Afrodeutsche Aktivistin Ika Hügel-Marshall

Im Kinderheim misshandelt

33:51 Minuten
Die Künstlerin und Aktivistin Ika Hügel-Marshall zu Besuch im Deutschlandradio-Funkhaus in Berlin.
Die Künstlerin und Aktivistin Ika Hügel-Marshall kam als fast Siebenjährige gegen den Willen ihrer Mutter in ein Heim. © Deutschlandradio/Maurice Wojach
Ika Hügel-Marshall im Gespräch mit Susanne Führer · 20.04.2020
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Ika Hügel-Marshall wurde 1947 in Franken als Tochter einer weißen Deutschen und eines schwarzen US-Soldaten geboren. Mit sieben nahm sie das Jugendamt aus ihrer Familie und gab sie in ein Heim. Dort lernte sie, sich selbst und ihre Hautfarbe zu hassen.
"My dear father" schreibt Ika Hügel-Marshall als 18-Jährige an den Mann, der sie zwar gezeugt, den sie aber noch nie gesehen hat, weil er noch vor ihrer Geburt in die USA zurückkehrte. Ihre Mutter hatte eine Liebesbeziehung zu einem schwarzen US-Soldaten, und deshalb kam Erika - genannt Ika - Hügel-Marshall 1947 als nichteheliches Kind auf die Welt. Ihre Mutter wurde als "Negerhure" beschimpft und durfte über das Schicksal ihres Kindes nicht selbst entscheiden. Der Grund: Laut damals geltendem Gesetz* übernahm das Jugendamt automatisch die Vormundschaft für nichteheliche Kinder. Und dieses Amt entschied: Erika muss in ein Heim. So kam die fast Siebenjährige gegen den Willen ihrer Mutter in die so genannte "Kinderheimat Gotteshütte" in Hückeswagen bei Köln.
"Man wollte uns [Afrodeutsche, d.Red.] einfach nicht haben, man wollte uns nicht sehen. Es gab ja auch viele Kinder, die von weißen Soldaten waren. An uns hat man halt gesehen, dass Deutschland den Krieg verloren hat, dass die Schwarzen eben auch die Befreier waren. Man wollte uns eigentlich nicht haben in Deutschland."

Im Heim sollte ihr der Teufel ausgetrieben werden

Ika Hügel-Marshall war die einzige Schwarze in dem von einer evangelischen Freikirche geführten Heim. An ihr wurden exorzistische Rituale vollzogen, um ihr den "Teufel auszutreiben", sie musste ihr Erbrochenes essen, nachts wurden ihre Hände gefesselt. Bevor sie ins Heim kam, hatte sie gedacht, sie sei wie andere Kinder.
"Und das war das Verheerendste, dass die mir im Heim beigebracht haben, dass das nicht so ist. Dass ich anders bin. Ich habe auch Schläge bekommen, ohne dass ich wusste warum. Und mit der Antwort 'Wir treiben den Teufel aus dir aus' kann ein Kind nichts anfangen. Und dann beginnt man als Kind, sich selbst zu hassen."
Das Verhängnisvolle: dass sie irgendwann gedacht hat, sie habe es verdient.
Das intelligente Mädchen durfte nicht aufs Gymnasium gehen, stattdessen machte sie eine Ausbildung zur Erzieherin und arbeitete mehrere Jahre in einem Kinderheim. Anschließend studierte sie Sozialpädagogik, arbeitete als Dozentin und psychologische Beraterin.

Innere Heilung durch Begegnung mit dem Vater

Vor allem der Kontakt zur afrodeutschen Community und die Begegnung mit ihrem Vater führten zu einer inneren Heilung. Sie war bereits 47, als sie zum ersten Mal ihrem "Dad" und ihren Geschwistern in den USA begegnete. "Ein sehr sehr warmer Empfang", schwärmt sie. Ihre Autobiografie veröffentlicht sie 1998 unter dem Titel "Daheim unterwegs. Ein deutsches Leben". Auch das Aufschreiben ihrer Lebensgeschichte hat Hügel-Marshall geholfen, mit der Vergangenheit besser fertig zu werden. Gesellschaftlich hat sich in den vergangenen Jahren zwar einiges zum Positiven entwickelt:
"Es gibt heute sehr viele weiße Deutsche, die sich auch gegen Rassismus einsetzen, und dafür auch kämpfen, das hat es zu meiner Zeit eben nicht gegeben, auch nicht damals in der Frauenbewegung. Da war ihnen Rassismus völlig egal. Das hat sich natürlich schon verändert, aber für mich war es einfach so, wie ich aufgewachsen bin, dass ich einfach im Rückblick damals auch erkennen musste, dass für mich Weiße eben Rassisten sind, solange sie sich nicht wirklich auseinandersetzen. Und das tun halt nicht alle."
* Erst 1970 wurde das Gesetz in der Bundesrepublik reformiert und unter anderem geregelt, dass das nichteheliche Kind unter der "elterlichen Gewalt" der Mutter steht und damit die bisherige Amtsvormundschaft entfällt.
Erstsendedatum: 7. Februar 2017
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