Afrikafeldzug

Vorstoß in das optische Vakuum

Eine der Fotografien von Matthew Arnold - hier: ein ehemaliger Weltkriegsbunker nach einem Sandsturm
Eine der Fotografien von Matthew Arnold - hier: ein ehemaliger Weltkriegsbunker nach einem Sandsturm © © MATTHEW ARNOLD PHOTOGRAPHY
Von Carsten Probst · 28.01.2014
Von den Kriegsschauplätzen des 2. Weltkrieges ist in Nordafrika heute kaum mehr etwas zu sehen. Der New Yorker Fotograf Matthew Arnold ist trotzdem fündig geworden und hat in der tunesischen und libyschen Wüste vergessene Orte fotografiert.
Auch unter historischen Kriegsschauplätzen gibt es Stars – regelrechte Publikumsmagneten wie aktuell die großen Schlachtfelder des 1. Weltkriegs. Andere, nicht weniger erschütternde Orte, sind hingegen in Vergessenheit versunken. Ein gutes Beispiel sind die Schlachtfelder des Zweiten Weltkriegs in Nordafrika. Außer El-Alamein, jenem Wüstenflecken, der die entscheidende Wende zugunsten der Westalliierten gegen den deutschen Nordafrika-Feldzug unter Erwin Rommel markierte, und allenfalls noch dem libyschen Hafenstädtchen Tobruk gibt es hier kaum noch Orte, an die man sich erinnert. Es gibt keine Reiseführer dorthin, nicht einmal aktuelle Karten, geschweige denn speziell ausgezeichnete Wanderrouten, Themenhotels, Restaurants, Panoramamuseen, künstlich aufgeschüttete Feldherrenhügel oder Gedenkstätten und das ganze sonstige Brimborium des Militärgeschichtstourismus.
Schlachtfeld im Nirgendwo
Dafür gibt es natürlich Gründe: Viele dieser Schlachtfelder liegen buchstäblich im Nirgendwo, teilweise in aktuellen Krisenregionen, in der tunesischen, libyschen und ägyptischen Wüste; oft führen nur Kamelpfade dorthin, und das Klima tut ein Übriges. Wenn es noch sichtbare Stellungen, Gräben oder Bunker gibt, haben Sandstürme sie in siebzig Jahren weitgehend der Landschaft angeglichen.
Als sich der 1972 geborene US-Fotograf Matthew Arnold im Jahr 2008 erstmals in der ägyptischen Wüste auf die Suche nach solchen vergessenen Topografien machte, hatte er berechtigte Zweifel, dass er überhaupt etwas finden würde. Mithilfe von Steven Hamilton, einem Militärhistoriker und Experten für die nordafrikanischen Fronten des Zweiten Weltkriegs, gelang es, anhand alter Militärkarten die einstigen Truppenbewegungen auf das heutige Terrain zu übertragen. Landschaftliche Merkmale – Höhenzüge, Meeresbuchten – erleichterten die gezielte Suche am Ort. Plötzlich begannen sich aus unförmigen Steinhaufen, sandigen Plateaus, Bodenwellen, versandeten Flussläufen die Überreste einer historischen Szenerie herauszubilden.
Auf den insgesamt 79 farbigen Bildtafeln dieses Bandes zeigt Matthew Arnold behutsam mit einer Großbildkamera fixierte Landschaftsansichten, die vor dem Auge des Betrachters gleichsam eine Metamorphose vom Unsichtbaren zu mehr oder weniger vorstellbaren Bühnen militärischer Gewalt durchlaufen.
Thematisierung des Nicht-Sichtbaren
Es ist ein Experiment. In ihm vereint Matthew Arnold die Tradition amerikanischer Landschaftsfotografie mit einer archäologischen und geografischen Recherche. Aber anders als etwa Paul Virilio, der in seiner "Bunker-Archäölogie" in den siebziger Jahren die Überreste deutscher Befestigungen an der französischen Atlantikküste typologisch aufarbeitete, besteht die Spezialität von Arnolds Projekt gerade in der Thematisierung des Nicht-Sichtbaren. Mitunter werden Fundstücke präsentiert, Geschosshülsen, Handgranaten, alte Bunkerfundamente, wie zur Beglaubigung für den Betrachter, ja für den Fotografen selbst, dass das Geschehen tatsächlich und hier stattgefunden hat, so, als ob man es andernfalls kaum glauben könnte.
Mit ihrem Vorstoß in dieses optische Vakuum, in dem sich Geschichte kaum mehr sinnlich erfahren, sondern nur noch als bloße Imagination zeigen lässt, gewinnt Arnold der Fotografie historischer Orte eine neue Dimension ab: Keine heroisierende, wie es angesichts des Themas vielleicht naheliegen würde, aber auch keine kühl analysierende, wie bei Virilio. Das Vergessen, das sich so sichtbar über diese Orte gebreitet hat, scheint das Schicksal der Menschen, die hier kämpften und starben, fast noch unmittelbarer heraufzubeschwören.

Matthew Arnold: "Topography Is Fate"
Kehrer Verlag Heidelberg/Berlin, 2013
176 Seiten, 79 Farbabbildungen, 48,00 Euro

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