"Afghanistan sieht heute völlig anders aus als noch vor zehn Jahren“

Michael Steiner im Gespräch mit Marcus Pindur · 07.10.2011
Zehn Jahre nach Beginn des Afghanistaneinsatzes sind Korruption und Terroranschläge noch immer Normalität im Land. Nach Ansicht des Sonderbeauftragten der Bundesregierung, Michael Steiner, habe sich dennoch viel verändert: vor allem bei der Infrastruktur, der Ausbildung und der medizinischen Versorgung.
Steiner sagte, es gebe keine militärische Lösung für den Konflikt. Dies gelte auch für die Aufständischen, die wüssten, dass sie ihre Ziele ebenfalls nicht militärisch erreichen könnten. Der Sonderaufbeauftragte machte deutlich, dass das Hauptziel des vor zehn Jahren begonnenen Afghanistan-Einsatzes, dem internationalen Terrorismus dort keinen Unterschlupf mehr zu bieten, erreicht worden sei. Außerdem solle man bei aller berechtigten Kritik nicht übersehen, dass sich in Afghanistan einiges verändert habe.

Marcus Pindur: Vor zehn Jahren hat eine internationale Truppe, ausgestattet mit einem UNO-Mandat, mit dem Angriff auf die Taliban begonnen. Die religiösen Extremisten regierten Afghanistan, sie hatten der Al Kaida Unterschlupf gewährt. Die Anschläge des 11. September wurden aus Afghanistan heraus dirigiert. Die Al Kaida wurde vertrieben, aber manche demokratischen Blütenträume sind trotzdem nicht in Erfüllung gegangen: Korruption, Stammesdenken, Terroranschläge halten Afghanistan in einer Art Situation prekärer Normalität. Die westlichen Truppen sollen bis 2014 abziehen, dass die Afghanen dann selber für ihre Sicherheit sorgen können, ist bislang nur eine Hoffnung. Wir sind jetzt verbunden mit dem Sonderbeauftragten der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan Michael Steiner. Guten Morgen, Herr Steiner!

Michael Steiner: Guten Morgen, Herr Pindur!

Pindur: Wenn Sie mal rückblickend Bilanz ziehen, zehn Jahre nach dem Beginn des Krieges: War es richtig, in diesen Krieg zu ziehen?

Steiner: Ohne Zweifel war es richtig, ich glaube, das war damals erforderlich, auch aus Solidarität mit unseren Verbündeten, den Vereinigten Staaten, und wir haben ja auch unser Hauptziel erreicht: Der internationale Terrorismus ist zunächst mal, hat zunächst mal keine Unterschlupfchance mehr in Afghanistan, das ist ja das Hauptziel gewesen. Außerdem haben wir durchaus eine Reihe von Dingen verändert in Afghanistan, und das soll man bei aller Kritik, die ja durchaus auch ihre Berechtigung hat, nicht übersehen. Wir haben eine ganz andere Infrastruktur, wir haben eine andere Ausbildungssituation, wir haben eine andere medizinische Situation. Afghanistan – das wird Ihnen jeder Afghane bestätigen – sieht heute völlig anders aus als noch vor zehn Jahren.

Pindur: Das ist das eine, das andere ist, dass auch noch vieles getan werden muss. Aber vieles kann auch nur geschehen, wenn die Afghanen auch in die Lage versetzt werden, für ihre Sicherheit selber zu sorgen, und eine große Rolle dabei sollte spielen, dass man mit den Taliban irgendwie in Gespräche kommt und irgendwie zu einer politischen Lösung kommt. Das scheint aber mittlerweile in weite Ferne gerückt, der Politiker Rabbani, der Vorsitzende des Rates, der mit den Taliban verhandeln sollte, wurde ermordet. Was heißt das denn für die Zeit nach dem Abzug der ausländischen Truppen?

Steiner: Also Sie haben vollkommen recht, die Ermordung von Professor Rabbani war ein Rückschlag, aber Präsident Karzai hat mir noch am Tag des Anschlags selbst in New York gesagt, zum Versöhnungsprozess gibt es keine Alternative und wir müssen selbstverständlich weiterhin auf eine innerafghanische Versöhnung setzen, und das sieht auch die verantwortliche Führung so. Das hat auch weiterhin eine Chance, denn übersehen Sie nicht: Es ist zwar wahr, dass es keine militärische Lösung geben wird in Afghanistan. Dies gilt aber auch für die Aufständischen, auch diese wissen, dass sie militärisch ihre Ziele nicht erreichen können, und das heißt, dass wir einen Versöhnungsprozess brauchen.

Erlauben Sie mir auch noch zu sagen: Sie haben ganz zu Recht darauf hingewiesen, dass ein entscheidender Punkt sein wird, dass nach 2014 die afghanischen Sicherheitskräfte in der Lage sind, die Sicherungsaufgaben selbst zu übernehmen, und das ist ein ganz entscheidender Punkt. Das heißt, dass wir in den verbleibenden dreieinhalb Jahren die Ausbildung voranbringen, so voranbringen müssen, dass sie tatsächlich in der Lage sind und dass das dann auch nach 2014 in der Ausbildung weitergeht.

Pindur: Auf der Londoner Afghanistan-Konferenz Anfang 2010 hat man beschlossen, ein Programm zur Abwerbung von Talibankämpfern auf die Beine zu stellen. Deutschland tut in diesen Topf dafür jährlich 50 Millionen Euro. Wie viele Talibankämpfer hat man denn tatsächlich bislang abwerben können?

Steiner: Dieses Programm ist in der Erfüllung besser als das, was wir erwartet haben. Wir haben bisher ungefähr 2500 ehemalige Kämpfer integriert und eine ganze Reihe stehen auch noch an. Lassen Sie mich darauf hinweisen: Die 50 Millionen erstrecken sich auf einen Zeitraum von fünf Jahren, aber in der Tat ist Deutschland drittgrößter Beteiligter, finanziell Beteiligter. Alle Beteiligten sind eigentlich sehr zufrieden mit dem Verlauf bisher.

Pindur: Herr Steiner, Sie sind nicht ohne Grund Sonderbeauftragter der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan, und da liegt ja auch der Hase im Pfeffer: In Pakistan verstecken sich die Taliban, in Pakistan hat auch die Al Kaida weiterhin Basen. Afghanistan hat jetzt gerade ein strategisches Abkommen mit Indien getroffen. Belastet nicht das auch das Verhältnis mit Pakistan weiter, als es ohnehin schon belastet ist zwischen den beiden Ländern?

Steiner: Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass Sie auf diesen Punkt hinweisen, denn wir müssen natürlich die ganze Region im Blick haben. Übrigens ist Indien auch Teil der Region und muss auch teilnehmen an den Bemühungen, den inneren Versöhnungsprozess abzusichern. Insofern ist es ganz richtig, dass wir Indien nicht außen vor lassen. Und wenn Sie sich anschauen, das Abkommen, das hier geschlossen worden ist und das, was der afghanische Präsident danach gesagt hat, dann ist ganz deutlich geworden, dass dieses Abkommen sich nicht gegen irgendjemanden richtet, sondern sozusagen Teil des Aufbaus, des langfristigen Aufbaus Afghanistans sein soll, und da brauchen wir auch Indien. Natürlich haben Sie recht, muss das so transparent geschehen, dass nicht Urängste in der Region geweckt werden.

Pindur: Nun sollen Inder diesem Abkommen zufolge auch die afghanische Armee ausbilden. Das wird aber doch auf jeden Fall dazu führen, dass Bedrohungsängste – so paranoid sie auch sein mögen – in Pakistan wieder hochkommen.

Steiner: Das müssen wir uns ganz genau anschauen. Wir haben bisher nur den Hinweis Sicherheitskräfte und eine Ausbildung – das ist eine Sache – der Sicherheitskräfte, dazu gehören ja vor allem die Polizeikräfte. Eine Ausbildung vor Ort ist eine andere. Ich bin mir sicher, dass die afghanische Regierung sehr genau Bescheid weiß, dass sie natürlich auch die legitimen Interessen ihres großen Nachbarn beachten muss.

Pindur: Herr Steiner, vielen Dank für das Gespräch!

Steiner: Ich danke Ihnen!

Pindur: Der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan Michael Steiner.

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