"Alle müssen nach Aserbaidschan kommen"

Das aserbaidschanische Duo Ell und Nikki hat mit dem Sieg 2011 den ESC nach Baku geholt.
Das aserbaidschanische Duo Ell und Nikki hat mit dem Sieg 2011 den ESC nach Baku geholt. © picture alliance / dpa | Kristina Koroleva
Emin Milli im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 27.02.2012
Der aserbaidschanische Blogger Emin Milli hat dazu aufgerufen, das Finale des Eurovision Song Contest am 26. Mai in Baku gezielt zu nutzen, um Druck auf die autoritäre Regierung in seiner Heimat auszuüben. Die Situation dort sei unwürdig für ein Mitglied des Europarates, sagte er.
Klaus Pokatzky: Als der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Markus Löning im letzten Jahr Aserbaidschan besucht hatte, hatte er hinterher gesagt: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass man Lieder trällern kann, während ein paar Kilometer weiter Leute ohne Grund im Gefängnis sitzen." Die Organisation Reporter ohne Grenzen hat eine Rangliste mit 179 Staaten, in der registriert wird, wie es um die Pressefreiheit in dem jeweiligen Land bestellt ist. Von den 179 steht Aserbaidschan auf Platz 152. Das Land ist reich an Öl und strategisch wichtig, und für die Endrunde im Eurovision Song Contest konnten mit den Ölmilliarden in der Hauptstadt Baku noch mehr Prachtbauten gebauten werden, darunter eine Festivalhalle mit 25.000 Plätzen. Dafür wurden störende Häuserblocks abgerissen, 20.000 Menschen sollen so ihre Wohnungen verloren haben.

Der Blogger und Aktivist Emin Milli saß 17 Monate in Aserbaidschan im Gefängnis, weil er sich in einem satirischen Video über korrupte Politiker lustig gemacht hatte. Jetzt studiert er Staatswissenschaften in London und dort begrüße ich ihn am Telefon. Guten Tag, Herr Milli!

Emin Milli: Guten Tag!

Pokatzky: Herr Milli, werden Sie sich am 26. Mai den Eurovision Song Contest in der BBC ansehen?

Milli: Ja, aber wahrscheinlich aus anderen Gründen als vielleicht viele andere.

Pokatzky: Aus welchen sehen Sie ihn an?

Milli: Also, ich bin dafür, dass wir diesen Eurovision als eine Plattform nutzen, um die Aufmerksamkeit auf die Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan in verschiedenen Dimensionen zu lenken und Frieden in der Region und Freiheit für die politischen Gefangenen in Aserbaidschan zu fordern. Ich habe schon in mehreren Appeals und Interviews in internationalen Medien immer wieder die Aufmerksamkeit darauf gebracht, dass die Fans, die Organisatoren dieser Show, die Leute, die Sänger, die Leute, die diese Songs schreiben, die müssen versuchen, diese Message reinzubringen in dieses Eurovision 2012. Und dann würde das für mich wirklich Sinn machen, das wird dann dieses Eurovision zu einer wichtigen und einer nützlichen Veranstaltung machen.

Pokatzky: Stichwort Menschenrechte: Woran werden Sie, Herr Milli, genau denken, wenn Sie sich an die 17 Monate Ihrer Haft erinnern, wie war die?

Milli: Ja, 17 Monate im aserbaidschanischen Gefängnis waren nicht einfach. Die Verhältnisse sind natürlich besser als vor 15 Jahren, sagen wir mal so, wo die Situation ganz anders war. Leider haben wir heute in Aserbaidschan über 70 politische Gefangene.

Pokatzky: Wie werden die behandelt im Gefängnis?

Milli: Im Gefängnis war ich speziell nicht schlecht behandelt, weil es eine riesige Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft zu meinem Fall gab.

Pokatzky: Für Sie hat sich, und für Ihre Freilassung, ja sogar der amerikanische Präsident Barack Obama am Ende eingesetzt.

Milli: Auch das Europäische Parlament, auch einige deutsche und andere europäische Politiker, Menschenrechtsorganisationen, aber ...

Pokatzky: ... aber es gibt andere, Herr Milli, andere Häftlinge, die sind nicht so bekannt, für die setzen sich nicht so prominente Menschen oder Institutionen ein. Wie werden die in den Gefängnissen in Aserbaidschan behandelt?

Milli: Also, ich will das auch nicht krass dramatisieren. In Aserbaidschan ist die Situation nicht so wie im Irak oder in Nordkorea. Aber das ist kein Standard für uns, denn Aserbaidschan ist Mitglied des Europarates. Eurovision findet statt in Aserbaidschan, nicht in Nordkorea. Deswegen, meiner Meinung nach, die Situation in unseren Gefängnissen und überhaupt, ich würde nicht nur Gefängnisse nehmen, ich würde das ganze Rechtssystem nehmen, politische System nehmen: Es ist unakzeptabel für ein Mitglied des Europarates, in so einem Zustand zu sein.

Pokatzky: Was kritisieren Sie am meisten?

Milli: Vor allem gibt es in Aserbaidschan keine unabhängigen Gerichte. Es gibt keine freien Wahlen, es gibt keine Pressefreiheit. Die Regierung sagt immer, ja, es gibt zwei unabhängige oppositionelle Zeitungen, aber man muss sagen, dass die Chefredakteure dieser Zeitungen, die Journalisten, Blogger, die werden immer wieder ins Gefängnis geschickt und kommen dann raus. Das ist ein Environment, wo man nicht frei sich aussprechen kann, wo man nicht frei politische Arbeit betreiben kann, wo man nicht frei sich sogar bewegen kann, egal, ob es in der Wirtschaft oder in der Politik oder im alltäglichen Leben ist.

Das korrupte Regime hat so ein System geschaffen, dass alle Leute darunter leiden und wegen dieser Repressionen leider sich immer noch nicht mobilisieren können. Deswegen denke ich, Eurovision ist so eine gute Möglichkeit, um durch die internationale Dimension dieses Ereignisses auch zu helfen, die Leute in Aserbaidschan zu mobilisieren, aber auch die internationale Gemeinschaft dazu zu bringen, damit sie mehr Aufmerksamkeit für Probleme in Aserbaidschan schenkt.

Pokatzky: Im Deutschlandradio Kultur der aserbaidschanische Blogger Emin Milli zum Eurovision Song Contest am 26. Mai in Baku. Herr Milli, was sollen denn die Sänger und Sängerinnen und was sollen die 10.000 Touristen machen, vor allem aber auch die 1.600 Journalisten, die im Mai nach Baku fahren? Was sollen die aus Ihrer Sicht, wenn Sie Wünsche äußern könnten, ganz konkret dann tun?

Milli: Es gibt drei Sachen - drei Messages - und, ich würde sagen, konkrete Projekte, die man machen könnte. Erstes Problem in Aserbaidschan und was thematisiert werden soll, finde ich, ist Frieden in der Region. Frieden in der Region, auch damit alle Flüchtlinge in ihre Häuser zurückkehren können. Also, das muss ein grundsätzliches ...

Pokatzky: ... glauben Sie wirklich, dass jetzt, Entschuldigung, Herr Milli, glauben Sie wirklich, dass jetzt viele Leute, wenn sie Sie im Radio hören würden – Sie haben ja gesagt, Sie haben schon mehrfach Interviews gegeben –, Sänger, die Sie im Radio hören würden, glauben Sie, dass sie jetzt Lieder singen für den Frieden zwischen Aserbaidschan und Armenien?

Milli: Ich hoffe, ich hoffe. Und das ist nur der erste Punkt. Die zweite wichtige Sache ist die Freilassung von politischen Gefangenen. Es gibt eine Meinung, dass man Eurovision Baku boykottieren muss. Ich bin total dagegen, ich finde, das wäre eine Feigheit. Ich finde, alle müssen nach Aserbaidschan kommen, alle müssen durch Medien während der Liveübertragung einfach das thematisieren. Das wäre wirklich ein Challenge für die aserbaidschanische Regierung, das ist der zweite Punkt.

Pokatzky: Wie thematisieren bei der Liveübertragung?

Milli: Jeder kann das anders machen ...

Pokatzky: ... also, dass Leute im Publikum dann mit Transparenten vor die Kameras gehen, oder wie?

Milli: Also, es gibt verschiedene Arten und Weisen. Ich will jetzt nicht hier europäischen Bürgern Vorlesungen lesen, wie man zivil aktiv sein kann und wie man verschiedene Messages in den Medien, auf den Straßen, während des Konzerts bringen kann. Das können Plakate sein, das kann man in verschiedenen Aktionen machen, man kann es singen, sie können in der Liveübertragung das sagen, Organisatoren können Statements machen. Es gibt verschiedene Arten und Weisen, wie man das macht.

Und es ist wichtig, ein Problem zu thematisieren auf internationaler Ebene in so einem kleinen Land wie Aserbaidschan, damit es mehr Druck auf diese autoritäre Regierung gibt, damit sie vielleicht noch mal überlegen, ob es wirklich so toll ist, Menschenrechte zu verletzen. Und ein dritter Punkt, ganz konkreter Punkt, was ich auch ganz wichtig finde: Diese Eurovision wird kommen und gehen und auch die Gäste. Aber Aserbaidschan und die Probleme von Aserbaidschanern, die Aserbaidschaner werden mit diesen Problemen in Aserbaidschan bleiben.

Ich finde, dass es ganz wichtig ist, wenn auch ein Problem thematisiert wird: Die aserbaidschanische Zivilgesellschaft hat heute kein unabhängiges Fernsehen, außerhalb von Aserbaidschan. Innerhalb von Aserbaidschan ist das unmöglich. Deswegen müssen wir so ein Fernsehen haben, außerhalb von Aserbaidschan, wie die weißrussische Zivilgesellschaft das in Polen hat. Genau so müssen wir in einem von europäischen Ländern, Hauptstädten, ein unabhängiges aserbaidschanisches Fernsehen haben. Und damit ...

Pokatzky: Was verlangen Sie von der EBU, der European Broadcasting Union, die ja auch den Sangeswettbewerb veranstaltet?

Milli: Also, ich finde, die Aussage, dass diese Musikveranstaltung unpolitisch ist, ist natürlich inakzeptabel. Es ist verständlich, denn die EBU muss ja auch einen Weg finden, um nach Aserbaidschan zu kommen einerseits. Aber andererseits ist es natürlich inakzeptabel, wenn man sich richtig darüber Gedanken macht. Und ein Freund von mir zum Beispiel, er hat, sein Konzert in einem kleinen Club in Baku wurde vor einigen Monaten einfach gecancelt, weil er in seinen Songs die Wörter benutzt, die den Präsidenten kritisieren oder dieses autoritäre Regime kritisieren. Und nur deswegen kann er keine Konzerte in Aserbaidschan machen. In so einem Land, wo diese Musikveranstaltungen einfach gecancelt werden, kleine Musikveranstaltungen sogar, kann man nicht darüber reden, dass Musik unpolitisch ist. In Aserbaidschan ist heute, in einem autoritären Land ist alles politisch!

Pokatzky: Sagt der aserbaidschanische Blogger Emin Milli zum Eurovision Song Contest am 26. Mai in Baku, den wir jetzt in London erreicht haben, wo er derzeit studiert. Und im September wird er nach Baku in die aserbaidschanische Hauptstadt zurückkehren. Herr Milli, ganz herzlichen Dank!

Milli: Vielen Dank Ihnen, ich danke sehr!

Pokatzky: Machen Sie's gut und viel Spaß noch beim Studieren!

Milli: Danke, tschüss!

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