Airport Kassel

Neustart in Calden mit einem Flug nach Sylt

07:25 Minuten
Empfangsgebäude und Terminal des Flughafens Kassel-Calden in Hessen: Es ist keinerlei Betrieb zu sehen.
Schon vor Corona gab es die Frage: Braucht Nordhessen wirklich einen eigenen internationalen Flughafen, der das Land Hessen auf Dauer jährlich mehrere Millionen Euro Subventionen kostet? © picture alliance / imageBROKER / Thomas Robbin
Von Ludger Fittkau · 22.06.2020
Audio herunterladen
Das Verkehrsaufkommen in Kassel-Calden ist bis heute sehr überschaubar. In der Corona-Krise war der Flughafen geschlossen, die Belegschaft in Kurzarbeit. Nun heben wieder vereinzelte Maschinen ab, die jeweils bis zu 30 Nordhessen nach Sylt bringen.
Mittagszeit in der Abfertigungshalle des Flughafens Kassel-Calden. In einer halben Stunde soll die einzige Maschine, die heute auf dem Flugplan steht, Richtung Westerland auf Sylt abheben. Erst seit rund drei Wochen ist der Flughafen Kassel-Calden wieder geöffnet, nachdem er in der Hochphase der ersten Covid-19-Welle ganz geschlossen war. Die Fluggäste, die auf die 30 Plätze bietende Maschine nach Sylt warten, sind hocherfreut, dass es wieder losgeht. Denn während man mit Bahn oder Auto von Kassel rund sieben Stunden braucht, um Sylt zu erreichen, dauert der Flug nur knapp eine Stunde. Einige Stimmen:
"Ja, es ist einfach eine bequeme Sache bezüglich der Fahrtzeit. Sieben Stunden von Kassel nach Sylt, es ist ein purer Luxus, in einer Stunde dazu sein."
"Vor allen Dingen: Wir hatten es ja letztes Jahr im Herbst schon gebucht, sind froh, dass es jetzt wieder losgeht. Sonst hätte man das Ganze wieder alles stornieren müssen, einschließlich Wohnungen mit allem Drum und Dran. Von daher finde ich es in Ordnung."
"Es geht schnell – der Check-In, das ist alles unproblematisch. Und wir wohnen eine halbe Stunde entfernt. Also besser geht gar nicht."
"Aber man muss auch sagen: Beim letzten Mal waren wir hier und dann hat erst mal anderthalb Stunden gedauert, bis es losging, obwohl gar kein Flugzeug da war."

Viel, viel Gegenwind

Den Grund habe man nicht erfahren, erzählt das Paar, das ungenannt bleiben will. Die Frau aber bemerkt noch:
"Seinerzeit, als dieser Flughafen gebaut wurde, da gab es ja viel, viel Gegenwind. Die Passagiere, die jetzt hier sind, die gehen natürlich in Paderborn verloren. Das ist auch klar."
Die Check-in-Schalter im Flughafen Kassel-Calden: Davor stehen ein paar wenige Passagiere.
Erst seit drei Wochen ist der Flughafen wieder geöffnet. In der Hochphase der Covid-19-Beschränkungen war er geschlossen.© Deutschlandradio / Ludger Fittkau
Damit spricht die Passagierin ein zentrales Thema an, das schon lange vor der Eröffnung des neuen Flughafens Kassel-Calden vor sieben Jahren kontrovers diskutiert wurde: Gibt es nicht rund um Kassel genug gut erreichbare Flughäfen wie Paderborn, Hannover und Frankfurt am Main? Braucht Nordhessen wirklich einen eigenen internationalen Flughafen, der das Land Hessen auf Dauer jährlich mehrere Millionen Euro Subventionen kostet? Für die Sylt-Reisenden überwiegen unter dem Strich die positiven Aspekte:
"Der Flughafen ist hier für Nordhessen ein zentraler Punkt, auch für Privatflüge. Und gerade hier für die Menschen, die hier in der Region wohnen. Das wird schon gut angenommen."

Schließung und Tod eines Fürsprechers

Lars Ernst ist in die Abfertigungshalle gekommen. Er ist seit drei Jahren Geschäftsführer der Flughafen GmbH Kassel. Noch ist er Corona-bedingt in Kurzarbeit, doch er hofft, dass es bald außer nach Sylt wieder weitere Flüge von seinem Flughafen geben wird. Die Branche habe sich jetzt sehr gut darauf eingestellt, den Betrieb wieder aufzunehmen, sagt er. "Alle haben ihre Hausaufgaben gemacht. Alle haben sie Hygienekonzepte erstellt, Maßnahmen eingeleitet, die dazu geeignet sind, dass das Fliegen und Urlaubmachen in gewisser Weise sicher sind." Er glaube, es werde funktionieren.
Zusätzlich zur wochenlangen Schließung von Kassel-Calden in der Coronakrise ereilte Lars Ernst die Nachricht, dass der vielleicht wichtigste politische Fürsprecher des umstrittenen Flughafens Suizid begangen hat: Thomas Schäfer nämlich, der hessische Finanzminister und designierte Nachfolger Volker Bouffiers im Amt des hessischen Ministerpräsidenten. Thomas Schäfer hatte sich in den vergangenen Jahren trotz aller öffentlichen Kritik immer dafür eingesetzt, den chronisch defizitären Kasseler Flughafen weiter zu betreiben.
Lars Ernst sagt: "Es ist immer sehr, sehr wichtig, einen Fürsprecher in Wiesbaden zu haben. Und wir vermissen Thomas Schäfer sehr und er stand immer für den Flughafen." Es sei ein großer Verlust, vor allem weil sich in den vergangenen zehn Jahren auch eine persönliche Bindung aufgebaut habe."
Martin Worms, Staatssekretär im hessischen Finanzministerium, sagt: "Thomas Schäfer fehlt uns natürlich vor allen Dingen als Mensch. Aber der Flughafen ist zum Glück nicht abhängig von einzelnen Personen, er wird von der Landesregierung insgesamt getragen."
Worms hat nach dem Suizid seines Chefs zeitweise das Ministerium geleitet. Künftig wird er Aufsichtsratsvorsitzender des Flughafens Kassel-Calden sein.

"Mehr als ein Flughafen: ein Wirtschaftsstandort"

Wichtig sei aber auch, dass der Flughafen auch von der Region angenommen und unterstützt werde. Er biete nämlich jenseits von Urlaubsreisen vor allen Dingen Arbeitsplätze, Infrastruktur und Perspektiven für diese prosperierende Region. "Und wenn es dazu noch eines einzelnen Fürsprechers bedarf, dann bin ich als designierter Aufsichtsratsvorsitzender gerne bereit, diese Rolle einzunehmen."
Martin Worms betont – wie auch der Flughafen-Chef Lars Ernst – dass Kassel-Calden mehr sei als ein hochsubventionierter Airport. Es seien rund um den Flughafen rund 1000 Arbeitsplätze entstanden – viele in Industriebetrieben, die etwas mit der Luftfahrtbranche zu tun hätten.
Ein Display zeigt Flüge an aus Westerland auf Sylt, die mit vier Tagen Abstand auf dem Flughafen Kassel-Calden landen. 
Mehr als Urlaubsflüge? Der Flughafen biete Arbeitsplätze, Infrastruktur und Perspektiven für die prosperierende Region, sagt der Wirtschaftsstaatssekretär.© Deutschlandradio / Ludger Fittkau
Er sei zuversichtlich, dass mit Zunahme der Lockerungen auch hier wieder erfolgreichere Wege beschritten werden können, so Worms. "Die Zukunft der Regionalflughäfen ist in der Tat ein besonderes Thema." Aber hier komme Kassel-Calden zugute, dass es auch darum geht, interkommunale Gewerbeflächen – flughafenaffine Unternehmen – anzusiedeln. "Und das ist die Stärke, die Kassel möglicherweise im Vergleich zu vielen anderen Regionalflughäfen hat und die mich optimistisch macht, was die weitere Entwicklung angeht."
Lars Ernst bestätigt: "Wir sind ja nicht nur ein Flughafen, der touristischen Flugverkehr hat, sondern wir sind eben halt auch ein Flughafen, der viele andere Firmen beheimatet." Man habe zum Beispiel mit Piper-Deutschland "einen ganz, ganz großen Flugzeug-Hersteller und -verkäufer hier". Und mit Airbus Helicopters am alten Verkehrslandeplatz habe man auch ein renommiertes Unternehmen. "Mit denen stehen wir natürlich auch in sehr engem Austausch." Insgesamt seien an dem Standort mehr als 1000 Mitarbeiter bei den unterschiedlichen Firmen beschäftigt. "Das heißt, wir sind halt mehr als nur ein Flughafen, von dem man fliegen kann. Wir sind Wirtschaftsstandort."
Dennoch – für die meisten Menschen der Region ist es wichtig, dass der Flughafen schon während der Sommerferien wieder mehr Flüge anbietet als die eine Verbindung nach Sylt. Sonst wird es langfristig auch für die Landesregierung schwer, den Flughafen offen zu halten.
Mehr zum Thema