Afghanistan

Hinter dem Schleier

Afghanische Frauen im traditionellen Ganzkörperschleier, der Burka, gehen am 29.09.2007 durch die Straßen in Kabul.
Amnesty International berichtet, dass in Afghanistan 2014 über 5.000 Frauen Opfer häuslicher Gewalt geworden sind. © Johannes Eisele, dpa picture-alliance
Von Ghafoor Zamani · 21.07.2015
Golalai Habib, die in Afghanistan die Zeitung "Die Welt der Frauen" gründete und 2011 nach Deutschland floh, erzählt in diesem Feature von der Welt hinter dem Schleier: Vom Spagat zwischen ihrem Kampf als Frauenrechtlerin und der eigenen Situation in der Familie, wo Männer die Entscheidungen treffen.
Afghanistan gilt als extrem frauenfeindlich. In dem Land am Hindukusch haben die Männer das Sagen und Frauen müssen um ihre grundlegenden Rechte kämpfen. "Frauen sind Bürger zweiter Klasse, sie sind immer entweder die Tochter, Schwester, Frau oder Mutter von jemandem", hieß es im vergangenem Jahr in einem Bericht des afghanischen Forschungsinstituts AREU. Mädchen werden mit älteren Männern verheiratet, Frauen wird verboten das Haus zu verlassen, sie werden geschlagen oder Opfer sexueller Gewalt.
Golalai Habib kennt all das und wehrt sich seit Jahren. Ihre couragierten Fernseh-Auftritte haben sie überall in Afghanistan bekannt gemacht. Ghafoor Zamani hat die Gründerin der Zeitung "Die Welt der Frauen" auf der Straße kennengelernt und sie über viele Jahre in Kabul und Deutschland begleitet. Ihr Zorn richtet sich gegen ein Gesetz, das Frauenrechte radikal einschränkt und die Frauen der Willkür ihrer Ehemänner und männlicher Familienmitglied ausliefert.
"Wir sind auch wegen der Rechte der Frauen an internationale Verpflichtungen gebunden. Und was haben wir jetzt? Ich werde als Ungläubige beschimpft, weil ich gegen das frauenfeindliche Gesetz protestiere. Wenn ich jetzt schweige, dann verliere ich alles, wofür ich seit vielen Jahren gekämpft habe."
Häusliche Gewalt kommt häufig vor
Frauen, die sich getraut haben der Gewalt entgegenzutreten, sitzen ohne Gerichtsprozess im Gefängnis oder wurden umgebracht. Das neue Gesetz trat 2009 in Kraft, zu einem Zeitpunkt, als die Taliban erneut die Dörfer besetzten und die Städte angegriffen. Wer sich gegen sie stellte, den töteten sie vor laufender Kamera: Manchmal schnitten sie ihm die Kehle durch. 2014, so berichtet Amnesty International, sind in Afghanistan über 5.000 Frauen Opfer häuslicher Gewalt geworden. Auch Golalai Habib wurde von ihrem Mann geschlagen. Nach dem neuen Gesetz, das das Privatleben von Männern und Frauen regelt, darf eine Frau das Haus zum Beispiel nur verlassen, "wenn die Erde bebt oder das Haus brennt". Und schon gar nicht ohne Genehmigung des Mannes.
Ihr Sohn hält das Gesetz für einen großen Erfolg - sie ist zerrissen, zwischen ihrem Kampf als Frauenrechtlerin und der Situation in der Familie. Empörung löst vor allem der Artikel 132 des Gesetztes aus. Bei diesem Paragrafen "brennt ihr Herz", sagt sie. Dort heißt es: "Die Frau ist verpflichtet, den sexuellen Bedürfnissen ihres Mannes jederzeit nachzukommen."
"Das Gesetz schreibt der Frau vor, ihrem Mann viermal in der Woche sexuell zur Verfügung zu stehen und all seine Wünsche zu erfüllen. Dies führt dazu, dass sich die Frau vor dem Mann ekelt. Sie verliert jegliches Gefühl für Sexualität. Ähnlich ist es auch mit dem Erbrecht. Das Gesetz verbietet der Frau auch, irgendetwas zu erben. Selbst, wenn es nur ein Schwert ist, das dann der älteste Sohn erbt. Die Tochter oder Mutter haben kein Recht darauf, egal wie alt sie sind", sagt Golalai Habib.
Zwei ihrer Kinder sind kurz vor dem 11. September 2001 mit Hilfe von Schleusern nach Deutschland geflohen. Neun Monte hat die Flucht gedauert. Auch Golalai Habib, die in den entlegenen Dörfern Afghanistans über die Rechte der Frauen diskutierte, konnte nach Deutschland flüchten. Aber an ihrer privaten Situation hat sich dadurch wenig geändert. Die Ketten der Ehre sind auch in Deutschland aus Stahl.
Produktion: WDR/DLF 2015