Alles andere als Provinz

18.02.2008
Auf stolze 400 Jahre kann das Theater Konstanz zurückblicken. Ehemalige Intendanten wie Hans-Jörg Ammann und Ulrich Khuon erzählen in dem Buch davon, wie sie der Bühne Geltung verschafft haben. Der aktuelle Intendant Christoph Nix, einer der Herausgeber, trägt "13 Thesen zur Reform des deutschen Theaterwesens" bei, die es in sich haben.
Ein Theater hat Geburtstag gefeiert. Schön und gut. Und meistens eine herrliche Sache für die lokale und bestenfalls regionale Kulturberichterstattung. Warum hier eine veritable Hardcover-Veröffentlichung von immerhin 230 Seiten im Buchverlag einer der drei prägenden Fachzeitschriften im Theaterland Deutschland? Was ist denn bloß an Konstanz so bedeutend?

An der Konstanzer Theater-Geschichte entscheidet sich außerordentlich beispielhaft die Frage, wo denn in Deutschland (und in deutschen Theatern) die sogenannte "Provinz" beginnt. Denn je mehr sich die repräsentative Kultur auf die Residenzen konzentrierte, desto randständiger mögen von heute aus die Spielpläne eines Theaters wie dem in Konstanz erscheinen.

Nach 179 jesuitischen Jahren fällt das Bühnenhaus (wie überall sonst jenseits der höfischen Theater) privaten Pächtern zu, und die lassen auf die Bühne, was gefällt und sich auszahlt, vorgesellt von reisenden Theatergruppen. Keine Chance für Goethe oder Schiller, die wir von heute aus ja für die Helden der Epoche halten – nix da: August von Kotzebue, Charlotte Birch-Pfeiffer oder Roderich Benedix liefern die Longseller der Zeit mit garantiert viel Musik und sicherem Happy End.

Erst zum Ende des 19. Jahrhunderts hin etablieren sich feste Gruppen an einigen Häusern, die sich auch "der Kunst" verpflichten, und die Moderne beginnt mit Ibsens Siegeszug. In einer kleinen Stadt wie Konstanz liegt das Theater noch lange so fest im Griff der Wirtschaftlichkeit für den Pächter wie es zurzeit des Nationalsozialismus in Deutschland fest in den Griff der braunen Herrscher gerät. Konstanz ist allerdings wieder speziell: als "Grenzlandtheater", das bis in die neutrale Schweiz ausstrahlen soll – als Musterspielstätte neuer deutscher Kunst.

Wie formuliert es der Intendant Hans-Jörg Ammann treffend? "Nichts ist provinzieller als das, was überall hinpasst." Lange ist Theater auch in Konstanz wie dieses "überall"; mit dem Vorglühen der politischen Revolte der frühen 60er Jahre ist ein erster Aufbruch zu spüren, aber noch mit Gründung der fürs Theater enorm wichtigen Universität Mitte des Jahrzehnts sitzt bis 1980 ein eher streng konservativer Jagdfreund auf dem Intendantenstuhl.

Der Bruch, den Ammann, aus Basel kommend und aus Freiburg, mutigeren Theaterstädten mit allerdings ähnlichem Beharrungsvermögen wie das kleine Konstanz, dem Publikum hier vermitteln will, ist wirklich fundamental. Ammann, sein Chefdramaturg und Nachfolger Ulrich Khuon, selbst danach noch dessen Nachfolger Rainer Mennicken, Dagmar Schlingmann und jetzt Christoph Nix, haben damit auf unterschiedliche Weise gekämpft und erzählen davon im Buch.

In zwei Nachkriegsjahren, 1948 bis 1950, ist wie unter dem Brennglas das zentrale Problem aller Konstanz-artigen Theater im Lande erkennbar, gültig bis heute: mit dem zu Nazi-Zeiten in Deutschland überlebenden, offiziell unbelasteten Meisterregisseur Heinz Hilpert, erfahren noch aus Max Reinhardts Zeit in Berlin, versucht ein Großkünstler den Neustart in Konstanz. Er übernimmt sich in seiner Passion mit der Stadt, sie übernimmt sich mit ihm. Günter Rühles wie immer profunder Text ist unstreitig das Glanzstück des Bandes.

Der aktuelle Intendant Christoph Nix - ein zeitgenössischer Sonderling - hält ziemlich achtbar Schritt mit der Historie. Sein Auftakttext ist ein illusionsloses Plädoyer für das Einverständnis im Theater, das Zusammen-Hören, Zusammen-Sehen, Zusammen-Leben mit anderen, den Machern wie dem Publikum, verweist auf den ewigen Traum vom Theater als transzendierenden Spiel- und Traum-Ort und seine finalen "13 Thesen zur Reform des deutschen Theaterwesens" haben es politisch und strukturell in sich.

Die letzte geht so: "Allen Armen freien Eintritt im Theater! Alle Entscheidungsträger, vom Sparkassendirektor bis zum Ministerpräsidenten, einmal im Jahr ins Theater! Gegen politische Personalentscheidungen! Gegen Mittelmaß und Kompromiss!" – Ein Phantast halt. Ein Theater-Mensch. An einem beispielhaften Theater, das "Provinz" gar nicht sein kann …

Rezensiert von Michael Laages

"Hier wird gespielt!" - 400 Jahre Theater Konstanz
Hrsg.: Christoph Nix, David Bruder, Brigitte Leipold
Theater der Zeit / Berlin 2008
230 Seiten, 18 EUR