Akustische Dimensionen des Sports

Das Ohr trainiert mit

23:11 Minuten
Eine Handballspielerin führt die linke Hand zu ihrem linken Ohr, um etwas zu hören. Sie schaut fragend.
Wie noch mal? Beim Sport kommt es auch darauf an, was die Ohren alles hören. © picture alliance / dpa / Eibner-Pressefoto / Erik Hillmer
Von Julian Kämper · 17.04.2022
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Wie klingt der Gegner? Welchen Rhythmus hat ein Angriff beim Kampfsport? Das Wissen darum ist nicht nur für Musikwissenschaftler von Interesse, es kann auch sportliche Leistung optimieren. Wenn Athletinnen und Athleten genauer hinhören würden.
Weitsprung, Tischtennis, Schwimmen, Basketball, Motorsport: Um diese Sportarten zu identifizieren, reichen uns schon kurze Höreindrücke. Wir erkennen charakteristische Klänge wie springende Bälle unterschiedlicher Größe und unterschiedlichen Materials, wir hören Schritte und Körperbewegungen, zudem Stimmen der Protagonisten und die signifikanten Geräusche von Sportgeräten. Und auch den jeweiligen Raum, in dem Sport getrieben wird, können wir uns akustisch erschließen. Drinnen wie draußen.

Vorteile des Hörens

Wichtig beim Sport ist zudem noch die auditive Szenenanalyse, so nennen Wahrnehmungspsychologen, wenn all die Schallwellen, die gleichzeitig an unser Ohr dringen, gefiltert und selektiert werden. Die Hierarchie unserer Sinnesmodalitäten wird seit Jahrtausenden diskutiert. Meistens kamen Philosophen zu dem Schluss, dass der Mensch ein "Augentier" und der Sehsinn der dominanteste unter den Sinnen sei.
Dabei hat das Hören gegenüber dem Sehen Vorteile, die für Sportlerinnen und Sportler wichtig sein können: Gelegentlich müssen wir die Augenlider schließen und wir sehen nur das, was sich in unserem Sichtfeld und bei Licht abspielt. Unsere Ohren hingegen können wir auf natürliche Weise gar nicht verschließen, außerdem hören wir auch im Dunkeln und können auch die Schallereignisse wahrnehmen und lokalisieren, die sich hinter uns vollziehen.
Die Schulung kognitiver Fähigkeiten zur taktisch klugen Entscheidungsfindung gehört bei den meisten Sportarten zum Trainingsprogramm. Dem Hörsinn kommt dabei aber offenbar ein geringer Stellenwert zu. Den charakteristischen Sound der eigenen Sportart haben Spieler und Sportlerinnen oder Trainer und Trainerinnen sowie Fans im Ohr. Was meist ausbleibt, ist jedoch die bewusste Auseinandersetzung mit diesen akustischen Merkmalen.

Den eigenen Sport hörend analysieren

Dafür bräuchte es Methoden, wie sie Musikwissenschaftler oder Klangforscher anwenden: Das heißt, die jeweilige Situation zunächst einer Höranalyse zu unterziehen, um das, was um einen herum zu hören ist, akribisch zu benennen und zu beschreiben.
Im nächsten Schritt wird dann das gesammelte Material kategorisiert und systematisiert, um den jeweiligen Klangereignissen unterschiedliche Funktionen und Qualitäten zuordnen und schließlich Zusammenhänge und Muster erkennen zu können.
Solche Systematiken oder Typologien der akustischen Aspekte des Sports sucht man in den Sportwissenschaften vergeblich. Zwar wird dort vielfältig mit "Sonification" gearbeitet, also mit der Übersetzung von Körperbewegungen in synthetische Klänge, die dann als auditives Feedbacksystem fungieren und etwa Unregelmäßigkeiten in der technischen Ausführung bestimmter Bewegungen offenlegen. Aber das sind künstlich erzeugte Signale, die zu unterscheiden sind von der Eigenklanglichkeit des Sports – dem originären Sound, der jeder Sportart naturgemäß eingeschrieben ist.
Um diesem auf die Spur zu kommen, fragt man am besten diejenigen, die sich von Berufs wegen mit Musik, Klang und Geräuschen des Alltags befassen und über auditive Kulturen und Praktiken des Hörens reflektieren.

Klangsport als Wahrnehmungsexperiment

"Unsere ganze Wahrnehmung im Sport ist überwiegend visuell geprägt. Darum lohnt es sich, einmal die Augen zuzumachen und hinzuhören", sagt Marina Sahnwaldt. "Klangsport" nennt die Regisseurin und Kulturwissenschaftlerin ihr langjähriges Projekt, bei dem sie Sport, Kunst und Wissenschaft zusammenführt: Sport treiben und sich dabei primär von dem lenken lassen, was man hört:
"Wenn ich die Frage gestellt habe: Wie klingt denn dein Sport überhaupt? Dann sitzt plötzlich jemand vor mir, der absoluter Experte im Klangsport ist, ohne das vorher gewusst zu haben. Also jeder Sporttreibende nimmt das unbewusst wahr, aber integriert das überhaupt nicht in seinen Sport."
Klangsport ist gleichermaßen Wahrnehmungstraining, kulturwissenschaftliche Feldforschung, Musikvermittlungspraxis oder Trainingsmethodik, je nachdem wer sich mit welchem Interesse und Hintergrund in das Wahrnehmungsexperiment begibt. Sahnwaldt lädt Sportlerinnen und Sportlern unterschiedlicher Disziplinen in eine Art Studiosituation ein, um deren Körperbewegungen in Bild und Ton aufzuzeichnen und auf diese Weise akustische Signaturen zu erstellen.

Wissen wie Hürdensprint klingt

So wächst über die Zeit ein Klangsportarchiv, in dem inzwischen rund 28 Disziplinen mit mehr als 60 Körpertechniken erfasst sind. Dabei zeichnet Sahnwaldt am liebsten Spitzensportlerinnen und -sportler auf, weil Profis die jeweiligen Körpertechniken beherrschten und somit ein verlässliches akustisches Muster erzeugen könnten. Das gilt auch, wenn Gegenstände beteiligt sind, wie der Diskus beim Diskuswerfen, die Kugel beim Kugelstoßen oder ein Springseil:
"Es wäre einfach ein auditives Feedback für Trainingsverfahren. Es wäre grundsätzlich sehr spannend. Gerade für Menschen, die ein ganz gutes Gehör oder ein gutes Rhythmusgefühl haben, könnte das einen positiven Impuls geben, um das Training zu optimieren."
Dabei ist das geschulte und erfahrene Ohr des Trainers wichtig für die Fehleranalyse und Formkorrektur, erläutert Christopher Hallmann, Mehrkampf-Bundestrainer des Deutschen Leichtathletikverbandes. Die Athleten verarbeiten dieses Feedback meistens aber in Kombination mit Videosequenzen.
"Aber so richtig in einem Lehrplan, in Büchern veröffentlicht ist da noch nichts vorhanden", sagt Hallmann. "Da müsste sich mal einer mit beschäftigen und da irgendwie eine größere Arbeit draus schreiben. Ich weiß, wie sich ein Hürdensprint anhören muss. Ich weiß, wie sich ein Diskuswurf anhören muss. Aber ich schreib das jetzt nicht irgendwie auf. Aber ich weiß es halt."
Vielleicht müssten diejenigen, die spezialisiert darauf sind, Klingendes zu analysieren und in Worte zu fassen, an dieser Stelle mitwirken, um Wissen und Erfahrungswerte von Trainern wie Hallmann systematisch zu erschließen und als "Theorie der Sportakustik" zu standardisieren.

Sonic Turn im Sport

In den Kulturwissenschaften hat man jüngst den sogenannten Sonic Turn ausgerufen, also eine paradigmatische Wende, der zufolge wir die Welt heute nicht mehr nur visuell wahrnehmen und verstehen. Denn Sounds jeglicher Art beherrschen unseren Alltag, werden sorgfältig designt, damit sie – bewusst oder unbewusst – unsere Emotionen stimulieren.
Vielleicht erhalten dieses gesteigerte Interesse und Bewusstsein für alles Klingende bald noch stärker Einzug in den Sport: Das Ohr trainieren, um die akustischen Dimensionen im Sport aufzuwerten. Ob das dann den Leistungsunterschied macht, das wird man sehen.

Eine Wiederholung vom 7. November 2021
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