Alina Szapocznikow in Baden-Baden

Körperkunst zwischen Leid und Lust

Alina Szapocznikow mit ihrer Arbeit Naga [Nackt], 1961
Alina Szapocznikow (1926–1973) mit ihrer Arbeit Naga [Nackt], 1961 © ADAGP, Paris / VG Bild-Kunst Bonn, 2018. Courtesy The Estate of Alina Szapocznikow / Piotr Stanislawski / Galerie Loevenbruck, Paris / Hauser & Wirth. Foto: Marek Holzman, Courtesy the Museum of Modern Art, Warsaw.
Von Johannes Halder · 19.07.2018
In ihrer polnischen Heimat ist die Bildhauerin Alina Szapocznikow eine Berühmtheit. In Deutschland ist sie trotz zweimaliger documenta-Teilnahme kaum bekannt. Die Kunsthalle Baden-Baden präsentiert nun ihr Werk - das Schönheit und Abgrund verbindet.
Ein leichtes Leben hatte Alina Szapocznikow nicht: Getto, Konzentrationslager, Tuberkulose, Krebserkrankung, früher Tod. Da liegt es nahe, ihr Werk aus dem Biografischen herzuleiten und es als ästhetische Transformation ihrer Traumata zu deuten. Doch erstaunlich lange hat sie das Leid, das sich in ihren Leib und ihre Seele eingeschrieben hatte, kaum thematisiert. Gleich nach dem Krieg war sie zunächst bemüht, beim Aufbau ihres Heimatlandes mitzuwirken - mit positiven Menschenbildern im Stil des sozialistischen Realismus: heldenhafte Posen, optimistische Gesichter.

Möglichkeiten von Skulptur an ihre Ränder getrieben

Das ändert sich, als sie mit einem Stipendium nach Paris kommt, wo sie ab 1963 auch bleibt. Wie sie Körper in Fragmente zerlegt und auf ihre Hinfälligkeit verweist, zeigt, dass sie rasch auf der Höhe der Zeit ist, sagt die Kuratorin Luisa Heese: "Dass sie versucht hat, indem sie die Skulptur erweitert hat, die Möglichkeiten von Skulptur an ihre Ränder getrieben hat, den menschlichen Körper einzufangen, das Leben genauso wie den Tod zu verdichten in Skulptur."
Die Schau, in dämmerigem Halbdunkel effektvoll inszeniert, zeigt, wie experimentierfreudig Szapocznikow dabei gewesen ist. Polyesterabgüsse ihres Körpers sollten das schwindende Leben für die Ewigkeit festhalten. Ihre Frauenbilder mit fragmentierten, bandagierten, ja regelrecht geknebelten Körpern zeugen von einer feministischen Haltung, mit der sie sich als Künstlerin in einer von Männern dominierten Umgebung zu behaupten versuchte. Dass sie ausgesprochen hübsch war, war dabei keineswegs ein Vorteil.

Schönheit mit Abgrund verbinden

Auch ihren erwachsenen Sohn hat sie abgeformt. Steif wie ein Brett lehnt der nackte Körper schräg an der Wand als wäre er der Leichnam Christi. Doch Leid und Lust liegen nahe beieinander. "Man kann es immer wieder sehen, dass Schönheit auch mit Abgrund verbunden wird, dass Tod und Leben immer sehr dicht aneinander liegen, dass auch Lust und Abgrund zwei Themen sind, die sich sehr nahe stehen."

Den menschlichen Körper begriff Szapocznikow als eine "erogene Zone an sich" und ihre Schöpferkraft als eine "Drüse", die seltsame Objekte hervorbringe. Zum Beispiel ihre faszinierenden Kaugummi-Skulpturen. In einer ästhetisch hinreißenden Serie von Schwarzweißfotos hat sie die zu immer neuen plastischen Formen zerkaute Masse in Szene gesetzt – lauter Mini-Skulpturen. Werkzeug ist ihr eigener Körper: Zähne und Gaumen. Und ihren Körper setzt sie immer wieder ganz bewusst, ja selbstbewusst, ein als Produktionsmittel.

"Oft mit viel Humor, auch ein bisschen abgründig, hat sie sich öfter bezogen auf Körperteile, die libidinös besetzt sind. Das heißt, sie hat ihren Mund, ihre Brüste, ihre Füße abgedrückt, vervielfältigt, und damit eben auch darauf hingewiesen, als was sie gesehen wird: als weibliche Künstlerin in den 1960er Jahren in Paris."
Ohne Titel (Fetisch VII), 1971, Polyesterharz, Nylonstrumpfhosen, Wolle, 35 × 50 × 40 cm
Ohne Titel (Fetisch VII), 1971, Polyesterharz, Nylonstrumpfhosen, Wolle, 35 × 50 × 40 cm© ADAGP, Paris / VG Bild-Kunst Bonn, 2018. Ursula Hauser Collection, Schweiz. Foto: Simon Vogel

Poppig-surrealistische Objekte

Auch poppig-surrealistische Objekte sind so entstanden. Eine Serie von neckischen Tischlampen bringt Lippen zum Leuchten und Brüste zum Glühen, horizontal halbierte Köpfe dienen als Aschenbecher oder Blumenvasen. Und als ihre Krebserkrankung offenbar wird, reagiert sie mit kleinen, klumpigen Gebilden aus halbtransparentem Polyesterguss.
"Sie hat das Innere quasi nach außen gestülpt in ihren Skulpturen, hat kleine Tumoren geschaffen, in denen sie auch Bilder von sich selbst oder Abgüsse ihrer Lippen eingelassen hat und hatte einen fast liebevollen Umgang mit diesen Objekten, hat Tumoren auch an Freunde verschenkt und hat letztendlich ihren Körper und ihr Schicksal genutzt, um Aussagen über Vergänglichkeit, über das Endliche des Körpers zu machen."
Stela [Stele], 1968, Polyesterharz und Polyurethanschaum, 79 x 46 x 69 cm
Stela [Stele], 1968, Polyesterharz und Polyurethanschaum, 79 x 46 x 69 cm© ADAGP, Paris / VG Bild-Kunst Bonn, 2018. Ursula Hauser Collection, Schweiz. Foto: Thomas Müller

Eigenes Begräbnis thematisiert

1970, drei Jahre vor ihrem Tod, hat sie sogar ihr eigenes Begräbnis thematisiert, ohne Wehleidigkeit, als großes Wandrelief. Unter einer Art Leichentuch sind verschiedene Körperteile verborgen – nicht nur ihre eigenen. Ein verstörendes Werk, das eine Ahnung vermittelt vom Potenzial, das mit ihrem frühen Tod verloren ging. Denn eigentlich müsste man Alina Szapocznikow in einem Atemzug nennen mit Künstlerinnen wie Louise Bourgeois oder Eva Hesse. Eine starke Frau, eine starke Schau.

Die Ausstellung Alina Szapocznikow ist bis zum 7. Oktober 2018 in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden zu sehen.

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