Alltag in der JVA

Duschschlappen und Brathähnchen

Ein Zellenschlüssel ist in der neuen Dauerausstellung im ehemaligen Gefängniskomplex am 27.11.2013 in Cottbus (Brandenburg) zu sehen.
Im Gefängnis zu sitzen bedeutet auch, nicht einfach einmal einkaufen zu können. © picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Von Hagen Reiners · 25.04.2014
Einfach mal einen Schokoriegel kaufen – als Häftling nicht möglich. Gefangene dürfen nur bestimmte Produkte konsumieren. Ein Lieferant hat sich auf den Verkauf in Haftanstalten spezialisiert.
"Ist der Boris bei Euch?"
"Nein."
"Gut. Nochmal zur Laderampe, der LKW kommt jetzt aus der JVA Münster, wird entladen und dann werden wir gleich heute den LKW zur JVA Köln beladen. Nachher in der Nacht um zwei, sowas."
Werner Massak steht im Lager seiner Spedition. Um ihn herum schwirren dreißig Angestellte, sie schieben Rollwägen, tragen Kaffee und Tabak, beladen die LKWs.
Neben ihm an einer Rollbahn: Nadine Trautner. Sie wirft ein Blick in jede einzelne grüne, mit einem Code markierte Kiste, die zu ihr geschoben wird. In ihrer Hand hält sie ein Klemmbrett mit einer Auflistung der Inhalte:
"Ich sortiere oder ich kontrolliere besser gesagt, ob da alles noch drin ist, ob das richtig kommissioniert, eingekauft ist und das ist die Endkontrolle. Wir schauen, ob alles drin ist, ob noch was fehlt und dementsprechend müssen wir uns das dann holen oder es wird uns gebracht."
Werner Massak: "Da sind jetzt so ein Paar Duschschuhe mit drin. Die sind scheinbar ein Neuzugang, weil er Duschschlappen bestellt, auf gut fränkisch, und die werden jetzt hier mit beigepackt."
Nicht das Feuerzeug vergessen
1999 belieferte der selbstständige Supermarktleiter Werner Massak die erste JVA. Heute fährt sein Familienunternehmen von Memmelsdorf bei Bamberg 86 Anstalten an. Das Büro des 58-Jährigen liegt direkt neben dem Lager:
"Der Kunde ist zufrieden. Dann ist die Anstalt zufrieden und dann geht die Mundpropaganda über die Gefangenen weiter und wir bekommen die nächste Anstalt."
Im Büro angekommen, setzt sich Werner Massak an den Konferenztisch. Von hier blickt er direkt auf seine LKWs draußen, unterhalb des Fensters. Als guter Geschäftsmann versucht Massak sich immer wieder in die Situation seiner Kunden zu versetzen:
"Sie können ja nicht einfach zum Kollegen gehen und sagen, gib mir mal schnell Feuer, weil die Türen sind zu. Das sind die Sachen, da muss man einfach dran denken. Und deswegen kann es auch nicht sein, wenn man ein Feuerzeug vergisst. Oder die Briefmarken, die der Kunde bestellt, die man nicht mitliefert. Dann sagt man: "Mein Gott! Die kriegst Du halt das nächste Mal." Ja, aber der will vielleicht mit der Familie Kontakt halten, will einen Brief schreiben, kann nicht und es geht nicht anders. Er hat keine Möglichkeit etwas herzukriegen."
Früh am nächsten Morgen ist der LKW aus Memmelsdorf in der JVA in Köln eingetroffen. Zusammen mit acht Helfern, die Werner Massak für den Verkauf in Nordrhein-Westfalen eingestellt hat, entladen die Fahrer die grünen Kisten.
Stichprobenartig kontrollieren Beamte der JVA den Inhalt. Verboten ist alles, was als Waffe verwendet werden könnte, scharfe Gegenstände wie etwa ein Messer, oder Pfeffer, der Beamten in die Augen gestreut werden könnte. Auch Massaks Angestellte werden abgetastet. Auf Rollwägen fahren sie die Kisten durch den Wareneingang in einen großen Raum, wo sie sie sortieren.
Die Boxen werden dann durch einen schier endlosen, mit Halogenlampen beleuchteten Gang und noch einmal durch die schweren Metalltüren in die einzelnen Blocks vor die jeweiligen Zellen getragen. Hier übernimmt Christa Schnittka-Leikenjohst:
"Schließen Sie uns auf?"
Wachmann: "Ja!"
Schnittka Leikenjohst: "Ihr Einkauf. Guten Morgen. Haben Sie bitte Ihren Einkaufsschein? Sie bekommen nur Traubenzucker für 99 Cent." Häftling: "Ist gut, Traubenzucker für Sport, fitter machen für draußen. Ich habe vor, Ausbildung als Sportler."
Anschreiben lassen geht nicht
Christa Schnittka Leikenjohst arbeitet erst seit kurzem bei Massak. Die Namen der Gefangenen kennt sie nicht:
"Nein, ich habe was gegen Verbrechen. Einfach nur und Vergewaltigungen sowieso. Ich habe auch Kinder und Familie. Wenn ich sowas höre, ich finde es einfach fürchterlich. Wenn ich von jedem hier die Geschichte wüsste, nein, dann würde ich es nicht machen wollen. Dann würde ich was anderes machen."
Jedes Mal, wenn der JVA-Beamte eine Zellentür öffnet, breitet sich immer auch die Privatsphäre eines Menschen vor Schnittka Leinkenjohst aus. Poster, Zeitschriften, in manchen Zellen der Geruch von Schweiß.
Ein Häftling im regulären Strafvollzug hat ein Budget von 120 Euro. Wenn er jedoch keinen Job in der Anstalt hat, keine Unterstützung von außen bekommt oder sein gesamtes Geld beim ersten Einkauf im Monat ausgegeben hat, dann kann er sich nur wenig leisten. Die Lieferantin aber bleibt hart:
"Also sie können leider das Feuerzeug nicht nehmen oder nur das Feuerzeug nehmen, eins von beiden. Sie haben nicht genug Geld."
Häftling: "Dann nehme ich natürlich das Zitronengetränk. 2 Cent fehlen nur wegen dem Feuerzeug."
Schnittka Leinkenjohst: "Genau, deswegen geht das so nicht. Sie müssen jetzt so unterschreiben und fertig."
Häftling: "Alles klar, okay."
Schnittka Leinkenjohst: "Es geht leider nicht anders. Nächstes Mal korrekt arbeiten, dann klappt das auch. Nein, sie müssen hier unterschreiben, das nehme ich dann mit."
Häftling: "Okay, mache ich."
Schnittka Leinkenjohst: "Ich danke ihnen."
Häftling: "Ich danke ihnen."
Schnittka Leinkenjohst: "Tschüss."
Rund 2800 Produkte bietet Massak seinen Kunden an. Alles, von Badelatschen bis zum vakuumierten Brathähnchen. Am besten gehen Tabak und Kaffee. Doch stehen alle Waren eigentlich für viel mehr.
Häftling: "Weil das sind Sachen, die man benötigt und so nicht bekommt. ... So was bekommt man nur über den Einkauf und deswegen hat das was mit der Freiheit zu tun."