"Alchemie. Die Große Kunst"

Das Obskure verbindet

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In der Ausstellung "Alchemie. Die Große Kunst" sind mehr als 200 Exponate zu sehen, wie hier die Arbeit "Studio KDSZ" der Li-Wai Serie. © dpa-Zentralbild/Britta Pedersen
Thomas Gaehtgens im Gespräch mit Dieter Kassel  · 06.04.2017
Die Ausstellung "Alchemie. Die große Kunst" im Berliner Kulturforum widmet sich diesem Phänomen und dessen schöpferischer Kraft. Der Kunsthistoriker Thomas Gaehtgens betont die Nähe zwischen Alchemie und Kunst als globale Erscheinung.
"Die Ausstellung zeigt sehr schön, dass das ein globales Thema ist", sagt der Kunsthistoriker Thomas Gaehtgens im Deutschlandradio Kultur über die neue Schau "Alchemie. Die große Kunst", die im Kulturforum der Staatlichen Museen zu Berlin zu sehen ist. Der Direktor des Getty Research Institutes hatte die Ausstellung zunächst in Los Angeles gezeigt, wo sie auf großes Publikumsinteresse stieß. "Ich bin überzeugt, dass die Ausstellung in Berlin auch ein großer Erfolg wird, wie sie das auch in Los Angeles war", sagte Gaehtgens. "Wir waren total verwundert, wie viele Menschen diese Ausstellung sehen wollten."

Interesse an dem Irrationalen

Offensichtlich gebe es ein großes Interesse an dem Irrationalen und das die Frage aufwerfe, wie weit man in der Wissenschaft, beispielsweise bei Gen-Manipulation, gehen dürfe. Einige Bilder der Schau zeigten Menschen, die in Gläsern säßen und gekocht würden, es gebe sich wandelnde Geister oder im Film Frankenstein. "Die Alchemisten sind Künstler, in dem, was sie produzieren", sagte Gaehtgens. "Und Künstler sind auch Kreatoren, die etwas schaffen, das erstaunlich ist." Das verbinde sie mit den Alchemisten.

Anselm Kiefer und das "Bleibuch"

Besonders deutlich werde das in der Ausstellung bei dem Künstler Anselm Kiefer und seinem "Bleibuch". Kiefer habe eine Vorstellung von der Alchemie und deren sehr komplexen und phantasiereichen Weltanschauung. "Auf dem Bleibuch sind aufgetragen die Konstellationen, die Gestirne , der Himmel und der Einfluss des Himmels auf das, was vorgeht auf der Erde in diesen ganzen Prozessen von einem Metall zum anderen", sagte Gaehtgens. Die Ausstellung führe dazu, dass viele Besucher sehr nachdenklich herausgingen.

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Ein Alchemist, das ist jemand, der versucht, etwas Neues zu schaffen, was auch immer aus was auch immer. Und dieser grundsätzliche Versucht, dieser kreative Akt, der rückt ihn natürlich in unmittelbarer Nähe des Künstlers, der das Ganze ja natürlich auch versucht, und auch manchmal erfolgreich und manchmal doch daran scheitert. Und damit sind wir schon beim Kernthema einer neuen Ausstellung, die ab heute in Berlin zu sehen ist, sie trägt den Titel "Alchemie. Die Große Kunst" und sie ist entstanden zusammen mit dem Getty Research Institute in Los Angeles, war dort in Kalifornien auch schon zu sehen. Und deshalb freue ich mich sehr, darüber jetzt sprechen zu können mit dem Direktor des Instituts, dem deutschen Kunsthistoriker Thomas Gaehtgens. Schönen guten Morgen, Herr Ghaehtgens!
Thomas Gaehtgens: Guten Morgen!
Kassel: Ich bin vermutlich nicht der einzige Mensch, der sich unter einem Alchemisten erst mal so eine zwielichtige Gestalt vorgestellt hat, die irgendwo im tiefen Keller versucht, illegal Gold zu schaffen. Das Bild ist so komplett falsch ja auch nicht, oder?
Gaehtgens: Nein, das ist auch ganz richtig. Also, das ist aber natürlich nur ein Teil der ganzen Geschichte. Sie haben gesagt, der will unbedingt was Neues schaffen. Das ist richtig, aber zunächst muss er mal das Alte rauskriegen und muss einfach feststellen: Wie funktioniert denn die Natur? Wie laufen diese Naturbedingungen ab, wie läuft das … Also, das ist diese unendliche Geschichte der Neugier der Menschen, herauszufinden: Wie sind die natürlichen Prozesse zu interpretieren, wie verhalten die sich, wie laufen die ab, was geschieht in der Natur, mit dem Wachsen, mit dem Sich-Verändern und so weiter? Und wenn man das herausgefunden hat, dann kann man ins Laboratorium gehen und versuchen, das selbst nachzumachen.
Also, dem lieben Gott ein bisschen auf die Finger schauen und feststellen, wie sind diese Funktionen, wie läuft das alles ab? Und dann kann ich es für meine eigenen Forschungen, für meine eigene Suche nutzen. Also meinetwegen auch Gold herzustellen! Das ist allerdings nicht gelungen. Aber manches andere ist gelungen, zum Beispiel Farbpigmente zu analysieren oder Tinten herzustellen oder Säuren herzustellen, die man für Druckgrafik braucht, oder Goldlegierungen zu machen, Vergoldungen zu machen, all dieses ist eben gelungen. Also, es ist nicht so, dass die Alchemie nur Düsteres, Okkultes und Obskures hergestellt hätte, sondern Alchemie ist wirklich der Beginn der Wissenschaft.
Das ist für uns heute sehr fremdartig, weil sich die Wissenschaft neu entwickelt hat, aber Alchemie ist ja zunächst einmal eine große Frage, eine große Neugierde, und dieses wird in dieser Ausstellung wirklich anschaulich. Und vor allen Dingen, was das Schöne bei der Ausstellung ist, die ist global, das passiert überall, das passiert in China, das passiert in Indien, das passiert in Ägypten, bei den alten Griechen, bei den Römern, und das vermischt sich, dieses Wissen vermischt sich. Und es kommt eben zu den unglaublichsten Mythologien, diese Welt zu erklären. Also, damit ist auch viel Obskures verbunden. Insofern ist das, was Sie sagen, nicht ganz falsch.

Alchemie ist die große Kunst

Kassel: Aber bevor wir vielleicht noch auf das Heute und die Wissenschaft heute zurückkommen, lassen Sie uns bei der Kunst bleiben! Ich meine, was Sie erwähnt haben, dass Farbpigmente entstanden sind, vieles andere, das klingt natürlich so, als seien Alchemisten quasi die Zuarbeiter der Künstler gewesen. Aber vermischt es sich nicht noch viel stärker? Ist nicht ein Künstler – vielleicht absolut grundsätzlich, aber oft genug – doch seinerseits auch so eine Art Alchemist?
Gaehtgens: Genau das, das ist auch das, was die Ausstellung im Grunde sagen will. "Die Große Kunst", das haben schon im 13. Jahrhundert … Albertus Magnus, der hat gesagt, die Alchemie ist die große Kunst. Der Begriff Kunst wird da erwähnt. Die Alchemisten sind Künstler in dem, was sie produzieren. Und Künstler sind ja auch Kreatoren, die etwas schaffen, das erstaunlich ist, die etwas verwandeln, das uns dann erregt, das uns fasziniert, das uns beeinflusst, beeindruckt. Also, irgendwie, Künstler erschaffen unerwartete Dinge, das verbindet sie mit den Alchemisten. Und insofern ist die Alchemie und die Kunst, sind immer nahe gewesen.
Kassel: Ja, aber das zeigt die Ausstellung – da können wir vielleicht ein ganz konkretes Beispiel nehmen – am Beispiel eines, ich glaube, ursprünglich Bleiblocks, Anselm Kiefer ist es, glaube ich, wo man wirklich sieht, …
Gaehtgens: Ja, Kiefer.
Kassel: … dass ja auch ein Künstler mit einem Bleiblock … Ist erst mal ein Material, das man auch nicht einfach nur so mit Händen bearbeiten kann. Man braucht ja fast auch ein bisschen chemische Kenntnisse. Also, das Mindeste, was man erst mal tun muss, man muss es schmelzen. Das heißt, da sieht man einen heute lebenden, uns bekannten Künstler, der im Prinzip ein bisschen auch als Alchemist tätig ist.
Gaehtgens: Ja, und der gleichzeitig natürlich auch eine Vorstellung von der Alchemie hat und von dieser Weltanschauung, von dieser sehr komplexen, sehr fantasiereichen Weltanschauung. Denn auf diesem Blei… Das ist ja ein Bleibuch. Und auf dem Bleibuch sind aufgetragen die Konstellationen, die Gestirne, der Himmel und der Einfluss des Himmels auf das, was vorgeht auf der Erde in diesen ganzen Prozessen von einem Metall zum anderen, wenn man es gießt, wenn man es erhitzt, wenn man es ergießt.
Da gibt es ein anderes wunderbares Kunstwerk von Fischli und Weiss, ein Video, wo sie ein Experiment aufgebaut haben. Das ist so ein Bastelwerk aus allen möglichen Sachen und das kocht und dampft und fließt und fließt irgendwo hin, und dann läuft Milch aus und alles Mögliche. Das ist wunderbar, das ist märchenhaft, das ist traumhaft, das ist auch ein alchemistischer Vorgang, der aber zum Kunstwerk selbst destilliert.

Menschen stehen Schlange

Kassel: Sie haben gesagt, vorhin, gleich bei der ersten Antwort, dass Alchemisten eben auch Gott – das haben Sie so formuliert – auf die Finger geschaut haben, aufs Handwerk, um es dann möglicherweise teilweise fortzusetzen. Und da sind wir ja wieder bei diesem Zwielichtigen. Ist das, wenn man auch heute guckt, was Wissenschaftler heute machen, Stichwort Gentechnik, immer noch so, dass diese Frage: Wo ist eine Grenze überschritten, wo haben wir eine Form von Schöpfungsakt, der uns nicht mehr zusteht?, dass die eigentlich sich immer wieder neu stellt?
Gaehtgens: Das ist vollkommen richtig. Und die Ausstellung, die führt auch dazu, dass man am Schluss nachdenklich herausgeht. Nicht, dass man etwa die Geschichte der Alchemie in all ihren Details versteht, die kann man eigentlich im Grunde gar nicht ganz verstehen, das ist auch sehr kurios, sehr merkwürdig, sehr unverständlich, ist auch nicht immer rational, das bringt die Ausstellung sehr deutlich zum Ausdruck. Ich komme auf Ihren Punkt schon zurück: Gestern waren so viele Menschen da, dass die Schlange stehen mussten, um in die Ausstellung überhaupt hineinzukommen.
Das lässt einen natürlich nachdenklich zurück und man fragt sich: Was ist das Interesse, die Faszination an diesem Irrationalen heute? Wieso ist das so interessant? Ich bin überzeugt, dass die Ausstellung in Berlin auch ein großer Erfolg wird, wie sie das auch in Los Angeles war. Wir waren total verwundert, wie viele Menschen diese Ausstellung sehen wollten. Da standen die auch Schlange, wir haben weniger Platz, und die Leute mussten draußen warten, um da reinzukommen.
Aber es ist dieses Interesse an dem Irrationalen, was offensichtlich in der gegenwärtigen Situation sehr vorhanden ist und was uns auch fragen lässt: Wie weit dürfen wir eigentlich in der Wissenschaft gehen? Und Genmanipulation, natürlich, Sie haben vollkommen recht, der Mensch, der da in diesen … In den Bildern sehen Sie die Menschen, die in Gläsern sitzen und gekocht werden und so weiter. Und da kommt der Geist heraus, der verwandelt sich dann in etwas anderes. Das geht ja bis zum Film, "Frankenstein", denken Sie an all diese Dinge, das ist alles …

Globales Thema

Kassel: Ich denke die ganze Zeit an "Frankenstein", ja, ja, man hat so diese Bilder im Kopf!
Gaehtgens: Das ist die Tradition der Alchemie. Und diese Ausstellung, die zeigt sehr schön, dass das ein globales Thema ist. Das ist nicht nur in Europa, das ist überall in der ganzen Welt vorhanden. Die Ausstellung zeigt weniger, dass seit dem 18. Jahrhundert dann die Alchemie ein bisschen ins Abseits gedrängt wird. Die Kirche war natürlich immer gegen die Alchemie und hatte große Probleme mit der Alchemie.
Kassel: da haben wir, wenn wir wollen, ja auch wieder das Heute, Gentechnik, Ethikrat, Kirche und all diese Fragen, man sieht, wie aktuell das ist.
Gaehtgens: Eben, all das, das ist ganz klar.
Kassel: Herr Gaehtgens, ich muss mal das Fazit jetzt ziehen, was unser Gespräch angeht. Sie sind nicht nur ein wunderbarer Ausstellungsmacher, Sie sind auch ein wunderbarer Ausstellungsbewerber. Insofern bin ich sicher, es wird Schlangen geben bei dieser Ausstellung in Berlin! Thomas Gaehtgens war das, Direktor des Getty Research Institutes in Los Angeles, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Die Ausstellung "Alchemie. Die große Kunst" ist im Berliner Kulturforum der Staatlichen Museen zu Berlin bis zum 23. Juli zu sehen.

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