Felwine Sarr: "Afrotopia"

Schluss mit westlichen Kriterien!

Bewohner Afrikas in Südafrika infeierlichen Gewändern.
Felwine Sarrs Buch "Afrotopia" ist ein kritischer Gegenentwurf zum westlichen Diskurs über Afrika. © unsplash/Leo Moko
Von Claudia Kramatschek · 31.01.2019
Der senegalesische Ökonom Felwine Sarr entwirft im Sachbuch "Afrotopia" seine Vision für den Kontinent: Er funktioniere anders als westliche Kulturen. Man spürt seinen Zorn bei der Lektüre – und weiß, das kommende Afrika ist nahe.
Der Bericht zur Rückgabe des afrikanischen Kulturerbes, den die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und der senegalesische Ökonom Felwine Sarr Ende 2018 veröffentlicht haben und der demnächst auch auf Deutsch erscheinen wird, gilt vielen als Kampfansage aus dem Munde des lange geschundenen Afrikas. Nun liegt erst mal aber das viel grundlegendere Buch von Felwine Sarr – Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität in Saint-Louis – vor, das Buch, das seinen Ruhm begründet hat: "Afrotopia" heißt es, und in ihm geht es um nichts weniger als um die mögliche Gestalt, die das "kommende Afrika" annehmen will. Will – nicht 'soll'. Denn Sarr entfaltet – aus der afrikanischen Innensicht heraus – einen kritischen Gegenentwurf zum westlichen Diskurs über Afrika, welcher nur zwei Extreme kennt: schieren Pessimismus – oder, in jüngster Zeit, die Hoffnung auf ein afrikanisches kapitalistisches Eldorado. Beides seien, so Sarr, die Träume und Ideen anderer. Wie also kann Afrika sich selbst neu denken?

"Der Homo africanus ist kein Homo oeconomicus"

Um dieses zukünftige Afrika zu skizzieren, holt Sarr weit aus und erinnert noch einmal an den humanen wie ökonomischen Aderlass, den der Kontinent zu Zeiten von Kolonialismus und Sklavenhandel erleiden musste. Sein wichtigstes Argument mit Blick auf die Zukunft lautet deshalb: Schluss mit westlichen, das heißt wesensfremden Kriterien, wie etwa dem des Bruttosozialprodukts! Für Sarr – und das ist ein spannender Gedanke – besteht nämlich ein unaufhebbarer Zusammenhang zwischen Kulturen und ökonomischen Gepflogenheiten: "Der Homo africanus ist kein Homo oeconomicus im strengen Sinn. Die Motive seiner Entscheidungen sind geprägt von Logiken der Ehre, der Umverteilung, der Subsistenz und der Gabe beziehungsweise Gegengabe."

"Kampf um Repräsentation"

Sarr, der im Echoraum von Frantz Fanon und Achille Mbembe gleichermaßen schreibt, fordert deshalb von seinen Landsleuten eine "Revolution der Paradigmen und Praktiken": Es reiche nicht, so sein Votum, das koloniale Wissensarchiv zu korrigieren. Vielmehr sei das alte westliche System durch ein afrikanisches zu ersetzen. Es geht also um nicht weniger als einen "Kampf um Repräsentation".

Kehrseite des westlichen Diskurses

Die Verve, die aus seinem Manifest spricht, kann man verstehen. Streckenweise aber mutet Sarrs Afrika-Vision an wie die essentialistische Kehrseite des westlichen Diskurses vom sogenannten Anderen, als das der Kontinent doch viel zu lange aufgefasst wurde: "Heute könnte eines vieler weiterer Vermächtnisse darin bestehen, inmitten der Sinnkrise einer technizistischen Gesellschaft eine andere Sichtweise auf das gesellschaftliche Leben zu bieten, die aus anderen mythologischen Universen hervorgegangen ist und einen gemeinsamen Traum von Leben, Gleichgewicht, Harmonie und Sinn nährt", heißt es gleich eingangs in "Afrotopia". Das sind große Worte. Über solche kommt manches in "Afrotopia" – dessen deutscher Fassung ein Lektor mit zupackender Hand gut getan hätte – nicht hinaus. Die Lektüre lohnt dennoch: Man spürt den Zorn – und weiß, das kommende Afrika ist nahe.

Felwine Sarr: Afrotopia
Aus dem Französischen von Max Henninger
Matthes & Seitz, Berlin 2019
176 Seiten, 18 Euro

Das Buch steht auf unserer Sachbuchbestenliste.

Mehr zum Thema