Alan Ayckbourns "Ab jetzt"

Roboter sind die besseren Menschen

Ute Hannig (Corinna) und Götz Schubert (Jerome) in der Hamburger Inszenierung von Alan Ayckbourns Stück "Ab jetzt".
Ute Hannig (Corinna) und Götz Schubert (Jerome) in der Hamburger Inszenierung von Alan Ayckbourns Stück "Ab jetzt". © dpa / picture alliance / Markus Scholz
Von Michael Laages · 28.02.2015
Zukunft von gestern? Von wegen! Karin Beier inszeniert in Hamburg "Ab jetzt" von Alan Ayckbourn, die grandiose und komische Geschichte eines maschinensüchtigen Komponisten.
Die Ära von Lochkarten und Hollerith-Maschinen war schon länger vorbei, als Alan Ayckbourn, der von Englands Queen geadelte Theater- und Comedy-Sir, einen Roboter zur Hauptfigur eines Stückes machte: einen Goo 300 F, Helferlein im Haushalt des maschinensüchtigen Komponisten Jerome, der "Musik" überwiegend aus echten Alltagssounds formt, die er vor allem in der total durchmikrofonierten eigenen Wohnung generiert. Mehrere Generationen an Robot-Maschinen sind sicher schon verschrottet, seit Peter Zadek Ayckbourns Stück erstmals anno 1989 zeigte – und doch wirkt die Zivilisationskritik von Sir Alan überhaupt nicht überholt in Karin Beiers neuem Versuch mit "Ab jetzt".
Das Stück war ein wenig vergessen; sicher auch, weil so viele sich immer an Zadeks Team erinnerten: Ingrid Andree und Susanne Lothar, Otto Sander und Harald Juhnke ... bestimmt lastet auch der Ruhm der großen Toten auf "Ab jetzt".
Jerome, der Komponist mit dem Haushaltsroboter, lebt seit vier Jahren getrennt von der Mutter der gemeinsamen Tochter und darf das Kind nicht mal sehen; zu verwahrlost der Haushalt, sagt das Jugendamt, zu heruntergekommen die Gegend, in der Jerome wohnt. In der Tat sorgt hier statt der Polizei eine paramilitärische Feministen-Bande für Sicherheit und Ordnung: "Die Töchter der Finsternis". Einen Tag lang will Jerome nun "heile Welt" spielen, um die Besuchserlaubnis für die Tochter zu bekommen; und dafür engagiert er eine sehr nette, aber geistig eher minderbemittelte Schauspielerin. Die (extrem komische) Begegnung zwischen ihr, ihm und Goo 300 F bildet den ersten Teil.
Die Sache scheitert, weil der Geräuschesammler auch die Klänge beim Sex mit der Schauspielerin aufzeichnen will; da reicht's der Dame. Aber Jerome baut Goo 300 F zu ihrem Ebenbild um – darum ist die Darstellerin Lina Beckmann in Teil 2 auch als Robot-Freundin im Einsatz: genau so extrem komisch. Sie ist unstreitig der Knüller von Karin Beiers Inszenierung. Mit ihr wird schließlich auch der Untertext von Ayckbourns Stück zugänglich – dass in einer völlig entseelten Welt wie dieser Roboter womöglich längst die besseren Menschen sein könnten. Sogar die mittlerweile schwerstgestörte Tochter des streitenden Paares bekommt Goo 300 F in den Griff; und beinahe wird alles gut. Aber Jerome will immer nur weiter komponieren, will eigentlich ein virtuelles Leben, kein echtes – so bleibt er allein. Mit Goo 300 F.
Ein Verlies aus Waschbeton
Das Stück ist immer noch grandios: extrem genau berechnet und pointiert, im Gleichgewicht zwischen heiterster Oberfläche und finsterstem sozialem Abgrund. Und zweifellos macht Karin Beier alles richtig im Umgang mit dem schwierigen Stück – in Thomas Dreißigackers Burg- oder Verlies-Kasten aus virtuellem Waschbeton streut die Inszenierung über die Maßen Jux und Dollerei aus. Das Ensemble nutzt jede sich bietende Chance: Lina Beckmann wie gesagt vorneweg, aber auch Ute Hannig, Yorck Dippe und sogar Götz Schubert, bislang nicht in erster Linie als Komiker bekannt. Hinter der Szene flimmern ständig Video-Anrufe; Michael Wittenborn zeigt darin hinreißend mitleiderweckend den Niedergang des verlassenen Ehemanns. Bei Zadek damals war das Juhnkes Rolle.
Natürlich fehlt viel. Das ist fast immer so bei Ayckbourn-Arbeiten in Deutschland. Denn der Autor analysiert zwar oft ganz gnadenlos den Verfall aller Bürgerlichkeit, aller sozialen Ordnung und Verlässlichkeit – aber er tut den Opfern in der verkommenen Zivilisation, wie er sie sieht (und wie sie ist), niemals wirklich weh. Nicht mal in "Bürgerwehr", der jüngsten und sehr politischen Farce, die im vorigen Jahr, zum 75. Geburtstag des Autors, auf (viel zu wenige) deutsche Bühnen kam.
"Ab jetzt" in Hamburg ist auch wieder nur zum Lachen. Dabei ist Sir Alans Welt eigentlich zum Heulen.
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