Alicia Keys

Mit neuer Frische gegen die kranken Gedanken

Alicia Keys bei den MTV Video Awards am 28. August 2016 in New York
Nach der Geburt ihres zweiten Sohns und einer längeren Auszeit ist Alicia Keys wieder zurück - mit dem Album "Here". © dpa / picture alliance / Hubert Boesl
Von Marcel Anders · 04.11.2016
Mit dem neuen Album "Here" betritt Alicia Keys Neuland: Jazz, Orchester-Soul und Akustik-Blues lösen ihren durchgestylten R&B ab. Doch nicht nur die Musik ist stark – mit den Texten der 18 Songs über Moral, Gewalt und Radikalismus will Alicia Keys die Amerikaner wachrütteln.
"Ich habe noch nie ein solches Album geschrieben und noch nie Songs, die so vielschichtig sind, was den Klang und die Texte betrifft. Ich habe mich noch nie so intensiv mit aktuellen Themen auseinandergesetzt."
Eine Aussage, die Bände spricht: Alicia Keys hat ihren Ehrgeiz und ihre Frische zurück. Beides war ihr Ende der 2000er spürbar abhandengekommen – weshalb ihre letzten beiden Alben immer mehr in Richtung durchgestyltem R&B tendierten und folgerichtig auf geteiltes Echo stießen.

Sie ist wieder bereit, Risiken einzugehen

Doch jetzt – nach der Geburt ihres zweiten Sohns und einer längeren Auszeit – ist Alicia Keys wieder kämpferisch und bereit, Risiken einzugehen und musikalisches Neuland zu betreten. Wobei sie sich zwar nicht komplett neu erfindet, aber – für ihre Verhältnisse – doch extrem vielseitig und ambitioniert klingt. So stößt sie in Jazz, Orchester-Soul und Akustik-Blues vor – lässt aber gleichzeitig nie ihre Wurzeln und Vorbilder aus den Augen – wie die Fugees oder den Wu-Tang Clan:

"Das ist einfach die Energie von New York. Der Stadt, in der ich aufgewachsen bin. Und ich zitiere Momente, die zeigen, womit ich aufgewachsen bin und welche Möglichkeiten ich hatte."
Der verbesserte Sound, daraus macht Alicia Keys kein Geheimnis, basiert aber auch auf einer radikal veränderten Arbeitsweise. Eben nicht mehr sie allein im stillen Kämmerlein, die alles alleine macht, sondern ein kreativer Austausch unter befreundeten Produzenten und Songwritern, zu denen unter anderem ihr Ehemann Swiss Beatz und die Macher des kanadischen Shootingstars The Weeknd zählen.
"Es fing an mit einer Vierergruppe, die den Hauptteil der Musik geschrieben hat. Anschließend habe ich das Ergebnis mit einer weiteren Gruppe aus drei oder vier Leuten bearbeitet. Was ein sehr konzentriertes und gemeinschaftliches Vorgehen war. Wir haben uns getroffen und regelrecht zusammen gelebt. Wir haben miteinander geredet, gearbeitet und gegessen."

Tief verwurzelte Stereotypisierung

Doch nicht nur die Musik ist stark – auch die Themen, denen sich Alicia Keys in den 18 Stücken von "Here" widmet, haben es in sich. Da geht es um unser fehlgeleitetes Streben nach Schönheit und Perfektion, das sie selbst veranlasst, kaum noch Make-up oder Designer-Klamotten zu tragen. Um mangelnde Moral und politische Radikalität. Aber auch um Polizeigewalt, laxe Waffengesetze und die allgemeine Stereotypisierung durch das Schubladendenken der sozialen Medien. Dinge, die unmittelbar ineinandergreifen und tödliche Folgen haben können:

"Wir stereotypisieren bis zu dem Punkt, an dem ein Mann einen anderen tötet, nur weil er denkt, er könne ihm gefährlich werden, weil er eine bestimmte Hauptfarbe hat. Das ist tief verwurzelt und so traurig, dass man diese Vorurteile schnellstmöglich beseitigen und die Barrieren, die da existieren, aufbrechen muss. Das ist der Ausgangspunkt dieses Albums."
Gedanken, mit denen die 35-Jährige eine globale Diskussion auslösen, aber auch ihre "fellow Americans" wachrütteln will. Einfach, weil es eine Woche vor den Präsidentschaftswahlen noch zu viele unentschlossene Jungwähler und mögliche Nichtwähler gibt. Denen macht sie mit diesem Album überdeutlich, was nicht nur in den USA falsch läuft, welche Folgen das haben könnte und wie man es ändert. Eben mit mehr Offenheit, mit einem neuen Wertesystem und liberalem Gedankengut. Das Alte und Engstirnige muss weg. Genau wie die Lügen, die Angst und der offene Konflikt:

"Der Gedanke, dass wir Krieg als etwas Notwendiges und Sex als obszön bezeichnen, ist einfach nur krank. Wir müssen endlich anfangen, offen darüber zu reden, was wir denken, was wir sehen und was mit uns passiert. Eben um wieder ehrlich miteinander umzugehen."
Mehr zum Thema