Garten spielt. Darüber der Titel: "Schweinchen schlachten. Würstchen machen. Quieck Quieck Quieck. Lustige Kleinkinderreime für Mutter und Kind." Überhaupt das Schwein: Auf persischen Miniaturzeichnungen sieht man Eberjagden. In einer Vitrine tummeln sich kleine, antike Schweinefiguren aus Ton, Glücksbringer und Fruchtbarkeitssymbole aus Ägypten und China. Gleichzeitig wurde das Tier beschimpft als Dreckschwein und arme Sau.
Schlimmer noch: Im Mittelalter, so die Kunsthistorikerin Anika Reineke, diente es als Symbol des christlichen Sünders: "Weil es wie der Sünder nicht zum Himmel gucken kann und nicht zu seinem Gott aufgucken kann, sondern immer nur zum Boden schaut, in den Dreck und sich im Dreck suhlt. Und diese ganzen Konnotationen haben sich bis heute überliefert und überlagern sich."

Sind wir noch Neandertaler?

Obwohl dem wissenschaftlichen Museumsnachwuchs für sein Projekt nur ein Saal zur Verfügung steht, gelingt ihm durch die kluge Auswahl eine sehr konzentrierte Ausstellung, in der fast jedes Objekt eine eigene Facette des Themas sichtbar macht. Und in der man immer wieder schnell im Heute landet: Sei es, dass ein nach Idealmaß gefertigter antiker Torso auf den aktuellen Körperkult anspielt.
Sei es, dass eine als wissenschaftlich daherkommende Darstellung von Menschen, die in einem großen Kessel gekocht werden, sich als westeuropäische Propaganda von anno 1592 entpuppt - gerichtet gegen vermeintliche Menschenfresser in Mittelamerika. Denn: "Es brauchte ja einen Grund, warum die Christen diese Länder missionieren und kolonialisieren (müssen). Und da wurden dann Menschenopfer und Kannibalismus willkommene Gründe, um das zu rechtfertigen", so Kuratorin Reineke.
Wenn man am Ende der ebenso unterhaltsamen wie erkenntnisreichen Fleisch-Schau noch einmal den Künstler Christian Jankowski dabei beobachtet, wie er in seinem Videofilm "Die Jagd" mit Pfeil und Bogen durch einen Supermarkt schnürt und sich ein tiefgefrorenes Hühnchen schießt, drängt sich eigentlich nur noch eine Frage auf: "Sind wir eigentlich wirklich immer noch Neandertaler?"

"Fleisch ist doch ein sehr sensibles Thema"

In "Studio 9" sprach Liane von Billerbeck mit Christian Hauser über die Ausstellung im Alten Museum.
Der Koch hat höchsten Respekt vor Fleisch: Er ist Küchenchef im Berliner Restaurant "Herz und Niere", das er zusammen mit seinem Partner Michael Köhle 2014 eröffnet hat. Es ist ein "Nose to tail" Restaurant, in dem alles vom Tier auf den Teller kommt, auch die Innereien von der Niere bis zu den Kutteln. Dahinter steckt die Philosophie, dass jedes tote Tier mit Respekt zu behandeln sei.
Hauser ist für Deutschlandfunk Kultur in die Ausstellung gegangen und zeigte sich davon angetan, dass dort die Brücke zwischen Körperkult und dem Lebensmittel Fleisch sehr schön geschlagen werde. "Es ist alles sehr ernst gemacht und zum Nachdenken", sagte Hauser. "Fleisch ist doch ein sehr sensibles Thema." Das sei etwas, was er selbst jeden Tag im Restaurant erlebe.

Das ganze Interview mit Küchenchef Christian Hauser hören Sie hier: Audio Player

Die Ausstellung "Fleisch" ist bis zum 31. August 2018 im Alten Museum Berlin zu sehen.

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