Alle sind für die Revolution - aber nicht jeder singt darüber

Von Mona Sarkis · 15.01.2013
Westliche Journalisten, Soziologen und Politologen stürzen sich auf die arabische Hip-Hop-Szene - in der Erwartung, ein neues Phänomen namens Rap 'n‘ Revolution vorzufinden. Fragt man aber die arabischen Musiker, was es damit auf sich hat, antworten sie meist: So gut wie gar nichts.
Absolut jede politische Äußerung war in Tunesien, Syrien oder Ägypten jahrzehntelang tabu. Sogar wenn sie als Kritik am Westen daherkam. Denn: Volkes Seele sollte zwar anti-westlich fühlen. Artikulieren aber durfte sie selbst das nur auf Geheiß ihres jeweiligen Führers. Seit Ausbruch der arabischen Revolten scheint sich dies geändert zu haben.

"NATO?!Wie will die denn den Frieden erhalten, he?/Eine Allianz der Lügen und Korruption/´Totale Medienmanipulation/Überall Ausflüchte und Lügen, alles nur um Israel zu schützen/Wem soll ich vertrauen?/Rings umher Verräter und Verkäufer/Verkäufer und Verräter/Gott helfe uns - sag Amen"

Al-Sayyed Darwish singt seit sechs Jahren seine Rapsongs - und zwar in Syrien. Natürlich habe der dortige Aufstand ihn inspiriert - hie und da. Sagt der 25-Jährige. Im Großen und Ganzen aber schreibe er nicht anders als zuvor auch. Nur eben deutlicher. Die Rede von der neuen großen Freiheit mag Al-Sayyed Darwish jedenfalls gar nicht hören.

"Nein, nein, nichts da. Diese Behauptung, die Revolten hätten plötzlich alle Fesseln gesprengt, stammt aus dem Westen. Manchmal kommen sogar noch neue Fesseln dazu. In Syrien beispielsweise kann ich derzeit unmöglich auch nur ein Wort gegen die Rebellen sagen. Und in der gesamten Region herrschen noch die alten Tabus: Erotik - und natürlich Religion."

Yves Gonzalez-Quijano stimmt ihm zu. Der französische Soziologieprofessor von der Universität Lyon studiert das kulturelle Leben im Mittleren Osten seit Jahrzehnten. Das plötzliche Interesse an den Rappern des "Orients" findet er reichlich orientalistisch.

"Ich bitte Sie, arabischen Hip Hop gibt es seit den Neunzigern. Aber kaum jemand schenkte ihm große Aufmerksamkeit. Jetzt - mit dieser wütenden arabischen Protestjugend, entdeckt alle Welt plötzlich auch die wütenden Rapper. Dabei ist in Palästina beispielsweise keine Revolution ausgebrochen - trotzdem ist das Land seit Jahren eine Hochburg für Hip Hop. Die Argumentation, dass dort wo Revolten ausbrechen, auch der Rap aufblüht, hat mit der Realität wirklich wenig zu tun."

Hat der mit der Kultur und Komplexität des Mittleren Ostens wenig vertraute "Westler" also mal wieder viel zu naiv gedacht? Der jordanische Rapper Al-Far‘i lächelt mitleidig. Natürlich sei die 1:1-Verknüpfung von "Arabellion" und Rap überzogen. Aber:

"Die Ereignisse in Tunesien und Ägypten ließen alle arabischen Führer aufhorchen. Sie wissen jetzt, dass sie den Menschen nicht länger ohne weiteres über den Mund fahren können. Eine offenere Kritik an Korruption und anderen Missständen ist nun also möglich. Das allein ist ein enormer Fortschritt."

Der 29-jährige Jordanier will sich mit diesem Fortschritt aber nicht begnügen. Statt nur die eigenen Diktatoren oder den Westen zu kritisieren - beides ist ja schon salonfähig geworden - prangert Al-Far‘i neuerdings auch die religiösen Hardliner an.

"Im Namen der neuen Generation will ich dich direkt fragen/Du schlägst die Brücke zwischen Kolonialismus und Jesu Christus/Das aber ist nicht die Natur der Dinge, sondern bloßer Rassismus/Du verletzt nur die Religion - hör also auf, so was zu sagen/ Versuchen wir lieber zu verstehen/Und den Lauf unserer Geschichte richtig zu sehen/Von den Abbasiden zu den Ommayaden/Zwischen Fatimiden und Osmanen.."

An Stoff für Kritik, Aufarbeitung und Verarbeitung fehlt es den jungen Arabern in ihrer aufgewühlten Region tatsächlich nicht. Musiker wie Al-Far‘i beschäftigen sich damit. Andere wiederum bleiben bei den Themen, die sie schon seit Jahren behandeln. Kurz: Die arabischen Rapper sind ganz sicher nicht die Stimme der Protestjugend. Der Soziologe Yves Gonzalez-Quijano findet das auch gut so. Und nicht nur, weil es ohnehin nicht Aufgabe von Kunst sein kann, das Tagegeschehen zu reflektieren. Sondern:

"Weil zum ersten Mal in der arabischen Welt nicht mehr eine intellektuelle Elite für die Massen spricht. Erstmals sprechen die Massen für sich selbst. Via Facebook oder Graffiti oder in Zeitungsartikeln - alle wollen eine neue arabische Welt erschaffen. Noch ist es ein einziges Stimmengewirr. Aber eben das ist ja das Faszinierende: Es gibt gegenwärtig weder politische, noch kulturelle Führer."