Afrikanische Gegenwartskunst

Wie man anderen die Augen öffnet

Reisversorgung auf einem Markt in der Demokratischen Republik Kongo.
El Hadji Sy kombiniert seine Kunstobjekte mit Materialien von Alltagsgegenständen wie Reis- oder Kaffeesäcken. © picture alliance / dpa / Mika Schmidt
Von Rudolf Schmitz · 03.03.2015
Das Weltkulturenmuseum in Frankfurt/Main wagt eine ungewöhnliche Ausstellung. Sie zeigt die Kunstsammlung wie auch eigene Werke des Senegalesen El Hadji Sy, der sich als Maler und Politaktivist versteht.
Seit 1985 hat El Hadji Sy, Künstler und Kurator aus dem Senegal, afrikanische Gegenwartskunst für das Frankfurter Völkerkundemuseum gesammelt. Jetzt stellt das Weltkulturenmuseum, wie es inzwischen heißt, seine Werke gemeinsam mit Objekten der Sammlung aus. Könnte man vielleicht merkwürdig finden. Als ginge es hier um eine Gefälligkeit. Doch Clémentine Deliss, Direktorin des Frankfurter Museums, sieht das anders:
"Ich mache keine Ausstellung mit einem Künstler aus Afrika, weil das jetzt besonders modisch geworden ist, überhaupt nicht. Er ist nicht eingeladen worden, weil er ein guter Künstler und Kurator ist, sondern weil er eine inhärente Beziehung hat zur Entwicklung dieses Museums."
Kunstsammeln als Pioniertat
1985 war es noch eine Pioniertat, zeitgenössische afrikanische Kunst zu sammeln. Denn erst nach dem sogenannten "Global Turn", dem Fall der Mauer und der Auflösung der Machtblöcke, gerieten sowohl osteuropäische als auch afrikanische Gegenwartskunst in den Blick von Museen und Ausstellungsmachern. Das Frankfurter Weltkulturenmuseum hat heute eine Sammlung von 3000 Werken, El Hadji Sy und der Darmstädter Sammler Friedrich Axt haben einen Großteil davon zusammengetragen. Der Afrikaner, 1954 in Dakar geboren, ist ein rebellischer Geist. Er malt mit den Füßen, um gegen die europäische Bildtradition zu protestieren, er bringt seine Farben auf Reis- und Kaffeesäcke, er produziert Fahnen, Paravents und bemalt Drachen, die seine Farben in den Himmel tragen.
El Hadji Sy: "I always say I try to be in painting. Not to have distance between the painting and me, for me art can be anywhere, even in the body, in the wall, in the floor."
Mittendrin zu sein in der Malerei, das ist ihm wichtig. Und die kann überall sein: im Körper, auf der Mauer, auf dem Boden. Doch die Bilder und Bildobjekte dieses Politaktivisten aus dem Senegal stehen nicht allein. El Hadji Sy hat ethnologische Objekte aus Afrika und Papua Neu-Guinea dazu kombiniert. Um sie wieder zum Leben zu bringen, sagt er. Im Frankfurter Weltkulturenmuseum ist dieser künstlerisch kommentierende Umgang mit ethnologischen Objekten seit Langem Teil einer musealen Neufindung.
Alltagsgegenstände in neuem Licht
Clémentine Deliss: "Er wollte alltägliche Objekte, die eine eindeutige Funktion haben: Stühle, ein Bett, eine Leiter, ein Topf, ein Hut, ein paar Schuhe. Und in verschiedenen Räumen stellt er diese Objekte in Dialog mit seiner Arbeit, die sehr oft mit alltäglichen Materialien einen Bezug hat, zum Beispiel Reissäcke, Kaffeesäcke und so weiter. Oben hat er Hocker aus dem Sepik auf einem Bild von ihm platziert. Er fühlt sich als Künstler absolut berechtigt, die Elemente des gelagerten Wissens von anderen Künstlern neu zu bewerten. Und das ist ganz anders als eine ethnologische Interpretation."
In einem der Räume zeigt El Hadji Sy eine Vitrine mit afrikanischen Holzskulpturen, umgeben von seiner Malerei. Ihm war aufgefallen, dass alle Skulpturen geschlossene Augen haben. Für ihn nicht nur ein Zeichen der inneren Vision, sondern auch der kolonialen Demütigung.
El Hadji Sy:"That is one of the point of focus that interested me: how to make them again open the eyes."
Wie kann ich sie dazu bringen, die Augen wieder zu öffnen, fragt sich El Hadji Sy. Vielleicht durch meine grellen Farben? Und wenn der afrikanische Künstler Hocker der Sepik aus Papua-Neuguinea auf eines seiner Bodenbilder stellt, auf dem verschwommene Gesichter zu entdecken sind, so diskutiert er damit die Frage der Anonymität vieler ethnologischer Objekte. Wer hat sie gemacht? Das interessierte die Ethnologie lange nicht. El Hadji Sy stellt diese Frage. Die Art und Weise kann man naiv finden. Doch die Problematisierung der herkömmlichen Ethnologie kommt inzwischen aus vielen Richtungen. Und Clémentine Deliss hält einen neuen Zugang, nicht nur aus dem Blickwinkel der zeitgenössischen Kunst, für entscheidend. Damit die ethnologischen Museen wieder im Leben ankommen.
Clémentine Deliss: "Wenn man sich überlegt, dass es Millionen von Objekten gibt in den ethnologischen Museen in Deutschland, dann ist ein interdisziplinärer Zugang absolut notwendig. Heute sind wir in eine andere Periode angekommen die Objekte könne von Juristen angeschaut werden, von Modedesigner, und selbstverständlich von Schriftstellern, Filmemachern, von Biologen, von Ökologen, und auch von Künstlern. Das ist nicht eine Verwässerung des wissenschaftlichen Approach, im Gegenteil, es ist eine absolut notwendige Reenergisierung."
Revitalisierung, Neuinterpretation, Abschütteln der Anonymität, Klärung der Herkünfte – eine gewaltige Aufgabe für die Ethnologie. Das Weltkulturenmuseum in Frankfurt stellt sich der Herausforderung. Diesmal mit Hilfe eines Künstler-Kurators aus dem Senegal.
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