Alles aus Einem

Gast: Frank Schneider; Moderation: Michael Dasche · 09.12.2012
"Nun kann ich endlich Brahms beim ersten Hören verstehen!" So äußerte sich ein begeisterter Zuhörer, der bei der überaus erfolgreichen Uraufführung von Johannes Brahms' 3. Sinfonie am 2. Dezember 1883 im Wiener Musikvereinssaal dabei war. Auch der Kritiker Eduard Hanslick attestierte dem Werk eine "klare unmittelbare Wirkung beim ersten Hören".
Der rasche Erfolg von Brahms' "Dritter" rief einmal mehr die ästhetische Gegnerschaft der "Neudeutschen" auf den Plan, die von reaktionärer Attitüde und kompositorischer Impotenz sprachen, obwohl Neuerungen und Kühnheiten gerade hier mit den Händen zu greifen sind. Nach sechsjähriger sinfonischer Abstinenz (die vom Violinkonzert und dem 2. Klavierkonzert überbrückt wurde) emanzipierte sich Brahms - im Zenit seiner schöpferischen Kraft stehend - nun vollends von seinem und seiner Generation "Übervater" - von Ludwig van Beethoven.

Neu und eigenständig ist u. a. die extreme Verflechtung von Themen, die sich mehr oder weniger plausibel aus einem gemeinsamen motivischen Bestand, aus verwandten Intervall-Strukturen ableiten lassen. Neben Anknüpfungen an Schumann, an dessen Bestrebungen, die Sätze einer Sinfonie zyklisch miteinander zu verzahnen, zeigen sich sogar eine Verbindung zu Richard Wagner, zu seiner mit dem Schlagwort der "Leitmotivik" belegten Technik vielfältigster motivischer Charaktertransformationen.

Für die Interpretationspraxis tun sich zwei grundlegende, einander aber nicht ausschließende Alternativen auf: Die eine besteht darin, jene strukturellen Vernetzungen innerhalb und zwischen den Sätzen so hörbar wie möglich zu machen; die andere setzt stärker auf klangliche Prozesse, auf "Klangbilder", Stimmungsgehalte usw., die weniger objektivierbar sind, zu frei "poetisierender" Deutung einladen. Sowohl diese als auch die andere Richtung ist in der Sendung mit
exemplarischen Aufnahmen vertreten.