Als Journalist auf der Krim

"Wir haben Angst um unser Leben"

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Menschen verfolgen in Simferopol auf einer Videoleinwand in einem Restaurant die Live-Übertragung einer Rede von Russlands Präsidenten Putin. © dpa / Hannibal Hanschke
Ludmila Schurawljewa im Gespräch mit Vladimir Balzer · 16.03.2015
Ein Jahr nach der Annexion durch Russland: Ludmila Schurawljewa vom ukrainisch-russischen Fernsehsender "Tschernomorskaya TV" berichtet über das Arbeiten als Journalistin auf der Krim. Der Sender war der meistgesehene auf der Krim - vor der Annexion.
Genau ein Jahr ist sie her, die Annexion der Krim durch Russland. Das heißt auch für die Medien dort: Kontrolle durch Moskau. Oder das Land verlassen. So wie der einst populärste Fernsehsender auf der Krim. Tschernomorskaya TV. Also "Schwarzmeer-Sender". Er wurde von hunderttausenden gesehen, er sendet auf Russisch, aber inzwischen nur noch von Kiew aus.
Er gilt als unabhängig, als kritisch, er wollte sich nicht beugen. Jetzt ist er im Exil und versucht weiter über das Internet seine Zuschauer zu erreichen, die terrestrische Frequenz ist längst entzogen. Kurz vor der Sendung konnte ich mit Ludmila Schurawljewa sprechen, die den Sender als Direktorin geleitet hat und nun noch mit einigen Kollegen die Stellung hält. Sie ist selbst noch auf der Krim - wo ich sie per Skype erreicht habe. Sie versucht journalistisch zu arbeiten, auch wenn es ihr fast unmöglich gemacht wird. Ich habe sie zunächst gefragt:
Vladimir Balzer: Wie erinnern Sie sich an die Tage der Annexion vor einem Jahr?
"Die Leute hatten damals riesige Angst davor, dass der Bürgerkrieg aus Kiew auch auf die Krim kommt. Viele dachten: Uns rettet nur Putin. Das haben ihnen auch die Putin-Medien eingeredet. Aber trotzdem waren es nie und nimmer 90 Prozent, die den Anschluss an Russland wollten."
Vladimir Balzer: Wie viele wollten dann wirklich zu Russland?
"Ich würde sagen, die Hälfte. Alle meine Freunde und bekannten wollten das jedenfalls nicht. Das Problem war vor allem die Unsicherheit. Die hat den Leuten Angst gemacht. Hinzu kommt, dass man auf der Krim fast nur russisch spricht. So kam eins zum anderen."
Vladimir Balzer: Und jetzt - ein Jahr nach der Annexion, wie ist jetzt die Stimmung gegenüber den neuen Machthabern?
"Vieles ist schlechter geworden. Zu ukrainischen Zeiten konnte man sich frei versammeln und seine Meinung sagen. Jetzt ist das anders. Jetzt braucht man für alles eine Erlaubnis, es wird alles kontrolliert."
Vladimir Balzer: Wie hat sich Ihre Arbeit verändert?
"Unsere Arbeit hat sich radikal verändert. Unser Sender war 20 Jahre auf der Krim aktiv. Wir hatten zu Hochzeiten 400 Mitarbeiter. Wir verstanden uns als frei und unabhängig. Aber im März letzten Jahres war von heute auf morgen alles anders. Es begann mit der Abschaltung unserer terrestrischen Frequenz. Einfach so. Die meisten Zuschauer haben uns so empfangen und konnten es nun nicht mehr. Als nächstes versuchte uns die neue Macht wirtschaftlich fertigzumachen. Man zweifelte an unserer Steuermoral, man fragte nach angeblich falsch deklarierten Geldern und so weiter. Vorwände! Alles Vorwände. Es ging so nicht mehr weiter. Wir sind nach Kiew gezogen. Jetzt kann man uns auf der Krim zumindest über das Internet empfangen. Aber wir sind nicht mehr vor Ort, nicht mehr der Sender der Leute."
Sorge, ein "offenes Wort zu sagen"
Vladimir Balzer: Sie sind ja noch auf der Krim, dort erreiche ich Sie. Wie können Sie noch journalistisch arbeiten unter diesen Bedingungen?
"Wir sind noch fünf Leute hier, Notbesetzung. Zwei Kameramänner, zwei Redakteure und ich. Vielleicht aber auch nur noch wenige Tage. Ab dem 1. April müssen wir uns neu akkreditieren lassen, beim Außenministerium in Moskau. Weil wir doch jetzt als ein ukrainischer Sender gelten. Unsere Zentrale ist doch jetzt zwangsweise in Kiew. Aber wir werden es versuchen. Das sind wir unseren Zuschauern schuldig. Und es gibt so viele Probleme über die wir berichten müssen."
Vladimir Balzer: Welche Probleme meinen Sie?
"Hier auf der Krim haben doch alle Angst, ein offenes Wort zu sagen. Es fehlen Bürgerrechte. Es sind immer noch russische Bürgermilizen unterwegs, die damals entstanden sind. Woher auch immer sie kamen! Es gibt aber auch große soziale und materielle Probleme. Warenlieferungen sind schwierig. Es gibt Probleme mit dem Wasser. Und was macht die Administration? Die leugnet die Probleme."
Ihre Sendezentrale musste nach Kiew gehen, Sie sind nur noch mit einer Handvoll Aufrechter aktiv auf der Krim. Wie geht es anderen Journalisten auf der Halbinsel?
"Da sind die Kollegen vom krimtatarischen Fernsehen. Die hatten auch viele Zuschauer. Sie werden genauso drangsaliert wie wir. Sie werden wohl keine Arbeitserlaubnis mehr bekommen. Was ist geblieben? Die staatlichen Medien. Es gibt keine anderen Sichten mehr. Nur noch Moskau. Nur noch für die Macht. Gegen diese Macht darf keiner mehr was sagen."
Vladimir Balzer: Aus der Ferne wundert man sich: Wie konnte sich die gesellschaftliche Situation innerhalb weniger Monate so verändern?
"Das war nur der letzte Teil einer langen Geschichte. Seit Jahren waren die Leute hier der russischen Propaganda ausgesetzt. Hier schauten die Leute schon immer staatliches russisches Fernsehen. Sie hatten beide Fernseh-Schüsseln auf dem Dach. Die russische und die ukrainische."
Vladimir Balzer: Gibt es noch eine Nische? Was ist mit dem Internet ?
"Ja, das Internet ist die letzte Hoffnung. Es ist schwieriger zu kontrollieren. Auch wenn sie es trotzdem tun! Das neueste Beispiel: ein journalistisches Portal, das viele Recherchen veröffentlicht. Das 'Zentrum journalistischer Recherchen'. So heißt es. Es wird viel gelesen. Eine gute Quelle. Und was passierte jetzt? Eine Journalistin dieses Portals wurde verhaftet, ihre Eltern wurden befragt, ihre Wohnung durchsucht, sie wurde inhaftiert, verhört. Nur, weil sie kritisch geschrieben hat."
Vladimir Balzer: Gibt es noch Hoffnung? Von wo könnte sie kommen?
"Wenn ich diese Verhaftungen sehe, die Stimmung hier ... dann kann ich nur sagen, es ist so weit: wir haben Angst um unser Leben. Und genau das wollen die neuen Machthaber. Sie wollen, dass wir den Beruf wechseln. Sie wollen unsere Angst."
Vladimir Balzer: Was kann man noch tun? Was könnte der Westen noch tun?
"Wir hoffen, natürlich, dass die internationale Gemeinschaft Einfluss nimmt. Damit diese Bedrohungen endlich aufhören. Damit wir Journalisten endlich wieder unserer Arbeit nachgehen können. Damit unsere Grundrechte wieder hergestellt werden. Ich bin jetzt 29 Jahre alt. So was habe ich noch nicht erlebt. Bei uns wurden noch nie Journalisten geschlagen und bedroht. Interviews wurden mal verweigert, ja. Aber sowas wie jetzt? Nie! Das ist ja wie zu KGB-Zeiten. So stelle ich mir die Sowjetunion vor. Ein Sender, eine Propaganda. Der Kreml spricht! Mehr gibt's nicht. Und ein eiserner Vorhang davor. Viele alte Leutchen auf der Krim haben damit kein Problem. Die Jungen wollen das eigentlich nicht, aber auf der Krim dominieren nun mal die Alten. Und ansonsten haben die Leute Angst. Ihnen wird gesagt: Klappe halten."
Vladimir Balzer: Und die Ukraine?
"Die wollte eine andere Gesellschaft: und das ist auch gut so."
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