Alain Mabanckou: "Petit Piment"

Ein schwarzer Moses flieht aus dem Waisenhaus

06:40 Minuten
Buchcover zu "Petit Piment" von Alain Mabanckou.
Von einer Kindheit im Kongo erzählt der Autor Alain Mabanckou in seinem neuen Roman. © Liebeskind Verlag
Von Birgit Koß · 02.09.2019
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Alain Mabanckou erzählt in seinem neuen Roman von einem Waisenkind im Kongo der 60er-Jahre. Als 1969 die Revolution ausbricht, flieht der Held aus dem Waisenhaus. Eine atemlose tragische Geschichte zum Staunen und Schmunzeln.
Mabanckou war bereits im Jahr 2015 für den Man Booker International Prize und für den Prix Goncourt nominiert. Der 1966 in der Republik Kongo geborene Autor kehrt auch mit dieser Geschichte in seine Heimat zurück. Begab er sich in seinem vorhergehenden Roman "Die Lichter von Pointe-Noire" weitgehend autobiografisch auf den Spuren seinen Eltern, so erzählt er nun von Moses, genannt "Petit Piment", einem Waisenkind, das einst von der Mutter vor dem christliche Waisenhaus in Loango abgelegt worden ist.
Moses heißt mit vollem Namen "Wir wollen Gott dafür danken, dass der schwarze Moses im Land seiner Vorfahren geboren wurde". Den Spitznamen "Petit Piment" erhält er, nachdem er zwei Mitschülern extrem viel Chilipulver ins Essen gemischt hat. Überhaupt spielen Namen bei Mabanckou eine große Rolle. So heißt der Direktor des Waisenhauses Dieudonné Ngoulmoumako. Nachdem die christlichen Ordensbrüder das Land verlassen haben, herrscht er uneingeschränkt über 300 Kinder. Auf diesen Posten gelangt ist der kinderhassende Mann durch Korruption und Stammeszugehörigkeit, seine Familienangehörigen hat er gleich mit angestellt.

Hoffnungslose Lage

Leidglich der alte Priester Papa Moupelo kommt noch einmal wöchentlich, um mit den Kindern zu beten, zu singen, zu tanzen und ihnen echte Zuneigung entgegenzubringen. Doch dann wird 1969 die Volksrepublik Kongo ausgerufen, "als die Revolution über uns kam wie ein Regen, den selbst unsere ruhmreichsten Fetischeure nicht hatten kommen sehen". Der Priester und andere nicht parteikonforme Lehrer verschwinden. Mit seinem einzigen Freund Bonaventure Kokolo begreift der 13-jährige Petit Piment die Lage als hoffnungslos.
Wie schon in dem Roman "Morgen werde ich zwanzig sein" nutzt Alain Mabanckou die kindliche Perspektive, um respektlos und humorvoll über die unsinnigen Anordnungen der Politiker, den Personenkult, über die Vorurteile der verschiedenen ethnischen Gruppen untereinander und überhaupt über die Macht der Erwachsenen zu räsonieren. Mit facettenreicher, sprühender Sprache erzählt der Autor diesen Entwicklungsroman wie eine Schelmenposse - wie immer atemlos.

Hexenjagd auf Prostituierte

Als Petit Piment schließlich mit zwei Mitschülern aus dem Waisenhaus flieht, muss er das brutale Leben der Straßenkinder in Pointe Noire, der zweitgrößten Stadt im Kongo, kennenlernen.
Schließlich aber trifft er Mama Fiat 500, die mit zehn Mädchen aus dem damaligen Nachbarstaat Zaïre geflohen ist und nun ein florierendes Bordell unterhält. Sie und ihre Mädchen schließen den herumstreunenden Jungen ins Herz und schaffen ihm ein Heim. Doch der Bürgermeister von Pointe-Noire eröffnet aus Wahlkampfgründen eine Hexenjagd auf die Prostituierten aus Zaïre und lässt sie umbringen - für Petit Piment bricht die Welt zusammen.
Mabanckou setzt mit seinem Roman nicht zuletzt Frauen wie ihr ein Denkmal. Mit der Stimme Petit Piments als hellsichtigem, scharfzüngigem Beobachter zeichnet Alain Mabanckou ein weiteres vielschichtiges Bild der Republik Kongo, das staunen und trotz der tragischen Geschichte immer wieder schmunzeln lässt.

Alain Mabanckou: "Petit Piment". Roman
Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller
Liebeskind, München 2019
240 Seiten, 20 Euro

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