Alkohol schützt vor dem Weltuntergang

Von Jörn Florian Fuchs · 28.09.2013
Ein durchgeknallter Astrologe, seine sexsüchtige Gattin und eine wahnsinnige Herrscherin: György Ligetis "Le Grand Macabre" zeigt eine völlig überdrehte Gesellschaft kurz vor der Apokalypse - mit einem grotesken Klanggeflecht und einem Bühnenbild von Georg Baselitz.
Dieser Sponsorenauftritt geht schon in Ordnung. Immerhin stehen nur zwei Luxusschlitten eines süddeutschen Autobauers vor der Chemnitzer Oper und nicht, wie etwa in Salzburg, ganze Fuhrparks. Außerdem beginnt György Ligetis (einziges) Musiktheater ja mit einer Autohupen-Attacke. Das Getöse führt mitten ins Herz des "Grand Macabre". Ligeti schnappte sich einen Text des kaum bekannten belgischen Dichters Michel de Ghelderode und schuf ein nervös-groteskes Klanggeflecht mit ziemlich hohen Anforderungen für die Musiker und allerhöchsten für die Sänger.

In eine völlig überdreht herum wimmelnde Gesellschaft in "Breughelland" platzt ein düsterer Todesbote. Nekrotzar kündigt für Mitternacht den Weltuntergang an. Und angesichts des übrigen Personals auf der Erde rauem Rücken versteht man leicht, dass bald Schluss sein muss! Ein durchgeknallter Astrologe leidet unter seiner sexsüchtigen Gattin, eine völlig wahnsinnige Herrscherin erteilt sinnlose Befehle und fällt auf krude Verschwörungstheorien herein, der Rest säuft und deliriert. Irgendwann kriegen alle Torschlusspanik, nur ein Liebespaar verschläft die ganze Angelegenheit und tut auch gut daran, denn die Apokalypse entfällt – Nekrotzar widmete sich (zu) ausführlich alkoholischen Genüssen und verschlief seinen Endzeit-Kairos.

Böse Choräle, zarte Melodien
"Le Grand Macabre" ist eine Art Anti-Mysterienspiel, das Derbes mit Poetischem, Surreales mit Konkretem mischt, sowohl im Libretto wie im Tonsatz. György Ligeti zitiert sich munter durch die Musikgeschichte, böse Choräle stehen Seit an Seit mit zart hingetupften Melodien, kerniges Blech knurrt und wird konterkariert von sanftem Streicher-Kolorit. Beim Schlagwerk herrscht wahre Überfülle, viel knallig Militärisches ist da zu hören, aber auch ein geisterhaftes Cembalo oder geheimnisvolle Knisterklänge.

Das alles ist verflixt schwer zu spielen, aber auch zu inszenieren. In Chemnitz versuchte sich Walter Sutcliffe an Ligetis bösem Bilderbogen. Sutcliffe arbeitete unter erschwerten Bedingungen, da gleich zwei renommierte Künstler für Bühne und Kostüme verpflichtet wurden und die Aufmerksamkeit auf sich zogen: Georg Baselitz und John Bock. Was die beiden sich ausgedacht haben, zeigt eine hübsche Ausstellung in den Kunstsammlungen Chemnitz, vis-à-vis der Oper.

Baselitz schuf fantastische, atmosphärische Bilder. Kleine Menschenfiguren irren, teilweise perspektivisch verzerrt, durch labyrinthische Höhlen, oft befinden sich an den Ein- und Ausgängen schwarze Kreuze. John Bocks Figurinen hingegen wirken wie von Kinderhand gezeichnet und sind mit weitschweifigen Anmerkungen versehen. Nekrotzar wird zum Beispiel konnotiert mit Rasputin, Casanova, Fellini und dem Schauspieler Donald Sutherland.

In der Bühnenrealität überzeugt jedoch Bocks Beitrag, während von den Baselitzschen Entwürfen wenig übrig bleibt. Nekrotzar hat mit den erwähnten Personen wenig gemein, er wirkt eher wie ein Bruder des Performancekünstlers Jonathan Meese. Sämtliche Figuren sind eigenwillig überzeichnet, ein Fat Suit kommt zum Einsatz, man trägt futuristische Kopfbedeckungen, Tentakel baumeln herab. Lediglich das unwissende Liebespaar Armanda und Armando (mit schönem Unisono: Guibee Yang und Tiina Penttinen) sind normal gekleidet, dafür kopulieren sie in (auf)reizender Staccato-Rhythmik.

Die Bühne erinnert an Skulpturen von Anish Kapoor
Die Bühne besteht anfangs aus besagter Höhlenstruktur (sie erinnert ein bisschen an begehbare Organe), in welcher eifrig geklettert wird, bald sind jedoch nur noch Einzelteile übrig, die auf dem Boden liegen oder in der Luft hängen. Diese Luftgebilde spiegeln etwas und erinnern an Skulpturen von Anish Kapoor. Beim Schlussbild versammeln sich alle auf einer Schräge, die mit ihren eingestanzten Förmchen wie eine gigantische Backvorlage für skurrile Weihnachtsplätzchen aussieht.

Walter Sutcliffe geht relativ geschickt mit der problematischen Bühnensituation um, die Personen werden sehr musikalisch geführt und entwickelt, wobei den Regisseur vor allem die Dramen von Triebstau, Liebeswut und sexueller Abhängigkeit interessieren. Ligetis dunkle (Anti-)Metaphysik fällt weitgehend durch den Rost. Leider war es keine gute Idee, den Chor öfters ins Publikum zu schicken und ihn dort mit Taschenlampen herumfuchteln zu lassen. Ohne Sicht auf den Dirigenten wurde die Koordination manchmal doch schwierig. Frank Beermann stand am Pult der Robert-Schumann-Philharmonie und dirigierte flüssig, kraftvoll, nicht zu schrill. Im Zweifelsfall entschied er sich für Klangsinnlichkeit, gegen das Bruchstückhafte der Partitur.

Heiko Trinsinger stemmte die Nekrotzar-Partie mit dunkel glänzendem Bariton, Dan Karlström überzeugte als wimmernder Säufer Piet vom Fass, Susanne Thielemann bleckte als Fürst(in) Go-Go vokal und szenisch die Zähne, Piia Komsi fühlte sich in der Doppelrolle als Geheimdienstleiterin und Venus äußerst wohl.

Viel Applaus nebst einer gewissen Ratlosigkeit, vor allem aus Sponsorenkreisen.