Album "Deceiver" von DIIV

Gitarrenrock jenseits des rüden weißen Mannes

06:12 Minuten
Gruppenportrait der Band DIIV
Nach dem Exzess: DIIV retten den Gitarrenrock hinüber ins postheroische Zeitalter. © Coley_Brown
Von Christoph Reimann · 04.10.2019
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Passt Rockmusik noch in unsere Zeit? Der weiße Mann als rücksichtsloser Rockheld hat nach #MeToo ausgedient. Die Band DIIV schlägt andere Töne an: dunkler und skeptischer als bisher singen sie über Klimawandel und Rechtspopulismus.
"I’m fine" - es gehe ihm gut, betont der Sänger von DIIV Zachary Cole Smith, den alle nur Cole nennen. Aber dass er jetzt hier sitzen könne, sei nicht selbstverständlich. Und auch die Songs auf dem neuen Album "Deceiver" zeugen noch immer von einer dunklen Episode.

Die Leichtigkeit ist weg - jetzt krachen die Gitarren

2016 mussten DIIV ihre Europatournee auf halber Strecke abbrechen, denn der Zustand, in dem sich Smith befand, war kein guter. Zu dem Zeitpunkt hatte die Band eine Platte herausgebracht, mit der Smith seine Heroinsucht für beendet erklärte. Im Nachhinein sieht er die Songs darauf kritisch, denn überwunden hatte er damals noch nichts – trotz Entzugsprogramm. "Die Songs waren nicht wirklich aufrichtig. Manches stimmte schon – die dunklen Aspekte. Aber das mit der Heilung war kompletter Mist."
Das neue Album "Deceiver" ist der zweite Neuanfang von DIIV – und es ist eine musikalische Neuausrichtung: DIIV hatten sich Anfang der Zehnerjahre in Brooklyn zusammengefunden. Ihre Musik war nie komplett unbekümmert. Aber es wehte eine auflockernde Leichtigkeit durch viele ihrer Songs. Auch, weil die Musiker oft lieber einzelne Saiten auf der Gitarre anschlugen statt Akkorde zu schrammeln. Und die bekanntesten Songs der Band klangen, als kämen sie direkt aus der Echokammer. Jetzt ist der Hall weg, es dominieren schwere Gitarren. Das klingt in vielen Songs nach Sonic Youth oder Smashing Pumpkins, manchmal aber auch nach My Bloody Valentine. Auf jeden Fall nach den 90ern.

Rückgriff auf den Sound der alten Helden

Der erste Schritt zur neuen Platte war eine Playlist mit Lieblingsbands – zur Referenz. "Jede dieser Bands stand für einen bestimmten Sound", sagt Smith. "Zum Beispiel der Gitarrensound: Wir haben uns gefragt, wie My Bloody Valentine das hinbekommen haben. Wie haben die das so laut hingekriegt, wie kann man diese Illusion erzeugen?"

Wütende Zeitdiagnose statt Sex, Drugs und Rock’n’Roll

Es ist schon erstaunlich: Der Dreiklang aus Sex, Drugs und Rock’n’Roll hat zum Mythos vieler Rock-Dinosaurier beigetragen. Für DIIV hätte das exzessive Leben fast das Ende bedeutet. Diese Band hat dem entfesselten Hedonismus abgeschworen. Auf Twitter predigen sie lieber Veganismus, und der ehemalige Bassist musste gehen, nachdem er im Internet gegen Frauen, Schwule und Juden ätzte. Am neuen Album haben sie in ihrer neuen Heimat LA wie an einem 9-to-5-Job gearbeitet. Auch deshalb gehören DIIV zu einer Rockband neuen Typs.
Es ist schwer zu sagen, ob das Album "Deceiver" letztlich etwas Tröstliches hat, oder ob das Unheil überwiegt. Der letzte, siebenminütige Song auf dem Album heißt "Acheron", benannt nach dem Fluss aus der griechischen Mythologie, über den die Seelen frisch Verstorbener in den Hades gelangen. Die Metapher des Übergangs will Cole Smith vor allem als Zeitdiagnose verstanden wissen, auf Klimawandel und Rechtspopulismus.
"Wir leben im Jahr 2019", sagt Zachary Cole Smith. "Vielleicht ist die Aussage des Albums, dass mal ein Funken Hoffnung aufglüht. Aber im großen Ganzen ist das Leben tragisch. Für mich mögen die Dinge im Moment gut laufen. Aber das heißt nicht, dass die Welt das auch hören muss. Es wäre nicht ehrlich gewesen, ein optimistisches Album zu machen, nicht in einem Jahr wie diesem."
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