Aus den Feuilletons

Broders größter Unfug

Der Publizist Henryk M. Broder
Der Publizist Henryk M. Broder © dpa / picture alliance / Erwin Elsner
Von Arno Orzessek · 30.01.2016
Man müsse kein Historiker sein, um in den Silvester-Ereignissen von Köln Parallelen zu antijüdischen Pogromen zu erkennen, findet Henryk M. Broder. Er gibt aber immerhin zu: Niemand bereite die "Endlösung der Frauenfrage" vor.
"War Köln ein Pogrom?" fragte die Tageszeitung DIE WELT... Und man hätte die Antwort vielleicht mit Spannung erwartet, wenn nicht mit Blick auf den Namen des Autors alles sofort klar gewesen wäre. Der Autor hieß nämlich Henryk M. Broder – und Broder war eigentlich immer ein Freund radikaler semantischer Eskalationen. So auch dieses Mal:
"Es war ein Pogrom. Erstaunlich nur, dass bis jetzt niemand auf den Begriff gekommen ist, wo doch alle, die sich ungerecht behandelt fühlen, von den Vegetariern bis zu den ‚KZ-Hühnern', darum wetteifern, ‚die Juden von heute zu sein'. Wie es sich für ein Pogrom gehört, gab es Täter, Opfer und Zuschauer. Die Täter waren rücksichtslos, die Opfer hilflos und die Zuschauer haben zugeschaut. [...] Man muss kein Historiker [...] sein, um Parallelen zu den antijüdischen Pogromen aus der Zeit vor dem Holocaust zu erkennen."
Wir sind gewillt, Henryk M. Broder den Preis für den größten Feuilleton-Unfug der Woche zu verleihen... räumen aber ein: Immerhin bemerkte der WELT-Autor selbst gewisse Unstimmigkeiten an der Parallel-Führung von Sylvester in Köln und der Reichspogromnacht 1938 mit Hunderten Toten und Tausenden zerstörter Synagogen und jüdischer Geschäfte. Broder konzedierte:
"Frauen [sind], anders als Juden, keine Minderheit. Und niemand bereitet die ‚Endlösung der Frauenfrage' vor."
"Schäm dich" – titelte die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG... Aber nicht etwa in Bezug auf die Pogrom-Koryphäe Broder.
Vielmehr erklärte der SZ-Autor Till Briegleb, "Wie unsere Gesellschaft ihre liberale Moral erkämpfte" und dabei die Beschämung durch Nacktheit stetig abnahm. Mit Blick auf die Kölner Sylvester-Ereignisse interessierte Briegleb allerdings die Scham der Täter:
"Natürlich spielt auch aufseiten der ‚Grapscher' Scham eine bedeutende Rolle. Bei aller Willkommenskultur in Deutschland bleibt die konkrete Lebenssituation dieser männlichen und alleinstehenden Flüchtlinge nämlich überaus beschämend. Ohne Geld, Arbeit, Sprachkenntnisse und Ansehen in Container- und Zeltsiedlungen hinter der Stadtgrenze zu hausen, und dank existierender Ressentiments gegen arabische Männer in unserer Gesellschaft keinerlei Chance auf dem Markt der Gefühle zu haben, das ist auch ohne islamische Männlichkeits- und Ehrbegriffe eine überaus stolzverletzende Erfahrung."
Ober er nun selbst an die Realisierbarkeit glaubt oder nicht – jedenfalls schlug Briegleb folgende wunschpunschmäßige Problem-Lösung vor: "Die Beschämten vom Rand der Gesellschaft in ihre Mitte [...] holen – und zwar räumlich, ökonomisch und sozial."

Jessen: forsch und platt

Laut der Wochenzeitung DIE ZEIT wird in Deutschland augenblicklich "Das Flüchtlingsspiel" gespielt:
"Ablenken, Täuschen, Kartenlesen: Scheindebatten beherrschen die deutschen Politik. In Wahrheit sorgt sie sich weniger um die Migranten als um die wachsende Fremdenfeindlichkeit im eigenen Volk",
behauptete Jens Jessen.
Seinem teils forschen Tonfall zum Trotz hatte der ZEIT-Autor selbst allerdings wenig mehr zu bieten als perplex-platte Situationsbeschreibungen:
"Was ist die Lage? [hob Jessen an] Fremde sonder Zahl strömen in ein Land, in dem eine Minderheit (morgen vielleicht eine Mehrheit) Fremde nicht haben möchte. Mag es auch noch viele Deutsche geben, die hilfsbereit und voller Erbarmen den Flüchtlingen gegenüberstehen – die Menge der Ablehnenden ist zu groß, um sie zu ignorieren oder durch Meinungsmacht von ihrer Einschätzung abzubringen. Die Politik muss mit ihnen rechnen."
‚Oha, eine originelle Forderung!' dachten wir. Aber Jessens Leporello der Selbstverständlichkeiten klappte noch weiter auf. Er mahnte:
"[Die Politik] muss aber auch mit den Flüchtlingen rechnen, die schon da sind oder noch kommen werden und die man ebenfalls nicht ignorieren kann."
Bitte schön, Jens Jessen! Wie findet denn eine derart hohle Phrase ins Feuilleton der ZEIT? Aber nun! Nehmen wir den Blackout als ein weiteres Symptom intellektueller Erschöpfung angesichts der komplett unwägbaren Lage.

Tarantino: Langeweile und Ekel

Übrigens: Erschöpft zeigten sich viele Feuilletonisten angesichts seines neuen Film – "The Hatefull 8" – auch von dem sonst hochgehandelten Regisseur Quentin Tarantino, dessen zügellose Blutrauschlust seit "Pulp Fiction" eine Weltmarke ist.
"Sterbenslangweilig und ekelerregend", nannte Frank Olbert in der BERLINER ZEITUNG den neuen Streifen, einen an Wort- und Schusswechseln überreichen Western.
"Soooo viel Hass" – ‚sooo' mit vier o – bemerkte Thomas E. Schmidt in der ZEIT und resümierte: "Am Ende der Hateful 8 ist alles weggeblasen, Beziehungen, Interessen, Gefühle, die Menschlichkeit und der Glaube an eine geordnete Welt. Und zwar, ohne dass es den Zuschauer sonderlich bewegt."

DHM Berlin: bewegende Kunst

Sehr bewegt verließen die Kritiker hingegen die Ausstellung "Kunst aus dem Holocaust" im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Gezeigt werden Bilder, die in den Ghettos und Konzentrationslagern der Nazis entstanden sind.
"Es fällt schwer, die Bilder dieser Ausstellung an ästhetischen Maßstäben zu messen. Ihre Sujets [...] besitzen eine Dringlichkeit, die jedes Geschmacksurteil übersteigt", unterstrich Andreas Kilb in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
Konkreter wurde Ingeborg Ruthe in der BERLINER ZEITUNG:
"Die Seele der Gemarterten – sie steckt als Schmetterling, als geblümtes Sommerkleid, als sonnenüberstrahlte Bergkuppe oder als Globus auf dem Holztisch eines Kerkers in den Bildern. Welche Transzendenz."
Biegen wir nun mit Jürgen Kaube auf die Zielgerade ein. Der FAZ-Autor reagierte auf den Großmufti von Saudi-Arabien, der das Schachspielen für unislamisch erklärt hat, weil es vom Beten ablenke, süchtig machen könne und sowieso Zeit- und Geldverschwendung sei. Kaube stimmte in allen Punkten zu:
"Da hat [...] [der Großmufti] selbstverständlich recht. Gerade was das Beten angeht, ist es ja tatsächlich so, dass die meisten Dinge geeignet sind, davon abzulenken. Über der Ölförderung etwa, beim Auspeitschen von Regimegegnern oder beim Einkaufengehen in Prada-Boutiquen kann man das Gebet sowie generell Gott ganz leicht vergessen."
Falls der Großmufti davon hört, empfehlen wir ihm dringend, den Ratschlag anzunehmen, der in der SZ Überschrift wurde. Sie lautete: "Lachen hilft."
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