"Afrikas Probleme sind und werden Europas Probleme sein"

07.10.2005
Der Schriftsteller Navid Kermani hat die Europäische Union aufgefordert, eine langfristige Lösung für afrikanische Flüchtlinge zu finden. Andernfalls käme es zu Situationen wie denen in den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla, sagte Kermani am Freitag im Deutschlandradio Kultur.
Die bisherigen Maßnahmen – wie Grenzzäune aufzubauen oder einige wenige Entwicklungshilfen zu schicken – würden nicht ausreichen. So müssten beispielsweise die Zölle für afrikanische Lebensmittel aufgehoben und die generellen Nachteile auf dem Weltmarkt beseitigt werden. Kermani wörtlich:

"Das zeigt sich in den letzten Tagen deutlich: Afrikas Probleme sind und werden immer mehr Europas Probleme sein. Natürlich gibt es das Dilemma, dass wenn Europa die Tore öffnen würde, noch viel mehr Menschen kommen würden. Aber umso entschlossener muss Europa versuchen, den Afrikanern eine Perspektive zu geben – dadurch, dass man die Afrikaner hinein nimmt in den globalen Wirtschaftskreislauf und die Zölle versucht zu beseitigen. Denn sonst kann das gar nicht gut gehen."

Kermani erklärte, die Wahrnehmung in Europa darüber, was die Probleme in der Welt seien, müsse sich ändern:

"Sind es wirklich die Probleme, über die wir in den letzten Monaten in Deutschland in allen Talkshows gesprochen haben? Oder ist es ein Problem wie die Verwüstung? Wenn die Entwicklung so weiter geht, dann sind 2025 zwei Drittel des bebauten Ackerlandes in Afrika verwüstet. Das heißt, da sind 170 Millionen Menschen zusätzlich auf der Flucht! Das sind die Dimensionen, über die wir sprechen."

Kermani verwies darauf, dass die Situation in Ceuta und Melilla erst eskalierte, nachdem die Europäische Union die marokkanische Regierung gedrängt habe, den Kampf gegen die illegale Einwanderung zu führen. Bis vor zwei bis drei Jahren hätten die Schwarzafrikaner trotz Illegalität unbehelligt in Marokko gelebt. Nun seien Abschiebungen in Form von Transfers in die Wüste Alltag.

"Sie werden an der marokkanisch-algerischen Grenze mitten in der Sahara 30 Kilometer entfernt vom nächsten Ort von den Ladeflächen der LKW weggescheucht. Und dann fährt man wieder weg. Und dann gehen die Flüchtlinge allesamt immer wieder zurück nach Marokko – das sind ungefähr 30 Kilometer Marsch durch die Wüste. Sie haben nichts in der Hand, kein Wasser, kein Essen. Eigentlich alle, mit denen ich gesprochen habe, haben diese Tortur, in der Wüste ausgesetzt zu werden, mindestens einmal gemacht."