"Alles hat seine Zeit"

Von Stephanie Jaeckel · 01.03.2008
Im Judentum, Christentum und dem Islam ist Gott Souverän über die Zeit. Sie beginnt mit seiner Schöpfung und einst wird Gott der Zeit auch ein Ende setzen. Den monotheistischen Religionen verdanken wir drei verschiedene Kalender, die die göttliche Zeit an den Menschen weitergeben. Sie markieren Festtage, Fastenzeiten, Ruhe- und Werktage. Und haben alle dasselbe Problem: je mehr Zeit vergeht, desto weniger passt die göttliche Zeit mit unseren Lebensgewohnheiten überein. Was bleibt von Gottes Zeit?
Dem Judentum, Christentum und dem Islam ist die Vorstellung gemein, dass Gott die Zeit gehört. Sie kann nicht von den Menschen besessen oder verteilt werden. Menschen können die Zeit nur verwalten. Zum dritten Teil der Jüdischen Bibel zählt das Buch Kohelet, im Alten Testament wird es als "Prediger Salomo" oder "Ecclesiastes" zu den Weisheitsschriften gezählt. Eines seiner Kapitel widmet sich dem Thema Zeit.

"Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde. Geboren werden hat seine Zeit, Sterben hat seine Zeit; Pflanzen hat seine Zeit, Ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; Töten hat seine Zeit, Heilen hat seine Zeit; Abbrechen hat seine Zeit, Bauen hat seine Zeit; Weinen hat seine Zeit, Klagen hat seine Zeit, Tanzen hat seine Zeit…"

Zeit, so die hebräische Bibel, vergeht nicht einfach. Jede Stunde hat ihren eigenen Charakter, ihre eigene Qualität. Für die Judaistin Dr. Eva Maria Thimme ein wertvoller Hinweis auch für heutige Menschen:

"Die Weisheit gerade dieses Anfangs ist eine sehr aktuelle Botschaft, weil viele Menschen dem Irrglauben anhängen, sie müssten alles zur gleichen Zeit machen. Und die Vorstellung, dass man auch etwas nicht tut, und zwar ganz bewusst nicht tut, das ist etwas, was vielen völlig abgeht, und was den so genannten Stress im Leben eigentlich bewirkt."

Samy Khadem-Al-Charieh: "Man hat ja im Islam die Freiheit von einem Zeitraum, in dem das Gebet gemacht werden muss. Natürlich ist es empfohlen, es am Anfang zu machen, und ich hab' natürlich auch den ganz normalen Alltagsstress, und sitze manchmal in der Uni und denke, jetzt machst du das noch vorher, und das machst du noch vorher, und das noch, und die Zeit wird immer knapper, wenn ich aber zum Beispiel mal einen Tag habe, wo ich dann gleich am Anfang das Gebet mache und nachher erst die Arbeit, dann sehe ich halt auch, dass es wirklich auch flüssiger läuft."

Samy Khadem-Al-Charieh arbeitet am Mathematischen Institut der TU Berlin. Dass er als gläubiger Muslim auch während der Arbeit Zeit für das tägliche Gebet finden muss, war für ihn nie ein Problem. Doch den richtigen Moment abzupassen, das ist jeden Tag eine neue Herausforderung. Die Idee der muslimischen Gebetszeiten ist, dass man nur dann beten soll, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Denn: Alles, was zu früh ist oder zu spät, erreicht nicht sein Ziel.

Die Sure 103 gehört zu den Texten im Koran, in denen auf die verschiedenen Tages- und Nachtzeiten geschworen wird. Das heißt, ihre besonderen Qualitäten werden beschrieben und erläutert. Der Nachmittag ist die Zeit, sein tägliches Brot zu verdienen. Sure 103 ist ein Aufruf, diese Zeit richtig zu nutzen. Auch während der Arbeit soll der Mensch das diesseitige Leben nicht in den Vordergrund stellen. Nur wer seinen Alltag durch Taten an die Mitmenschen in die Gegenwart Gottes stellt, so der Koran, wird gerettet.

"Sure 103. Al-'Asr. Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen. Beim Nachmittag! Der Mensch erleidet bestimmt Verlust; außer denjenigen, die glauben und die gute Werke tun und sich einander die Wahrheit ans Herz legen und die Geduld nahelegen."

Die Zeit richtig zu nutzen, den Alltag auf die Ewigkeit hinzulenken, ist die Aufgabe gläubiger Menschen. Dass sie daran scheitern, davon weiß vor allem das Neue Testament zu berichten. Rainer Kampling, Professor für Katholische Theologie an der FU Berlin:

"Am Bekanntesten ist tatsächlich die Unfähigkeit von Menschen, den richtigen Augenblick zu erkennen. Das ist ein interessantes Thema. Also Jesus tritt ja auf mit dem Satz "der Zeitpunkt ist gekommen." Jetzt ist die Zeit - und davon handelt das Neue Testament in erstaunlicher Vielfalt - wie Leute nun diesen gelungenen Zeitpunkt verpassen. Also, manchmal könnte man denken, dass sie mehr vom Scheitern als vom Gelingen handeln. Gerade im Johannes-Evangelium, also in der Begegnung mit Christus, geschieht diese Krise, ja, und wer sich falsch entscheidet, entscheidet sich falsch Es ist der richtige Moment, auf den es ankommt, man muss dann die richtige Antwort wissen. Und ich denke schon, dass man wohl beraten ist, auch daran zu denken, dass man kein zweites Leben im Tiefkühlfach hat. "

Katharina Jany: "Mir ist es auch einfach wichtig, dass es auch jedes Jahr auch immer wieder diese Zeiten gibt, wo man sich darein vertieft und auch immer wieder versucht so die Brücke zu schlagen, zu dem eigenen Leben. Das ist ja nicht irgendwas, was fern von uns existiert, sondern was, was auch Gegenwart werden soll, in unserem Leben. Und, dieses Feiern, auch Ostern, immer wieder auch Karfreitag und Karsamstag und Auferstehung, das sind Dinge, die zutiefst auch mit unserem eigenen Leben zu tun haben. Und es ist wichtig, die Dinge auch in Verbindung zu bringen, mit dem eigenen Leben, und das kann man, indem man es einfach immer wiederholt - denn, ich glaube, wir Menschen brauchen das."

Die Psychotherapeutin Katharina Jany versucht, auch neben Beruf, Familie und Ehrenamt, sich der Gegenwart Gottes bewusst zu bleiben. Feiertage sind für sie eine Art Ankerplatz, an denen sie ihr persönliches Leben mit der Ewigkeit verknüpft. Hier kommt der Kalender, sein Netz aus Fastenzeiten, Ruhe- und Festtagen, zum Tragen. Dr. Eva-Maria Thimme:

"Es ist eine enorme Spannung - diese seltsame Spannung zwischen der Gegenwart, die wir leben, der Vergangenheit und eben der - nicht nur der Zukunft, sondern einer Ewigkeit. Das heißt, dass eine Vergangenheit lebendig wird, und zugleich eine Vorstellung erweckt werden muss von dem, was eine Ewigkeit sein könnte. Das ist ja eigentlich eine Sache, die man sich so wenig vorstellen kann wie die Unendlichkeit des Alls. Das ist sicherlich eine Funktion der Feiertage, dass man selber als Individuum und als zeitlich begrenzter Organismus das zwar erlebt, aber zugleich auch zurücktritt, weil man sagt, so könnte es immer, immer weiter gehen."

Dass gerade Feiertage dem Menschen die Möglichkeit geben, aus dem Alltag auszubrechen, ist eine Botschaft aller Religionen. Sich am Feiertag des göttlichen Geschehens zu erinnern, gehört zu den großen Zeit-Paradoxien im Glauben. "So lange her und doch nicht vorbei" - mit diesem Zitat des Philosophen Friedrich Hegel umschreibt Rainer Kampling das Phänomen:

"Ja, es spielt an auf einen Satz, den Hegel mal in einem Brief geschrieben hat, dass es schon so lange vorbei ist, dass es schon nicht mehr wahr ist, aber es ist eben wirklich lange vorbei. Und doch ist es wahr in dem Augenblick, wo Menschen sich zusammen finden, ob sie nun Chanukka feiern, Ramadan begehen oder Weihnachten, es ist tatsächlich eine Herbeiholung, eine Erinnerung, die dann Wirklichkeit wird. Also es ist tatsächlich, es ist tatsächlich wahr, in dem Augenblick, in dem man es feiert - es ist wirklich das Faszinierende, diese Feiertage, wenn sie denn recht verstanden sind, sind ja Momente des Aus-der-Zeit-genommen-Seins, nicht, dieses Herausgerissen sein aus diesen Kontexten, in denen man sich sonst bewegt, und sie erhalten dadurch auch so einen Tatsächlichkeitswert, also, Wahrheit, also sind dann auch tatsächlich Feiertage. man muss allerdings auch, glaube ich, ein großes Maß haben, sich selber etwas zu gönnen - sonst klappt das mit den Feiertagen nicht."

Salomo: "Was geschieht, das ist schon längst gewesen, und was sein wird, ist auch schon längst gewesen; und Gott holt wieder hervor, was vergangen ist."

Talmud: "Gepriesen seist du YHWH, unser Gott und König der ganzen Welt, der Du uns leben und bestehen und diese Zeit erreichen ließest."

Sure 36, 40 "Es ist der Sonne nicht erlaubt, den Mond einzuholen, noch kann die Nacht den Tag überholen: Alle schwimmen auf ihrer eigenen Bahn."