After-Work-Skitour in den Bergen

Abfahrt mit Kopflampe

Ein Skilangläufer mit einer Stirnlampe läuft bei Nacht einen Berg hoch.
Eine Skitour bei Nacht kann auch helfen, den Arbeitsstress zu vergessen. © imago/Westend61
Von Georg Gruber · 24.02.2018
Skitouren zu gehen, boomt: Jedes Jahr werden es mehr, die abseits oder am Rande der Pisten den Berg hinaufsteigen und hinabfahren - und das auch abends. Mitunter kommen die Touristen sogar aus München zur Feierabend-Tour in die Alpen.
Bad Kohlgrub in Oberbayern. Der Parkplatz der Hörnlebahn an einem ganz normalen Dienstagabend. Mein Bruder und ich sind nicht die einzigen, die auf die Idee gekommen sind, im Dunklen nach Feierabend noch schnell aufs Hörnle zu gehen. Mit Tourenski. Und Stirnlampe.
"Wir gehen in eurer Spur durch den Tiefschnee." Meine Bemerkung erntet nur ein leichtes Lachen. Tiefschnee – Fehlanzeige. Unten schauen an manchen Stellen schon Gras und Steine heraus. Es war zu warm die letzten Tage. "Geschätzte Temperatur: Minus 25 Grad, seit Tagen war keine Sonne zu sehen gewesen."

Auf der Piste, am Waldrand entlang

Wir gehen auf der Piste, am Waldrand entlang. Es ist dunkel. Doch wir sind zuversichtlich. "Zum Glück dauert der Aufstieg nur fünf Stunden. Wir dürften es bis Mitternacht geschafft haben." Die erste Viertelstunde unterhalten wir uns noch. Wir sprechen über die Gefahren am Berg: "Wilde Hirsche, Eisbären, Antilopen."
Dann geht jeder schweigend in seinem Rhythmus. "Scho steil", sage ich zu meinem Bruder. "42 Grad hat das schon", antwortet er. "Fast senkrecht geht’s bergauf", sage ich. "Aber zum Glück sind wir am Seil", sagt er. Nach ungefähr einer halben Stunde machen wir die erste Pause: "Erste Pause nach drei Stunden kontinuierlichem Durchmarschieren."

Kein Mond, im Tal leuchtet es

Noch immer kein Mond. Nur die Sterne und der Blick ins Tal. Wo die Lichter leuchten. Grad weihnachtlich wird einem zu Mute. Mein Bruder sagt: "Zu Mute wird einem weihnachtlich."
Ich sage zu ihm: "Wenn's nur nicht schon lang danach wäre."
Wir marschieren weiter. Einzelne Skifahrer kommen uns von oben entgegen. Lichter gleiten durch die Nacht. Dann ein letzter steiler Anstieg, auf fast 1400 Meter. Immer noch kein Mond, nur die Sterne über uns. Oben auf der Hütte neigen wir zum Übertreiben. Ich fang an. "So, hammas geschafft. Acht Tage, ohne Schlaf."
Mein Bruder stimmt ein: "Nix zu essen, nix zu trinken." Ich lege nach: "Mit nacktem Oberkörper." Vor der Hütte ziehen wir die Felle von den Skiern und verstauen sie in unseren Rucksäcken. Ich frage meinen Bruder: "Wie lange werden wir jetzt gebraucht haben, im Ernst?" "Reine Gehzeit – eine Stunde und fünf."
Ich frage den Bruder: "Geh ma dann rein? Oder bleiben wir draußen?" "Sonne ist weg, immer noch kein Mond am Himmel. Nutzt ja nix." Vielleicht dreißig andere Tourengeher und Geherinnen sind schon da. Wir bestellen Wurstsalat, denn warmes Essen gibt es in der Hörnlehütte nur bis 19.00 Uhr. Und zum Trinken – für die Elektrolyte – Weißbier, mein Bruder; Russe, also Weißbier mit Limo, ich.

In Oberbayern geht man abends in die Berge

Der Blick vom Hörnle ins Tal.
Der Blick vom Hörnle ins Tal. In der Nacht sieht man nur die Sterne und die Lichter der umliegenden Dörfer.© Deutschlandradio/ Georg Gruber
Das besondere an dieser Hütte: Sie hat an jedem Abend offen, andere nur an bestimmten Tagen. Marta Porer, die das Bier ausschenkt, kommt selbst oft mit den Skiern vom Tal hier herauf. Sie sagt: "Das Tourenskigehen ist ein großer Trend. Das hat jetzt erst so richtig angefangen, dass halt jeder einfach auf’d Nacht noch mal raus will und den Ausgleich zur Arbeit sucht."
Am vollsten ist es meist Mittwoch- und Donnerstagabend: "Es sind schon so Tage, wo sie dann gar nicht mehr rein können. Weil du selbst als Bedienung nicht mehr durchkommst, weil so viele Menschen da stehen. Die stellen sich dann draußen hin und trinken eine Halbe und fahren wieder runter. Weil sie da einfach keinen Platz mehr kriegen."
Heute Abend geht's – wegen der schlechten Schneelage im Tal. Ein Mann sagt zu seinen Motiven für den Aufstieg: "Wir sind glücklich verheiratet und wollten abends nicht zu Hause bleiben. Was macht man am Abend in Oberbayern? Geht man auf eine Hütten."
Ein anderer ergänzt: "Wir sind vom Ammersee und von München. Wir sind verrückte Skifahrer, fahren am Wochenende auch, uns ärgert’s, dass wir arbeiten müssen. Und das ist ein gutes Gefühl, wenn man nach der Arbeit hier rauf geht und dann ist man abends daheim und denkt, man war im Urlaub."
Um zehn ist Schluss mit der Hüttengemütlichkeit. Mein Bruder und ich sind die letzten. Es geht wieder raus in die Kälte. Noch immer kein Mond, dafür oben die Sterne und im Tal die Lichter der umliegenden Dörfer. Und das Licht der Stirnlampe, um vor sich die Piste zu sehen. Die Piste eisig, aber gut zu fahren. Mein Bruder sagt: "Wer raufwärts seinen Spaß noch nicht hatte, für den ist die Abfahrt zu kurz."
Deswegen: langsam fahren. Achtsam. Jede Kurve genießen. Nachts allein am Berg – ein Traum. Nur nicht zu schnell, damit er nicht gleich vorbei ist. Ein fast schon meditatives Gleiten. Innere Ruhe. Glück.
(Online-Fassung: mf)
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