Afrikas Bevölkerungswachstum

"Andere Zuwanderungspolitik gestalten"

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Der Leidensdruck auf dem afrikanischen Kontinent steigt: Flüchtlinge von der Elfenbeinküste warten in einem italienischen Lager. © dpa / Basil Wegener
Andreas Mehler im Gespräch mit Nana Brink · 30.07.2015
4,4 Milliarden Menschen werden Ende des Jahrhunderts auf dem afrikanischen Kontinent leben. Die meisten davon in großer Armut. Migrationspolitisch sei es besser, schon jetzt eine geregelte Zuwanderung nach Europa zu erlauben, bevor der Druck unerträglich werde, sagt Afrika-Experte Andreas Mehler.
Die Weltbevölkerung explodiert. Wieder einmal mussten die Vereinten Nationen ihre Prognosen korrigieren: Sie gehen jetzt von 9,7 Milliarden Menschen bis 2050 aus. Ein Großteil davon wird auf dem afrikanischen Kontinent leben – in größter Armut. Andreas Mehler, Direktor des GIGA-Instituts für Globale und Regionale Studien, fordert ein Umdenken in der Afrika-Politik westlicher Staaten.
Im Deutschlandradio Kultur sagte der Afrika-Experte, ein anhaltend hohes Bevölkerungswachstum und steigende Armut auf dem Kontinent erforderten eine andere Migrationspolitik, auch vor dem Hintergrund schrumpfender Bevölkerungszahlen in Europa: "Eine Antwort darauf ist, eine andere Zuwanderungspolitik zu gestalten und auch zu gestatten, anders mit Flüchtlingen aus Afrika umzugehen als bisher." Um Regelungen für eine legale Einwanderung komme Europa nicht herum, zumal nicht nur wirtschaftliche, sondern – Beispiel Eritrea, woher derzeit die meisten Flüchtlinge stammten – auch politische Gründe eine Rolle spielten.
Afrika braucht einen Mentalitätswandel
Zugleich bräuchten die Helfer-Staaten jedoch in Afrika als Ansprechpartner auch Meinungsführer, "die an einer anderen Zukunft ihre Kontinents Interesse haben". Das Prinzip "Hilfe zur Selbsthilfe", das auch von der deutschen Entwicklungshilfe propagiert werde, sei nicht grundsätzlich falsch, "aber der Mentalitätswandel muss eben tatsächlich auch vor Ort einsetzen. Man kann nicht einfach etwas diktieren und dann wird es schon passieren." Die besonders von Armut betroffenen Länder müssten von sich aus erkennen, dass "hohe Fertilitätsraten" ein Problem seien.
Schwierig sei es in vielen afrikanischen Ländern zudem, einen Strukturwandel weg von der reinen Agrarwirtschaft in ländlichen Gebieten hin zur Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft zu erreichen. Nur wenige Staaten wie etwa Nigeria hätten eine erhöhte Urbanisierung mit mehr Arbeitsmöglichkeiten für die Bevölkerung in den Städten erreicht – ohne damit lediglich einen Zuwachs an Slumgebieten zu erreichen.


Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Die Bevölkerung auf dieser Erde wächst – das wissen wir ja schon lange, aber sie wächst nicht gleichmäßig, und das wird zunehmend ein Problem, denn das Bevölkerungswachstum der Zukunft findet fast ausschließlich in Entwicklungsländern statt.
...
Der Kontinent Afrika steht also vor enormen Herausforderungen, nicht nur diese Menschen zu ernähren, auch genügend Arbeitsplätze und auch moderne Stätten zu schaffen. Und natürlich müssen wir daran ein Interesse haben, denn schon jetzt steigt ja die Zahl der Flüchtlinge aus Afrika, die nicht nur aus den Kriegsgebieten zu uns kommen, kontinuierlich an. Andreas Mehler ist Direktor des GIGA-Instituts für Afrika-Studien. Ich grüße Sie, Herr Mehler!
Andreas Mehler: Guten Morgen!
Brink: Wie erklären Sie sich diese Prognose für Afrika?
Mehler: Zunächst mal, ich würde sagen, es war schon auch zu sehen, dass an verschiedenen Stellen das nicht so funktioniert, wie man sich das gedacht hat mit Reduktion von Fertilitätsraten. Es ist eigentlich nicht so ganz überraschend, aber wenn man es jetzt in der geballten Form noch mal sieht, schon auch alarmierend. Und ich würde mal sagen, der Strukturwandel hat nicht eingesetzt, wie man sich erhofft hat in verschiedenen Entwicklungsländern. Wir haben weiterhin agrarisch geprägte Gesellschaften, wo offensichtlich doch das Gut, Kinder zu haben, besonders hoch gewertet wird, ohne darauf zu schauen, wie man die dann auch tatsächlich ernähren kann, wie tatsächlich auch Arbeitsplätze geschaffen werden können.
Von der Agrarwirtschaft zur Erdölindustrie?
Brink: Stichwort Strukturwandel, Sie haben es genannt: Die meisten Länder, gerade von den ärmsten, sind ja agrarisch geprägt. Wir haben ja immer gedacht, die Hilfe zur Selbsthilfe, gerade auch auf diesem Sektor, sei irgendwie der Königsweg. Ist das völlig falsch?
Mehler: Nein, das ist nicht völlig falsch, aber der Mentalitätswandel muss eben auch tatsächlich vor Ort einsetzen, man kann nicht einfach etwas diktieren und dann wird es schon passieren. Es ist ganz offensichtlich so, dass eine Reihe von den Ländern, die eben schon bisher die höchsten Fertilitätsraten hatten – und im Grunde aber weniger Aussicht, um dann auch dieses Bevölkerungswachstum aufzufangen, gerade Sahelländer, die jetzt vorhin nicht genannt wurden –, eben weiterhin in dieser Falle sitzen.
Brink: Also in der Sahelzone, meinen Sie.
Mehler: Ja. Wir haben ja auch besonders hohe Werte für Länder wie Niger oder Mali oder Tschad. Bei Tschad könnte man sagen, da könnte doch was passieren, die haben doch Erdöl, die könnten doch ihre Wirtschaft umbauen und was ganz anderes machen, aber das findet eben nicht statt. Erdöl ist da ja auch nicht der beste Faktor, weil es eben zu wenige Vermittlungen in andere Wirtschaftsbereiche schafft, wo man dann eine Industriegesellschaft oder wenigstens eine Dienstleistungsgesellschaft irgendwie aufbauen könnte. Und bei den beiden anderen genannten Ländern gibt es diese Voraussetzung eben auch nicht.
Kinder stehen auf einem Müllberg im Slum Kibera in Nairobi.
Viele Kinder in Kenia, so wie in dem Slum Kibera in Nairobi, leiden unter Armut und den Folgen sozialer Spannungen.© picture alliance / dpa / Carola Frentzen
Brink: Gibt es denn positive Beispiele oder Beispiele, wo Sie denken, ja, das könnte so etwas wie ein zukunftsweisendes Beispiel sein in einem Land?
Mehler: Ich finde, man sollte schauen, welche Staaten bei auch hoher Fertilität auch eine hohe Urbanisierungsrate haben. Es gibt ja durchaus ein paar Staaten, die hier genannt werden, die eine hohe Urbanisierungsrate haben. Also bei Nigeria ist es zum Beispiel relativ hoch, und der Hinweis darauf, dass die Menschen eben in die Städte gehen und dort möglicherweise etwas anderes machen als bisher. Und es ist die Frage, was machen vielleicht diese Staaten, möglicherweise aber eher die Städte, die das auffangen, besser, wenn es denn eben nicht nur ein Wachstum der Slums beinhaltet. Darauf sollte man, glaube ich, stärker achte – was machen also die großen Städte Afrikas, was macht Abidjan, Accra, Lagos, um Menschen sozusagen in Lohn und Brot zu setzen, und kann man dort auch ansetzen, um dort auch die Lebensbedingungen deutlich zu verbessern, also Städtebau, der etwas anders stattfinden muss, um Teil dieses Wachstums eben auch dort aufzufangen, denn in den agrarischen Gebieten wird es nicht funktionieren. Natürlich hoffen wir alle auf sowas, wie eine grüne Revolution in einzelnen afrikanischen Ländern, aber das wird keinen Beschäftigungsschub auslösen in der Landwirtschaft.
Brink: Ist ja auch vielleicht so eine romantische Vorstellung auf unserer Seite, und die große Frage ist ja, wie kann man diese Entwicklung, die Sie jetzt zum Beispiel angesprochen haben, also in Nigeria, in den großen Städten, denn wir können ja kein Interesse an weiterer Armutszuwanderung haben. Wie muss man da sich einklinken?
Mehler: Zunächst mal würde ich gerne einhaken bei dem, was Sie zuletzt gesagt haben: Wir können kein Interesse an Armutszuwanderung haben. Ich denke schon, einen Teil dieser Problematik, die werden wir auffangen müssen und es ist vielleicht auch gar nicht falsch, wenn man jetzt die Zahlen anschaut, ist es ja so, dass Europa schrumpfen, also ein Teil der Antwort ist durchaus auch, eine andere Zuwanderungspolitik zu gestalten und auch zu gestatten und anders mir Flüchtlingen umzugehen aus Afrika als bisher. Aber das ist wahrscheinlich nur ein Teil davon.
Migranten nach Europa holen
Brink: Also eine legale Einwanderung.
Mehler: Ich denke, da kommen wir nicht drum rum. Es ist eine vielteilige Antwort, ganz bestimmt, die man braucht. Neben den rein wirtschaftlichen Zwängen gibt es natürlich auch Gründe, aus politischen Gründen sein eigenes Land zu verlassen. Wenn Sie daran denken, dass der größte Anteil von Afrikanern, die im Moment nach Europa kommen, aus Eritrea stammen, dann ist relativ klar, dass an dieser Stelle auch politische Repression eine große Rolle spielt. Also müssen wir auch weiterhin daran ein Interesse haben, eine eher normgeleitete Afrikapolitik zu haben und auf Demokratie, auf Menschenrechte zu drängen, denn die Lebensbedingungen sind nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen schlecht und zwingen Leute zur Migration.
Und außerdem würde es dazu führen, wenn wir mehr Demokratie hätten, hätten wir vielleicht auch etwas mehr zivilgesellschaftliches Engagement und überlegen über die eigene Zukunft, denn sehr oft muss man leider sagen, ist es ja so, dass dieses Hoffen auf eine Lösung aus dem Ausland daraus erwächst, dass man eben selbst nicht nachdenken darf, nachdenken kann und offen aussprechen kann, und wir brauchen auch diese Meinungsführer in Afrika, die an einer anderen Zukunft ihres Kontinentes ein Interesse haben als was man im Moment so erlebt.
Brink: Vielen Dank, Andreas Mehler, Direktor des Deutschen Instituts für Afrikakunde am GIGA-Institut! Danke für das Gespräch!
Mehler: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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