Als moderner Künstler missverstanden

Von Ulrike Gondorf · 26.04.2012
Der Verwandtschaft des spanischen Griechen "El Greco" mit Künstlern des 20. Jahrhunderts auf der Spur ist die Ausstellung in Düsseldorf. Mehr als 40 Gemälde von El Greco sind aus bedeutenden Sammlungen gekommen, viele davon zum ersten Mal in Deutschland zu sehen.
Das kann man schon ein Gipfeltreffen nennen: Da steht man vor dem "Laokoon" und gleich hinter dem Durchgang, der sich daneben öffnet, hängt "Die Vision des Hl. Johannes". Zwei spektakuläre Meisterwerke von El Greco, zwei epochemachende Bilder auf einen Blick. Das eine ein Spitzenstück aus der Sammlung der National Gallery in Washington, das andere aus dem Metropolitan Museum New York. Monumental im Format und kapital in ihrer Bedeutung. "El Greco und die Moderne" - mit dieser Idee hat Hausherr und Kurator Beat Wismer seine Museumskollegen, vor allem in Spanien und den USA, gewonnen, wichtige Werke auszuleihen. Nicht für ein Kunstevent, das durch die Museen tourt. Sondern für eine Ausstellung, die ein Kapitel Kunstgeschichte anschaulich macht, das eng mit der Stadt Düsseldorf und dem Rheinland verbunden ist und doch weit darüber hinaus gewirkt hat.

"Düsseldorf war um 1910, 12 ein Brennpunkt. Es gibt die rheinischen Expressionisten, es gab 1912 den Sonderbund, da hing auch ein El Greco, möglicherweise zwei, und vor allem haben die jungen Künstler 1912 in Düsseldorf El Greco entdeckt im Rahmen der Ausstellung der Sammlung Nemes."

Acht Bilder waren damals zu sehen von einem Mann, der bis dahin in Deutschland nahezu unbekannt war.

"Wir möchten die Situation darstellen: die frühe Moderne in Deutschland, dazu kommt El Greco. Das war ja das Überraschende, dass ein alter Meister so ne wichtige Rolle spielt beim Durchbruch der Moderne."

Ein eiskaltes Blau, ein kreischendes Rosarot, ein grelles Gelb, ein giftiges Grün - schon die typischen Farben, die auf El Grecos Bildern zu sehen sind, distanzieren ihn von der Kunst seiner Zeit um 1600. Auf der apokalyptischen "Vision des Hl. Johannes" setzt er sie in großen Farbflächen ein, die aus der ganz in Grautönen gehaltenen Szene unter einem fast schwarzen, wild bewegten Himmel förmlich herausspringen. In extremer Untersicht, grotesk überlängt und mit den erhobenen riesigen Armen scheinbar aus dem Bild in den Raum greifend, kniet die stahlblau gekleidete Figur des Johannes auf der linken Seite, das Gesicht zum Himmel erhoben. Hinter ihm eine Gruppe gedrehter, gewundener, gereckter kalkweißer Körper - die Märtyrer, denen in dieser Vision von der Eröffnung des fünften Siegels der Apokalypse ihre himmlischen Gewänder aus den Wolken zugetragen werden. Eher ein Alptraum als eine paradiesische Verheißung. Hochexpressiv und unwirklich intensiv. Solche Bilder hatten Folgen für die Maler, die um 1910 nach neuen Wegen suchten.

"Es war vor allem das Formale, diese gelängten Figuren, dieser heftige Farbenauftrag, wenn man die Bilder von Nahem anschaut, ist da sowohl schon Manet wie auch expressionistische Malerei drin, das hat sie fasziniert. Dann hat sie fasziniert, dass da einer eine Bildsprache findet, um Ekstatisches und Visionäres auszudrücken, nicht nur zu erzählen."

Wilhelm Lehmbrucks eindrucksvolle Figuren des "Gestürzten" und des "Schreitenden Jünglings" zeigen die Verwandtschaft der Gestaltungsmittel und des künstlerischen Wollens ebenso wie Gemälde von Künstlern des Blauen Reiters, von den Expressionisten wie Ludwig Meidner oder Heinrich Nauen, von Egon Schiele, Max Beckmann, Pablo Picasso. Kein Zufall, betont Beat Wismer:

"Das ist ne Parallele der Zeiten, das ist ja Vorkriegszeit, es muss ein aufgepeitschtes Klima gewesen sein, und da wird El Greco sowas wie ne Identifikationsfigur für den modernen Künstler, El Greco, der 300 Jahre verkannt war, er war der verkannte Künstler, und da kann er Identifikationsfigur werden für moderne expressionistische Künstler, die an der Gesellschaft leiden."

Mal ist es die dramatische Komposition der Figuren, mal sind es die verzerrten, oft gequält wirkenden Körper, die kühnen Farben, das überscharfe Licht, das Menschen und Landschaften beinah surreal wirken lässt, das emotionale Extrem des Leids oder der Verzückung.

"Man hat ihn nicht als modernen Künstler missverstanden, aber man nannte ihn einen Propheten und einen Urahnen der Moderne."

Die Ausstellung macht sichtbar, wie viele Fäden das Werk El Grecos mit der Moderne verknüpfen, ohne es platt zu vereinnahmen. Ein erhellender Durchblick durch 400 Jahrhunderte und eine Begegnung mit aufregenden Bildern.
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