Afrikaner in Spanien

Kein Geld mehr für zu Hause

15:08 Minuten
Eine Gruppe junger Leute mit Käppis und buntem Mundschutz posieren auf einer Straße für die Kamera.
"Die Menschen sind sehr dankbar." – Junge Leute bringen Corona-Carepakete bedürftigen Afrikanern in Madrid. © Marc Dugge, ARD-Studio Madrid
Von Marc Dugge und Dunja Sadaqi · 03.06.2020
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Jedes Jahr schicken Afrikaner, die im Ausland leben, Milliardensummen nach Hause. Vor allem in Spanien ist dieser Geldtransfer wegen der Corona-Ausgangssperren unterbrochen. Das führt nun zu großen Problemen, wie das Beispiel Senegal zeigt.
"Chicos de la farola" heißen sie in Spanien, die "Jungs von der Straßenlaterne": Die jungen Afrikaner, die an den Supermärkten die Tür aufhalten oder Taschentücher verkaufen. Sie haben harte Wochen hinter sich. Genauso wie die fliegenden Händler, die gefälschte T-Shirts oder Handtaschen anbieten.
"Es ist eine sehr schwierige Situation. Die wirtschaftliche Lage von uns Migranten war schon vor Covid 19 prekär. Jetzt ist es noch schlimmer geworden. Ein Migrant hat in der Regel kein Geld auf dem Bankkonto. Seinen Lohn hat er schon ausgegeben, bevor er ihn überhaupt bekommen hat. Denn er hat finanzielle Verpflichtungen – hier wie im Senegal."
Mitarbeiter des Roten Kreuzes mit Atemschutzmasken empfangen aus Seenot gerettete Migranten am Hafen von Málaga.
Mitarbeiter des Roten Kreuzes mit Atemschutzmasken empfangen aus Seenot gerettete Migranten am Hafen von Málaga.© Picture Alliance / NurPhoto / Gulliaume Pinon
Ndiawar Seck ist Musiker aus dem Senegal. Mit gut 50.000 Menschen stellen seine Landsleute den größten Anteil an afrikanischen Einwanderern in Spanien – von Marokkanern und Algeriern einmal abgesehen.

Das Geld reicht kaum, um etwas nach Hause zu schicken

Seck lebt in einem Vorort von Madrid. Anders als viele seiner Landsleute kann er sich eine Wohnung leisten. Bei manchen reicht das Geld kaum dafür, Medikamente oder Atemschutzmasken zu kaufen – geschweige denn, noch Geld in die Heimat zu schicken. Das sei für viele dieser Tage besonders schlimm, sagt Seck:
"Wir Senegalesen machen uns auf die Reise, um der Familie zu helfen – wir tun das nicht für uns selbst! Umso schlimmer ist es, kein Geld mehr zu haben, dass Du an Deine Angehörigen schicken kannst. Jeder leidet darunter: Der Großvater, die Mutter ebenso wie die Kinder. Jeder. Das ist eine Last, die auf unseren Schultern liegt."
"Das ist eine Gemüsesuppe, mit Kartoffeln, Karotten und Bohnen", sagt die Frau an der Essensausgabe der Kirchengemeinde San Ramón im Madrider Arbeiterviertel Vallecas. Der Rentner Alberto Velo arbeitet hier als Freiwilliger. Vor der Coronaepidemie haben wir hier 250 Menschen am Tag empfangen, sagt er. Heute seien es fast 1000.
"Vorher haben wir uns vor allem um Menschen gekümmert, die auf der Straße leben. Jetzt kommen Bedürftige, die bisher mehr oder weniger gut für sich sorgen konnten. Sie arbeiteten als Selbständige, als Maler oder Elektriker, oder sie waren in der Schattenwirtschaft tätig. Jetzt können rund 90 Prozent der Selbständigen nicht mehr arbeiten. Und die, die etwa Wohnungen geputzt oder sich um Senioren gekümmert haben, können nicht mehr zur Arbeit gehen. Ihre Einkünfte liegen bei Null."
Coronavirus und Ausgangssperren in Spanien: Sicherheitskräfte auf den leeren Straßen Madrids.
Spanien hatte eine der strengsten Ausgangssperre weltweit - Keine Chance auch für Afrikaner, ihren Jobs nachzugehen.© picture alliance / AFP7
In der Schlange vor der Essensausgabe stehen Senegalesen, Marokkaner, Spanier und viele Menschen aus Lateinamerika. Angela und Dalia sind vor zwei Jahren aus Peru nach Spanien gekommen. Sie haben keine Aufenthaltsgenehmigung, daher können auch sie keine staatliche Unterstützung bekommen. Ihnen bleibt nur der Gang zur Armenküche. Sie sind heute zum ersten Mal hier.
"Wir haben beide früher als Haushaltshilfen gearbeitet und auf die Kinder aufgepasst. Aber die Schule fällt ja weiterhin aus, jeder ist zu Hause – deswegen braucht man uns jetzt nicht. Wir versuchen, uns gegenseitig zu helfen und hoffen, dass die Krise bald vorüber ist."
Die Hungerschlangen werden jedenfalls immer länger, sagt Kiko Lorenzo von der kirchlichen Hilfsorganisation Caritas. Die Zahl der Bedürftigen sei in den Diözesen deutlich gewachsen – in Ballungsräumen wie Madrid oder Barcelona sogar um fast 70 Prozent:
"Das ist ein Zuwachs, der zu der ohnehin schon hohen Auslastung dazukommt. Unsere Ressourcen stoßen damit an ihre Grenzen – die materiellen wie auch die personellen Ressourcen. Denn das bedeutet eine große Belastung für die Mitarbeiter und für die Freiwilligen, körperlich und emotional."

Keine baldige Entspannung in Sicht

So bald dürfte sich die Situation allerdings nicht entspannen: Die spanische Zentralbank rechnet damit, dass die spanische Wirtschaft in diesem Jahr zwischen neun und zwölf Prozent schrumpfen könnte. Die Zahl der Arbeitslosen dürfte damit im Laufe des Jahres weiter deutlich ansteigen. Der freiwillige Helfer Alberto Velo glaubt daher, dass die Schlange an der Essensausgabe nur der Anfang ist:
"Heute kommen die Menschen, um Dich um Essen zu bitten. Aber morgen werden sie sagen, dass sie nicht mehr für ihre Miete aufkommen können. Das ist ein Problem: Essen kannst Du von verschiedenen Organisationen bekommen. Aber wer gibt Dir schon 300 Euro, um Deine Miete zu bezahlen?"
Eine Frau mit buntem Mundschutz und Kopftuch sitzt in Arbeitskleidung an einem Tisch.
"Es werden immer mehr" - Nicole Ndongala arbeitet für die Organisation Karibu, die bedürftigen Afrikanern in Madrid hilft.© Marc Dugge, ARD-Studio Madrid
90 Prozent der Menschen hier könnten sich mit ihren Einkünften allenfalls ein Zimmer leisten, sagt Velo. Einen Mietvertrag hätten die wenigsten. Das Problem ist auch Nicole Ndongala gut bekannt. Sie arbeitet für die Organisation Karibu, die sich für Afrikaner in Madrid einsetzt. Viele von ihnen lebten in schwierigen Wohnverhältnissen, erzählt Nicole. Das mache ihnen in der Ausgangssperre besonders zu schaffen:
"Es ist für viele schon ein Luxus, überhaupt ein Fenster zu haben. Viele konnten während dieser Krise nicht einmal das Tageslicht sehen! Manche haben nur ein Zimmer gemietet, sie dürfen nicht einmal die Küche oder das Wohnzimmer mitbenutzen."
In solchen Fällen spricht Nicole mit den Vermietern, ob sich nicht eine Lösung finden lässt. Oder auch, wenn Bewohner mit ihrer Miete im Rückstand sind. Vor allem hilft ihr Verein aber jenen, die sich momentan noch nicht einmal das Nötigste leisten können. Und das werden immer mehr.
Ein enger Lagerraum vollgestopft mit Lebensmittelkartons unter anderem gefüllt mit vielen Tomaten.
Coronafolgen - wegen der Ausgangssperre können Lebensmittel nicht abgeholt werden, sondern müssen geliefert werden.© Marc Dugge, ARD-Studio Madrid
Nicole Ndongala zeigt den Lagerraum, in dem sich Kartoffelsäcke und Packungen mit Tomatensauce stapeln. In normalen Zeiten kommen Bedürftige vorbei, um sich Lebensmittel abzuholen. Doch wegen der Ausgangssperre können sie das derzeit nicht. Deswegen bringen Schüler wie Sole jetzt die Carepakete zu den Familien – auch an Wochenenden:
"Wir laden die Autos voll, jedes beliefert zwei, drei Familien. Wir rufen die Leute an, sie kommen vor die Tür und nehmen die Sachen entgegen. Die Menschen sind sehr dankbar, ihre Lage ist sehr schlecht."

Schüler und Rentner helfen mit

Sole und ihre Freunde haben gerade viel Zeit, denn die Schule ist geschlossen. Also können sie ebenso gut mit anpacken. Ihre bunten Atemschutzmasken sind aus afrikanischen Stoffen genäht, das Geschenk einer Kollegin von Nicole. Sie tragen sie stolz wie eine Uniform. Auch Brunhilde Rygiert trägt eine. Die Rentnerin hat am Morgen mehrere Supermärkte durchkämmt, um die Preise für Windeln zu vergleichen. Wo sie am billigsten waren, hat sie zugeschlagen. Auch sie packt mit an – und auch sie hat ihre Freunde dazu animiert, zu helfen:
"Manche kaufen ein und ich hole nur die Taschen ab, manche geben mir auch Geld, weil sie keine Zeit haben. Ich frage jeden Morgen Nicole, was sie heute braucht. Und dann kaufe ich gezielt die Produkte ein, die die Familien brauchen."
Zwei junge Mädchen mit buntem Mundschutz und Kopfbedeckung.
Sole (l) und ihre Freunde können mithelfen, denn die Schule ist noch geschlossen.© Marc Dugge, ARD-Studio Madrid
Die Afrikaner seien auf solche privaten Initiativen angewiesen, sagt der Musiker Ndiawar Seck.
"Wir Migranten fühlen uns alleingelassen", sagt er. Alleingelassen etwa von der Regierung des Senegal. Sie habe in der Coronakrise versprochen, den Landsleuten im Ausland zu helfen, sagt Seck. Angekommen sei nie etwas. Dabei verdankt das Land seinen Söhnen und Töchtern im Ausland ziemlich viel.

Die Hilfe für den Senegal ist blockiert

Februar. Das sagt der Überweisungsbeleg. Da hat Tidiane Kontes Bruder das letzte Mal Geld geschickt. Konte, ein 56-Jährige Vater aus Senegals Hauptstadt Dakar, ist auf die Hilfe seines Bruders angewiesen. Er selbst ist arbeitslos. Sein Bruder arbeitet in Spanien als Landarbeiter.
"Er ist derjenige, der uns mit dem Alltäglichen versorgt. Wasserrechnung – das macht er. Elektrizität, Schulsachen für die Kinder. Und sogar, wenn die Kinder krank werden, ist er derjenige, den ich für Hilfe anrufe. Aber das ist jetzt alles blockiert."
Selbst Lebensmittel einkaufen, hat sich verändert, erzählt Konte.
"Unser Leben ist jetzt eingeschränkt. Einige Dinge können wir uns jetzt nicht mehr leisten – Milch für die Kinder, Kekse, Fisch. Auch Fleisch ist zu teuer."
Ähnlich geht es Fatou Sarr. Die 28-Jährige ist Hausfrau aus Thiés, im Landesinneren, circa eine Autostunde von der Hauptstadt entfernt. Ihr Mann arbeitet in Barcelona, erzählt sie.

"Seid die Pandemie Spanien erfasst hat, ist er arbeitslos. Das Restaurant, in dem er gearbeitet hat, hat geschlossen. Durch die Ausgangssperre war er in seinem Zimmer blockiert. Er hat gut zwei Monate nichts mehr geschickt, obwohl er die Familie ernährt. Mit den schwierigen Verhältnissen hier im Land zählen ich und seine Eltern eigentlich auf ihn."

"Wir haben hier keine Überweisungen mehr"

Diese Veränderung hat auch Bassirou Touré bemerkt. Er besitzt einen Shop in Dakar, in dem man sich das Geld auszahlen lassen kann, das die Angehörigen aus Europa schicken. Hier kommt eigentlich fast täglich Kundschaft vorbei. Eigentlich.

"Wir haben hier keine Überweisungen mehr, auch keine, die aus dem Ausland kommen. Manchmal muss ich ungedeckte Überweisungen sogar stornieren, die eigentlich schon getätigt wurden."
Senegalesen mit Atemschutzmasken beim Einkaufen auf einem Markt in Dakar.
Auf einem Markt in Dakar, der Hauptstadt des Senegal, warten Menschen auf das Geld aus Europa © AFP / John Wessels
Solche Geldtransfer-Shops boomen eigentlich in Afrika, obwohl Transferdienstleister wie beispielsweise das US-Unternehmen Western Union und Banken hohe Gebühren für Überweisungen verlangen. Von sogenannten Rücküberweisungen der Diaspora hängen im Senegal Tausende Haushalte ab. Auch wenn der westafrikanische Staat zu einem der stabilsten der Region gehört, leben hier rund 40 Prozent der Menschen von weniger als 1,75 Euro pro Tag. Viele halten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Durch die Coronamaßnahmen sind etliche dieser Jobs weggefallen.

Die Unterstützung der Diaspora als effektive Helferin

Umso nötiger wird die Unterstützung der Diaspora gebraucht. Gerade in Krisenzeiten ist sie eine effektive Helferin. In einigen armen Ländern machen Rücküberweisungen teilweise ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes aus. Auch für den Senegal sind sie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, erklärt Babacar Bâ. Er ist in Senegals Regierung für Auslands-Senegalesen zuständig.

"2019 hat die afrikanische Diaspora laut der Weltbank ungefähr 85,2 Milliarden US-Dollar auf den Kontinent geschickt. Das meiste geht nach Nigeria, Ägypten, Marokko, Ghana, Kenia und Senegal. Im Senegal machen sie rund 2,5 Milliarden US-Dollar aus – das sind 10,5 Prozent unseres Bruttoinlandsproduktes. Damit trägt die Diaspora auch zur Armutsbekämpfung bei."

Auf die Diaspora sei Verlass, sagt Bâ. Seit Jahren schickten immer mehr Menschen Geld in die alte Heimat.

"Seit einigen Jahren sinken die Entwicklungshilfezahlungen und tun das auch weiterhin. Auslandsinvestitionen sinken oder stagnieren, gleichzeitig steigen die Rücküberweisungen der Diaspora bis zu diesem Tage und werden sogar doppelt so hoch sein wie die Entwicklungshilfezahlungen."

Rücküberweisungen als Krisenversicherung

Experten sagen: Gerade in kleineren Ländern wie dem Senegal, aus denen verhältnismäßig viele Menschen emigrieren, spielen Rücküberweisungen eine entscheidende Rolle. Sie seien wie eine Krisenversicherung, sagt der staatliche Berater Babacar Bâ.

"Ihre Überweisungen sind gezielt für den Verbrauch im Haushalt ausgerichtet. Die Diaspora finanziert die Haushalte weitaus mehr als der Staat selbst. Die Familien, die die Überweisungen erhalten, erhöhen dadurch automatisch ihre Ausgaben. Und damit ist das ein Faktor, der zur Stabilität beiträgt und zur Reduzierung von Armut bei und das hilft extrem."

In schlechten Zeiten – zum Beispiel bei Naturkatastrophen oder wenn die Ernte schlecht ausfällt – halten Rücküberweisungen vor Ort den Konsum von Nahrung, Kleidung und Bildung konstant. Das kann im Senegal, wo über 60 Prozent der Menschen in der Landwirtschaft arbeiten, entscheidend sein. In Notsituationen steigen üblicherweise die Rücküberweisungen. Und das macht Senegals Diaspora auch immer einflussreicher. Der Senegal ist eines von wenigen afrikanischen Staaten, der seiner Diaspora politisch Gewicht zukommen lässt.
Der Wartebereich des Pikine Hospitals im senegalesischen Dakar ist unter freiem Himmel und lässt den Patienten Raum, um die Regeln des Social Distancing einzuhalten.
Auch im Senegal wachsen die Zahlen der mit COVID-19 Infizierten langsam an. Gerade jetzt ist das Land umso mehr auf finanzielle Unterstützung durch seine Diaspora angewiesen.© AFP / John Wessels
"Senegals Regierung hat 15 Abgeordnete installiert, die die Interessen der Diaspora vertreten und auch von ihr gewählt werden. Das heißt, sie sitzt im Parlament und ist auch in allen wichtigen Institutionen der Republik vertreten. Damit erkennt der Staat die enorme Bedeutung der Diaspora an, die an zahlreichen Entwicklungsbemühungen ihren Anteil hat."

Unterstützung könnte 2020 um 30 Prozent schrumpfen

Der Löwenanteil dieser Überweisungen kommt aus Spanien, Frankreich, Italien. Alles Länder, die besonders hart von der Pandemie betroffen sind – und damit auch die dort lebenden Migranten, die Geld schicken könnten. Senegals Finanzministerium geht davon aus, dass die Rücküberweisungen 2020 deshalb um gut 30 Prozent schrumpfen könnten. Das stellt vor allem viele einkommensschwache Haushalte im Senegal vor große Probleme. Wie den von Tidiane Konte, dessen Bruder in Spanien lebt.

"Ich wünsche mir, dass wir einen Impfstoff finden und wenn nicht, dass die Ausgangssperren in Europa zumindest gelockert werden, damit mein Bruder arbeiten kann. Er ist der Brotverdiener in der Familie. Alles, was wir hier haben, verdanken wir ihm – Trinken, Essen – das ist alles er."

Senegals Regierung hat angekündigt, rund 20 Millionen Euro während der Pandemie als Hilfe für Migranten, die im Ausland arbeiten, zur Verfügung zu stellen. Aus Europa hört man: Viele haben davon bis heute noch nichts gesehen.
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